Das Comeback der Küfereien

FASS-zinierende Handwerkskunst

Text: Eva Zwahlen, Fotos: Hans-Peter Siffert

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch 1400 Küfereien in der Schweiz, fast in jedem Dorf hantierte ein Küfer mit Rundhobel, Gargelkamm und schweren Hämmern. Heute hält bloss noch eine Handvoll Fassbinder das traditionsreiche Handwerk am Leben. Doch sie spüren Rückenwind, denn vorbei sind die Zeiten, als ehrwürdige Fuder aus den Kellern verbannt und durch Stahltanks ersetzt wurden. Und nicht wenige Winzer fragen sich, weshalb sie ihre Barriques nicht in der Schweiz kaufen sollen. Hier wachsen schliesslich auch Eichen. Und werden Qualitätsfässer gefertigt. Ein Einblick in drei sehr unterschiedliche Küfereien.

Der Grossmeister der Holzfuder

In aller Herrgottsfrühe hält der Transporter der Küferei Suppiger vor der herrschaftlichen Domaine Fischer in Bougy-Villars, hoch über dem Genfersee. Vier Männer steigen aus. Ihr Händedruck lässt einen nach Luft schnappen. Auf der Ladefläche stapeln sich meterlange Dauben, säuberlich nummeriert, mit Jutesäcken abgedeckt und festgezurrt.

Roland Suppiger und sein Team machen sich an die Arbeit, bald unterstützt vom Hausherrn Hans-Beat Ris, der tüchtig mit anpackt. Daube um Daube wird in den gepflegten, ebenerdigen Naturkeller getragen, wo das neue, 8700 Liter fassende Riesenfass zuhinterst, neben acht weiteren imposanten Fudern aus dem Hause Suppiger, aufgebaut werden soll. Zum Schluss folgen die schweren Fasswände.

«Unser Chasselas, von Charles Rolaz vinifiziert, reift ausschliesslich hier in diesen Fudern», erzählt Hausherrin Binia Ris, die draussen unter den Platanen das Frühstück für die Küfer vorbereitet. «Ein solches Fass ist eine grosse Investition, es kostet 30 000 bis 40 000 Franken. Aber bei guter Pflege hält es mindestens 80 Jahre.»

Die Männer haben das Fuder – in Küssnacht am Rigi nach allen Regeln der Kunst über dem Eichenholzfeuer zusammengezogen – erst am Vorabend auseinandergenommen. «Je weniger Zeit zwischen dem Auseinandernehmen und dem Zusammenbauen liegt, desto besser», findet Roland Suppiger, der in vierter Generation die grösste Küferei der Schweiz leitet. Nicht nur in der Schweiz, auch im Piemont kennt er so gut wie jeden Holzfasskeller. Er produziert auch Barriques und Doppelbarriques, berühmt ist er aber für seine Fuder aus Schweizer Eiche. Die grössten Gebinde, die er gebaut hat, waren die 20 000-Liter-Fässer für die Mosterei Möhl in Arbon.

 

Ein eingespieltes Team

Die Dauben werden den Nummern nach sortiert, die Spannreifen aufgestellt – und hopp, schon reicht ein Mitarbeiter dem anderen die Dauben zu, die von unten nach oben aneinandergefügt werden. Die Dauben müssen «beissen», erklärt Roland, sprich: haargenau zusammenpassen. Und wehe, einer vertut sich bei den Dauben! «Dann müssen wir alles wieder auseinandernehmen…» Und der Sünder eine Flasche Wein bezahlen. Einer von Rolands Mitarbeitern streicht sorgfältig die Nut (alias Gargel) aus. Das ist die Einkerbung in den Dauben, in welche später die Fassböden eingelassen werden. Die weisse Masse ist schlicht eine Pappe aus Mehl und Wasser, die zusammen mit Schilf alle Fugen abdichtet wie zu Urgrossvaters Zeiten.

Nach der Frühstückspause hämmern die Küfer, auf Leitern und bäuchlings auf dem Fass balancierend, die Dauben und stählernen Spannreifen in die richtige Position. Die Hämmer sind so schwer, dass Schreibtischtäterinnen sie kaum zu heben vermögen. Der Lärm ist ohrenbetäubend, die Arbeit schweisstreibend und nicht ungefährlich. Lehrmeister Suppiger hat stets ein Auge auf seinen Lehrling Luca. Als er realisiert, dass Letzterer vergessen hat, seinen Gehörschutz anzulegen, unterbricht er die Arbeit sofort.

