Auf den Spuren der roten Top-Cuvées

Das Wallis sieht rot

Text: Anick Goumaz, Fotos: Siffert / weinweltfoto.ch, Jacopo Salvi, OMAIRE

Die roten Walliser Assemblagen kommen in unzähligen Formen und Farben daher. Ihr aller Vorfahre bleibt der jahrhundertealte Dôle. Doch selbst dieser vollzog vor kurzem einen Wandel – mit einer neuen Regelung, die niemanden kalt lässt. Wir werfen einen Blick auf die Geschichte eines Weins, der sich nun einen echten Namen machen will.

Pinot Noir und Gamay – für die Tradition. Merlot und Cabernet für die Bordeaux-Cuvée. Humagne Rouge und Cornalin für autochthone Spezialitäten. Ancellota und Diolinoir für mehr Farbe – die Zutaten, die den Walliser Weinmachern zur Verfügung stehen, werden nur vom AOC-Reglement begrenzt, das 22 rote Rebsorten anerkennt. Die Rebsorten-Frage ist in der Schweiz und besonders im Wallis ein Dauerbrenner.

«Warum werden nicht mehr Assemblagen aus typischen Walliser Rebsorten hergestellt?», fragt Dominique Fornage, der sein Restaurant Nobilis in Sitten leitet, nachdem er lange Zeit das Château de Villa in Siders geführt hat. «Ich sehe viele unpassende Cuvées, obwohl Cornalin und Humagne Rouge sehr gut zusammen passen.» Um die Antwort zu finden, muss man das Problem mit Blick auf die Rentabilität betrachten. Die Mengen an Cornalin sind nach wie vor oft begrenzt und die Weinkellereien ziehen es vor, sie sortenrein zu verarbeiten. Was ist mit den typischen Rebsorten des Bordeaux? «Ich mag Merlot», gesteht Patrice Walpen, Eigentümer und Direktor des Chai du Baron in Bramois. «Wir verkaufen einen Teil unserer Weine in den Restaurants der Skigebiete, wo die meisten Gäste aus dem Ausland kommen. Die Bordeauxblends sind leicht zu erklären, wir können sie als Bordeaux-Cuvées präsentieren, die in der Region hergestelltwurden.» Laut kantonalen Statistiken beträgt das Durchschnittsalter der Merlot Weinstöcke zusammen mit dem der Arvine- und Cornalin-Reben eines der niedrigsten im Wallis. Ein Zeichen dafür, dass einheimische und internationale Sorten auch in der Zukunft nebeneinander existieren werden.

Aber ist die Sortenfrage bei der Herstellung einer Assemblage auch so wichtig? «Alles ist wichtig», antwortet Samuel Panchard, ehemaliger Önologe des Kantons Waadt und derzeitiger Betriebsleiter der Maison Gilliard in Sitten. «Es gibt mehrere Interpretationsebenen. Rebsorten, Stil, Storytelling ... sie sind ineinander verwoben, das ist die Stärke des Weins.» Niemand kann besser über Erfolg sprechen als die Maison Gilliard, sie stellt den meistgetrunkenen Rotwein der Schweiz her: den Dôle des Monts. «Das ist die Hausmarke», sagt Panchard, «wir arbeiten mit einer Auswahl an Tanks, ich verkoste blind. Wir suchen nach einer Weintypologie, einem bestimmten Geschmack.»

Lange Zeit war der Dôle der einzige seiner Kategorie, bis in den 1980ern andere Assemblagen aufkamen. Die neuen Cuvées sollten zeigen, dass die Walliser mit den europäischen Nachbarn gleichziehen konnten. Dort hatte ein gewisser Robert Parker vor allem Weine mit kräftigen Holzcharakter angepriesen. Zu den Walliser Kreationen der 1980er Jahre gehört der Tourmentin der Familie Rouvinez. «Ein Kunde soll mal nach Tourmentin gefragt haben, als ob es sich dabei um eine Rebsorte handelt», lacht Dominique Rouvinez. Müssten nicht die Assemblagen, um mit den bekannten sortenreinen Weinen zu konkurrieren, sich vor allem solch einen Namen machen?

Im Fokus: der Dôle

Der Walliser Dôle, eine Assemblage aus aus Pinot Noir und Gamay, ist im Alltag angekommen. Nun rückt Swiss Wine Valais den Dôle ins Rampenlicht. «Wir haben das Glück, eine Rotwein-Assemblage als anerkannte Marke zu haben», sagt Projektleiterin Sandrine Mages. «Wir fangen nicht bei null an.» Und doch: Der Dôle steht zwar auf dem Podium der meistverkauften Walliser Weine im Schweizer Detailhändel, doch der Verkauf muss angekurbelt werden: Minus 17,2 Prozent verkaufte Flaschen in 2022 im Vergleich zu 2021 ermittelte das Schweizerische Observatorium des Weinmarktes (OSMV). «Diese Zahl erklärt sich durchdie geringer ausgefallene Ernte 2021», erläutert Cynthia Chabbey, stellvertretende Direktorin von Swiss Wine Valais. «Doch die Herausforderung bleibt. Es ist unser Ziel, die Beliebtheit und den Bekanntheitsgrad bei den Konsumenten für diesen traditionellen Wein zu stärken. Alten Wein in neuen Schläuchen anzupreisen, wäre wie ein Pflaster auf ein Holzbein zu kleben.»

Nach langer Arbeit wurde die neue Dôle-Regelung im Jahr 2021 verabschiedet (siehe Kasten). Dominique Rouvinez begrüsst die Änderung: «Der neue Dôle wird von Klimaerwärmung und der Zunahme der Weinbauflächen abhängen, die für Spezialitäten bestimmt sind. Der Pinot Noir leidet unter Sonnenbrand, der Walliser Weinbau muss auf später reifende Rebsorten umsteigen.»

Historisch gesehen sind in Bordeaux die Cuvées entstanden, um Jahr für Jahr einen wiedererkennbaren Stil zu gewährleisten. Dagegen sind die sortenreinen Weine das Ergebnis der Unwägbarkeiten der Jahrgänge. Nun sind aufgrund des Klimawandels zunehmend Variationen zu erwarten. Die Zukunft wird zeigen, ob Assemblagen ein sicherer Hafen in Krisenzeiten sind. Dominique Fornage sieht zwei Kategorien, die sich durchsetzen werden: «Es wird Marken- und Terroirweine geben, – mit deutlich höheren Preisen.»

Mit einem Hauch Bordeaux

Chai du Baron, Bramois

«Wir leugnen nicht: Es ist eine Herausforderung.»

«Wein wird im Weinberg gemacht, hier stellen wir nur Traubensaft her.» Die Gelassenheit behält Patrice Walpen, Eigentümer des Chai du Baron, während Gewitter und Hagel über Bramois hereinbrechen. Er ist eher Philosoph als Baron (der Name des Weinguts stammt von seinem Vorgänger, der diesen Titel trug) und wartet auf eine Regenpause, um den Schaden zu begutachten. Die Verluste belaufen sich auf 20 Prozent in den Parzellen von Chamoson, in Conthey bis zu über 50 Prozent. Später wird die Weinlese dies bestätigen. Den Atem anzuhalten, hat Patrice gelernt, seitdem er sich 2015 in seinem Heimatdorf eingerichtet hat. Der «Selfmademan» sammelte über 30 Jahre Erfahrung in der Weinbranche, vor allem in Südafrika. Wurden von seinem Vorgänger noch 8000 Flaschen jährlich produziert, sind es nun mehr als 100 000. Von seinen Reisen hat er sich eine Begeisterung für internationale Rebsorten bewahrt, «um sich mit den selben Waffen vergleichen zu können. Dadurch spürt man das Terroir besser.» Der Merlot ist der König in den roten Assemblagen des Chai du Baron. «Wir sollten nicht versuchen, die einzelnen Sorten herauszuschmecken. Vielmehr ist der Frage: Ist das Ganze gelungen?» Diese Offenheit prädestiniert Walpen dazu, die neue Verordung für den Dôle rasch anzunehmen. «Niemand glaubt an den Dôle. Ich habe immer an ihn geglaubt. Und ich mag Wetten.» Der Bramoiser geht nun aufs Ganze: türkisblaues Metallic-Design mit Pep und sogar einem Hinweis «Neuinterpretation des Dôle». «Wir müssen viel erklären. Es liegt an uns Produzenten, die Leute an den Dôle zu führen. Es ist eine Herausforderung.»

Dôle Léon 2022

Gamaret, Diolinoir und Ancellotta ergänzen mehr als die Hälfte des Pinot Noir. Das Bouquet komplex, Erdbeeren, Himbeeren, Veilchen und weisser Pfeffer. Der Auftakt ist lebendig und säurebetont. Man glaubt, in eine Weintraube zu beissen.

14.50 Franken

Château La Tour Goubing 2021

Pinot Noir, Merlot und Cabernet Franc wurden zu einer Assemblage verschnitten und in Fässern aus amerikanischer Eiche ausgebaut. Ein Flair von Schwarzwälder Kirschtorte. Durchgehend tanzt die Kokosnuss mit der reifen Kirsche.

26 Franken

Chai du Baron La Réserve 2021

Merlot, Cabernet Franc und Cabernet Sauvignon, in französischen Eichenfässern in Zweit- und Drittbelegung ausgebaut. Schwarze Johannisbeere, Eukalyptus, Zimt und elegantes Zedernholz und Pilze. Die Tannine sind reif, der Abgang zeigt Holznoten.