Die grösste Herausforderung ist für Roland Suppiger die körperlich anstrengende Tätigkeit verbunden mit feinster Detailarbeit, bei der es um Zehntelmillimeter geht. «Es ist eine harte, aber sehr befriedigende Arbeit, bei der wir alle aufeinander aufpassen.» Besonders schätzt er den Kontakt zu den Winzerinnen und Winzern. «In letzter Zeit beobachte ich eine Rückkehr zu grösseren Fässern, nicht zuletzt in der Waadt und bei jungen Produzentinnen.» Sehr zufrieden sagt er es. Schliesslich ist er dem Waadtland als Mitglied der Confrérie du Guillon auch emotional eng verbunden. kueferei-suppiger.ch

Der letzte Westschweizer Küfer…

…ist ein Deutschschweizer! Wenn auch einer, der tiefe Wurzeln geschlagen hat in der Waadt und – «bien évidemment» – Mitglied der Confrérie du Guillon ist. Seit die Familie Sother eigene Barriques produziert, ist er nicht mehr der Letzte seiner Art.

Mit seinem weissen Bart könnte Franz Hüsler glatt als Alpöhi durchgehen, doch stammt er ursprünglich aus dem Kanton Schwyz, aus Küssnacht am Rigi. Seine schwieligen Hände erzählen von 40 Jahren harter Arbeit mit Holz. «Ich bin schon als junger Mann in die Waadt gekommen», erzählt er und zieht an seiner Zigarette. «Bevor ich mich selbständig gemacht habe, war ich bei Obrist angestellt.» Seit 25 Jahren ist Franz Hüsler im Atelier Volet in Saint-Légier eingemietet und fertigt kleine und grosse Fässer, vom putzigen Dekofässchen bis hin zum kunstvoll verzierten 4000-Liter-Fuder. «Es ist ein Metier, das viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl verlangt.» Mittlerweile wird Franz Hüsler von Vincent Bühler unterstützt, einem passionierten jungen Schreiner aus der Region, der Küfer werden will.

Bei unserem Besuch sind die beiden gerade dabei, sechs uralte, etwas ramponiert aussehende Lärchenholz-Fässer zu untersuchen. Sie stammen aus Chandolin im Val d’Anniviers und beherbergen normalerweise den berühmten Gletscherwein. Sind die denn noch zu retten? «Ja, sicher», brummt Franz Hüsler. Eine sorgfältige Reinigung mit Wasserdampf, das Ersetzen von ein, zwei morschen Dauben – «und dann halten die wieder!» Hüsler ist kein Mann der grossen Worte. Aber mit einem Blick auf die alten Fässer meint er philosophisch: «Fässer sind Zeitzeugen, richtige Zeitmarker! Mittlerweile interessieren sich auch die Jungen wieder für Holz…» Zum Glück!

tonneauhusler.ch

Schweizer Wein aus Schweizer Barriques

Das ist das Ziel der Elsässer Familie Sother, die vor vier Jahren die beiden Waadtländer Weingüter Château de Malessert (La Côte) und Domaine du Manoir (Côtes-de-l’Orbe) kaufen konnte. Im August 2023 haben die Sothers nun ihre ersten eigenen Barriques produziert. Und sich damit auf ein neues Abenteuer eingelassen.

Die Domaine du Manoir im ländlich-verträumten Valeyres-sur-Rances verströmt den Charme längst vergangener Zeiten. Das Herrschaftshaus, im 14. Jahrhundert als Abtei gegründet, steht im Schatten einer riesigen Platane – die perfekte Kulisse also für eine kleine, feine Küferei. «Die Idee der eigenen Barrique-Küferei hatte ich dank eines Bekannten aus Bordeaux, der für seinen Premier Cru Classé in Neuenburg jeweils – heimlich! – aussergewöhnlich gutes Eichenholz kauft», erinnert sich Pierre-Olivier Dion-Labrie, der Önologe der Familie Sother. «Als ich den Sothers davon erzählte, waren sie sofort Feuer und Flamme. Innerhalb von 20 Minuten hatten wir einen Businessplan skizziert.»