39 Franken

Spätreifende Sorten im Trend

Familie Rouvinez, Sierre/Siders

«Wir pflanzen nur noch Spezialitäten an.»

Mit 130 Hektar, über mehrere Weingüter verteilt, gehören die Rouvinez zu den grössten Kellereien der Schweiz. Seit der Gründung auf dem Géronde-Hügel durch Bernard Rouvinez im Jahr 1947 hat das Haus ihre Familienphilosophie bewahrt. Bernards Söhne Dominique und Jean-Bernard und später dessen Kinder Véronique, Philippe und Frédéric führen das Erbe weiter. Dominique und Jean-Bernard, die schon immer mit Trends vertraut waren, brachten nach dem Dôle im Jahr 1983 ihre erste Assemblage auf den Markt: den Tourmentin. Die Cuvée aus Pinot Noir, Humagne, Cornalin und Syrah ist eine der ersten in Barriques ausgebauten Assemblagen des Wallis. Ist es ein Sakrileg, Humagne und Cornalin beizufügen? «Wir pflanzen keinen Pinot Noir oder Gamay mehr an, nur noch spätreifende Sorten», antwortet Dominique Rouvinez. «Das Klima steht im Mittelpunkt. Wir haben 25 ha Cornalin. Reinsortig würde dies 250 000 Flaschen entsprechen. Das ist viel. Wir haben genug Marge, um ihn zu verschneiden.» Der Tourmentin war lange Zeit der Star des Weinkellers, bis 2017 der Nez Noir eingeführt wurde. Aus Merlot, Gamaret und Syrah gekeltert, ist er der erste Bio-Wein des Hauses. Die Produktion von über 200 000 Flaschen pro Jahr (Tourmentin: 50 000 Flaschen) war ein durchschlagender Erfolg. Mit seinem Etikett und dem Storytelling rund um die Walliser Schwarznasenschafe, die auf den Parzellen des Weinguts weiden, vereint der Wein alles, um zu gefallen. «Jedes Mal, wenn ich in einen Supermarkt gehe, sehe ich junge Menschen mit Flaschen von Nez Noir in ihrem Einkaufswagen», freut sich Dominique.

Dôle les Fleurs 2021

Diskret, aber gefällig, erinnert an rote Früchte und Kiefernzapfen. Fruchtiger, leichter Auftakt, bevor er ausdrucksstark wird und zurückhaltende, aber dennoch präsente Tannine zeigt.

15.90 francs

Nez Noir 2022

Genussreich, komplex: Kirsche, gegrilltes Fleisch und Menthol. Ausgeglichen, harmonisch durch Tannenknospen. Heidelbeeren im Abgang.

19.95 Franken

Tourmentin 2020

Pinot Noir macht den Hauptanteil aus, wird separat vinifiziert. Reift zwölf Monate in Fässern, dann wieder in Tanks. Pinot Noir über alles! Noch feste Tannine. Holz im Finale.

33.80 francs

Coeur de Domaine 2020

Cornalin, Humagne Rouge und Syrah, in grossen Fudern ausgebaut. Erdbeere, Veilchen ein pflanzlicher Anklang. Schöne, knackige Tannine.

48 Franken

Ein Dôle, der Standards setzt

Domaine Mercier, Sierre/Siders

«Wir greifen im Keller nur sehr wenig ein.»

Schon seit einigen Jahrgängen überlässt Denis Mercier die Zügel seiner Tochter Madeleine. «Ich bin froh, dass sie meine Werte hat», gesteht er und verweist vor allem auf eine Philosophie mit dem Schwerpunkt Ertragsbegrenzungen. «Der Verkauf ist nicht so meine Sache. Wir stellen Wein für unsere Kunden her. Wir streben nicht danach, ihn weiter weg zu vertreiben. » Aufgrund ihres Erfolgs hat die Familie Mercier nicht viel im Keller. Und das bis 2024. Dennoch war der Anfang nicht leicht, als Denis Mercier aus seinem Heimatkanton Waadt nach Siders kam. «Vor nicht allzu langer Zeit sagte man mir, ich würde Chasselas nach Waadtländer Art herstellen.» Anne-Catherine und Denis starteten 1982, dem berühmten Jahr, in dem die Weintanks so voll waren, dass man das Übermass in Swimmingpools füllte. «Das war eine Chance», meint Madeleine. Sie entschieden sich sofort, auf Qualität anstatt auf Quantität zu setzen. Und sie hatten ein grosses, weisses Blatt Papier vor sich, ohne den Ballast früherer Generationen. Wenn Weinkenner nach ihrem Lieblings-Dôle gefragt werden, ist Mercier in aller Munde. Die traditionelle Walliser Assemblage hat auf dem Goubing-Hügel von Anfang an Bedeutung gehabt. Ihr Erfolgsrezept? Ganz klar das Know-how, aber die Lage des Pinot Noir (der mindestens 65 Prozent der Assemblage ausmacht), der in der Höhe angepflanzt ist, hat auch ihren Beitrag geleistet. «Wir sind Winzer, keine Önologen, und dazu bekennen wir uns. Wir greifen im Keller nur sehr wenig ein.» Der Dôle ist und bleibt die einzige rote Assemblage des Weinguts. «Das ist kein Dôle, das ist ein Dôle Mercier.» Damit ist alles gesagt.