Die Messlatte legen sich die Neowinzer und ihr Önologe hoch: «Wir wollen innerhalb von fünf Jahren zu den besten Küfereien Europas gehören», meint er, ganz unschweizerisch unbescheiden. In die Tat umsetzen soll die Vorgaben Rémi Merlier, trotz seiner erst 24 Jahre ein französischer Profi-Barriquebauer mit neun Jahren Berufserfahrung in kleinen und grossen Tonnelleries. «Das Projekt hat mir auf Anhieb gefallen», meint Rémi. Warum? «Nun, hier stimmt alles mit meinen Werten überein: Es ist ein Familienbetrieb, der Bioweinbau betreibt und hohe Qualitätsansprüche hat. Wir arbeiten ganz traditionell handwerklich, anders als viele zunehmend industrielle Küfereien in Frankreich. Hier zählt der Respekt vor dem Holz, dem Handwerk und dem fertigen Produkt.»

Im Vergleich zu den rund 450 000 Barriques, die in Frankreich jährlich für den Weinbau gefertigt werden (neben 1,5 Millionen Fässern für die Cognacproduktion), nehmen sich die geplanten 500 bis 1000 Barriques der Tonnellerie Sother bescheiden aus. «Wir sind nur ein kleiner Fisch im grossen Teich», lacht Rémi, «aber wir haben unseren Kunden einiges zu bieten.» Nämlich: Barriques aus Schweizer Holz, rückverfolgbar bis zu jedem Baumstamm. Und persönliche Beratung, Dialog, «einen echten Austausch».

Clémence Sother, die Marketingfachfrau des Hauses und angehende Sommelière, meint: «Heute spricht man viel von Terroir. Zum Terroir gehört unbedingt auch das Holz! Deshalb wollen wir Schweizer Wein aus Schweizer Barriques produzieren. So prägen wir den Produktionsprozess von der Rebe über die Vinifikation bis hin zum Ausbau.»

Schweizer Alternative

Das Holz für die eigenen Barriques stammt aus dem Schweizer Mittelland. Die Eichen wachsen vorwiegend in einem halbmondförmigen Bogen zwischen Genf und dem Thurgau, den Jurasüdfuss entlang. In den Wintermonaten durchstreift Pierre-Olivier Dion-Labrie in Begleitung von Förstern die Wälder, auf der Suche nach «seinen» Bäumen. «Eine qualitativ gute Eiche braucht die Konkurrenz durch andere Bäume. Je mehr Äste sie hat, desto grösser ist das Risiko, dass eine Barrique undichte Stellen aufweist.» Wenn das beste Holz gefunden und gekauft ist, wird es geschlagen, gespalten und mindestens 24 Monate lang im Freien gelagert. «Das Holz für eine Barrique darf auf keinen Fall gesägt werden», betont Küfer Rémi Merlier. «Es wird sorgfältig gespalten, wobei man die äusseren und inneren instabilen Teile des Baumstamms ausspart. Im Ganzen verliert man so 50 bis 70 Prozent des Holzes, doch das garantiert, dass die Barriques dicht sind.»

« Das Holz für eine Barrique darf auf keinen Fall gesägt werden. »

Rémi Merlier

Fünf Kubikmeter Baumstamm ergeben einen Kubikmeter Holzdauben, die dann zu rund zehn Barriques verarbeitet werden. 60 Barriques haben Rémi Merlier und sein Mitarbeiter seit August bereits gebaut. «Wir selber brauchen 40 bis 100 Barriques, der Rest wird verkauft.» Die ersten interessierten Winzer kommen bereits vorbei, schnuppern an den Barriques, streichen über ihre Rundungen. «Das ist die Schweizer Identität, die wir bewahren wollen», meint Rémi und lässt seinen Blick stolz über die fertigen Barriques schweifen, die an der Sonne vor dem Manoir stehen. Und nur darauf warten, mit Wein gefüllt zu werden.

domainedumanoir.ch

vinum+

Weiterlesen?

Dieser Artikel ist exklusiv für
unsere Abonnenten.

Ich bin bereits VINUM-
Abonnent/in

Ich möchte von exklusiven Vorteilen profitieren