Dôle 2022

Die einzige rote Assemblage der Familie Mercier entspricht den alten Vorschriften des Dôle, d. h. vorwiegend Pinot Noir aus höher gelegenen Parzellen, 20 Prozent Gamay alte Reben (40 Jahre) und maximal 15 Prozent verbessernde Rebsorten (Ancellota, Galotta und ab 2021 ein winziger Anteil Divico). Jede Rebsorte wird separat in Tanks vinifiziert. Die kalte Maischung vor der Gärung sorgt dafür, dass die Frische auch bei sonnenreichen Jahrgängen wie 2022 erhalten bleibt. Für die Assemblage werden die Pinot Noirs der verschiedenen Terroirs anonymisiert. Ancellota sorgt für eine kräftige Farbe. Eine betörende Kirschnote zeigt sich in der Nase, gefolgt von gerösteten, ja sogar rauchigen Akzenten und Noten von Tusche. Wunderschöner, harmonischer und strukturierter Dôle. Der rauchige Abgang ist langanhaltend. Anmerkung: Man muss sich bis Mai 2024 gedulden, um diesen derzeit ausverkauften Dôle zu probieren.

20 Franken

Der Dôle wird grün

Maison Gilliard, Sion

«Das ist die Stärke der Marke.»

Es ist unmöglich, über rote Walliser Assemblagen zu sprechen, ohne den Dôle des Monts zu erwähnen, den meistverkauften Rotwein der Schweiz. Wie hoch sind die Verkaufszahlen, die jeden Weinkeller im Land blass aussehen lassen? Das Haus in Sitten, das seit 2018 von Grégory Dubuis geleitet wird, zieht es vor, sie zu verschweigen. Der «Bestseller» wurde 1886 kreiert und war der erste Wein des Waadtländer Produzenten Edmond Gilliard. Die Lorbeeren für diesen Erfolg gebühren jedoch seinem Nachkommen, Robert Gilliard, der den Pilgerstab in die Hand nahm und in der ganzen Schweiz, sogar in Zügen und Flugzeugen, nach neuen Kunden suchte. Seitdem ist das Unternehmen stark gewachsen und arbeitet sowohl mit eigenen als auch mit gepachteten Parzellen und nicht weniger als 200 Traubenlieferanten, vor allem im Zentralwallis. In der langen Vorphase der Neuregelung spielte das Aushängeschild Dôle des Monts eine grosse Rolle. Die Zusammensetzung ist sogar noch restriktiver als die der traditionellen Mischung: Die anderen Rebsorten machen nur 5 bis 10 Prozent aus. Trotz der Jahrgangs-Schwankungen muss der Weinkunde «seinen» Dôle des Monts wieder erkennen können. «Das ist die Stärke der Marke », sagt Samuel Panchard, Betriebsleiter und Önologe. Um ihren Durst nach Neuem zu stillen, können Kunden nun den Dôle des Monts bio, die erste Cuvée aus biologischem Anbau der Sittener, kaufen. Dieser hat einen höheren Merlot-Anteil. Warum nicht auch autochthone Rebsorten wie den Cornalin verwenden? «Pur hat er mehr Aura. Wir werden nicht den Ast absägen, auf dem wir sitzen.»

Dôle des Monts 2021

Ein vollmundiger Wein für jede Gelegenheit. Das Bouquet erinnert an Himbeeren und wird durch die für den Gamay typische Röstnote unterstrichen. Am Gaumen ist alles perfekt vereint: Frische, Tannine und ein Abgang mit Röstakzenten.

18.90 Franken

Dôle des Monts bio 2022

Der Merlotanteil zeigt sich schon in der Nase. Auch am Gaumen bieten die Geranienblüte und die edlen Efeunoten den noch jungen Tanninen die Stirn. Schöne Struktur und langer Abgang von schwarzen Johannisbeeren.

24.90 Franken

Les Domaines des Grands Murs 2018

Prestigeträchtige und ehrgeizige Cuvée des Hauses, die 36 Monate lang in Barriques ausgebaut wird. Die rassige Nase kündigt sein Lagerpotenzial an. Schwarze Früchte wie Brombeeren, Tabak, Waldboden. Seidig, saftig und balanciert.

89 Franken

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