Mit Bio-Power zur Spitze
Schweizer Bioweine mächtig im Aufwind
Text: Eva Zwahlen, Foto: Siffert / weinweltfoto.ch, valerie@photoval.ch, Digitale Massarbeit
Biowein ist längst kein Nischen-Phänomen mehr. Immer mehr Schweizer (Spitzen-)Winzerinnen und Winzer stellen um auf biologischen oder gar biodynamischen Anbau. Inzwischen werden 18,5 Prozent der heimischen Rebfläche, insgesamt 2268 Hektar Reben, biologisch kultiviert. Ein rekordverdächtiger Anteil. Auch die Qualität vieler Bioweine stellt inzwischen selbst anspruchsvollste Aficionados zufrieden. Das zeigt die Verkostung von rund 170 Bioweinen, von denen wir Ihnen die 52 besten präsentieren.
Noch vor 20 Jahren war es nicht einfach, in der Schweiz Bioweine zu finden, die hohen Qualitätsansprüchen zu genügen vermochten. Bei manchen Gewächsen musste man als Weinliebhaber schon «grün angehaucht» sein, damit man sie überhaupt trinken mochte. Das hat sich längst grundlegend geändert. Und das Konsumieren von Biowein ist kein politisches Statement mehr, sondern verspricht schlicht Genuss. Und als Bonus ein gutes Gewissen. Damit reiht sich Biowein ein in ein hedonistisches Lebensmodell, das Wert auf Nachhaltigkeit und Ökologie legt und nach umweltschonend, tierfreundlich und pestizidfrei produzierten Lebensmitteln verlangt.
Fast eine Revolution
Schaut man sich die offiziellen Zahlen des Schweizerischen Weinbauernverbandes an, sieht man, dass der Anteil biologisch bewirtschafteter Rebflächen in den letzten 20 Jahren von rund 250 Hektar auf 2268 Hektar angestiegen ist, sich also fast verzehnfacht hat. Das kommt einer kleinen Revolution gleich. Besonders Fahrt aufgenommen hat die Umstellungsbewegung in den vergangenen Jahren, hat sich die Fläche der Biorebberge doch seit 2018 noch einmal mehr als verdoppelt. Gemäss Bio Suisse wurden vor allem in der Westschweiz, im Wallis, im Bündnerland sowie im Kanton St. Gallen Rebflächen auf Bio umgestellt. Den prozentual höchsten Anteil an biologisch bewirtschafteten Rebflächen weisen Neuenburg und der Freiburger Vully auf. Mit einem Anteil von nun 18,5 Prozent der gesamten Schweizer Rebfläche übertrifft der Schweizer Bioweinbau gar Italien, das mit rund 18 Prozent seiner Rebfläche bisher Weltmeister in Sachen Bioweine war. Allerdings spielt Italien mit 109 000 Hektar biologisch zertifizierter Reben in einer anderen Liga als die Schweiz.
Der Trend zeigt in der Schweiz weiter nach oben. Die Umstellung auf Bio ist aber kein Kinderspiel, was ein herausfordernder Jahrgang wie 2021 bewiesen hat, als die Winzer mit Frost, heftigen Niederschlägen und enormem Druck durch Rebkrankheiten wie Echtem und Falschem Mehltau zu kämpfen hatten. 2021 wurde die kleinste Ernte seit 1957 eingebracht, 36 Prozent weniger als im zehnjährigen Durchschnitt. Von den garstigen Bedingungen waren zwar alle Winzer betroffen, wer allerdings biologisch arbeitet, darf bei der Bekämpfung von Pilzkrankheiten nur auf Kupfer und Schwefel zurückgreifen. Zudem verlangt biologische Wirtschaftsweise ein Mehrfaches an Arbeit im Rebberg, nicht zuletzt in schwer zugänglichen Steillagen.
Bioweinbau nur mit Piwi-Sorten?
Sensible Sorten wie Chasselas oder Pinot Noir alias Blauburgunder, die weisse und rote Hauptvarietät in der Schweiz, sind anspruchsvoll. Und das erst recht bei biologischer Arbeitsweise. Trotzdem ergeben sie durchaus überzeugende Resultate, wie unsere Degustation eindrücklich zeigt. Sogenannte Piwi-Sorten, die neu gezüchteten, pilzresistenten Varietäten, sind auf dem Vormarsch, wenn auch auf sehr niedrigem Niveau. Die Fläche der roten Piwi-Sorten hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, die der weissen gar vervierfacht. Mit insgesamt nur 41 Hektar schweizweit machen die Piwi-Sorten aber nicht einmal zwei Prozent der biologisch bewirtschafteten Rebfläche aus (und 0,28 Prozent der gesamten Rebfläche).
Bei unserer Degustation waren Weine aus allen Weinregionen vertreten, gekeltert aus herkömmlichen und aus Piwi-Sorten. Bewertet wurden sie von vier professionellen Juryteams nach dem Hundert-Punkte-Schema. Die allerhöchste Note der Verkostung erhielt mit 95/100 Punkten der trockene Petite Arvine La Tsoume 2021 von Yann Comby aus Chamoson, der auch mit seinen vier anderen eingereichten Weinen 89 und mehr Punkte erzielte. Der am zweitbesten bewertete Wein war der aus Pinot Noir gekelterte Rosé Selection Saignée 2021 von Marco Casanova aus Walenstadt. Mit je 93 Punkten belohnte die Jury den Malanser Blauburgunder Barrique 2019 der Liesch Weinbau GmbH, den Malanser Scadena Blauburgunder 2019 vom Weingut Wegelin sowie den Schafis Pinot Gris 2022 vom Rebgut der Stadt Bern in La Neuveville.
Mit Bio-Power zur Spitze
Nicht weniger als 13 Winzerinnen und Winzer haben es mit mehr als einem Wein in unsere diesjährige Selektion der 52 besten Schweizer Bioweine geschafft. Ein eindrücklicher Beweis für das hohe Qualitätsniveau dieser Güter. Yann Comby aus Chamoson, Marco Casanova aus Walenstadt und Louis-Heinz Liesch in Malans waren dabei ganz besonders erfolgreich.
Keine halben Sachen
Yann Comby, Chamoson
«Die Umstellung auf Bio? Das ist der Entscheid, sich das Leben gezielt schwer zu machen!», lacht der 39-jährige Ingenieur-Önologe und Selbstkelterer Yann Comby. Er bereue diesen Schritt aber keine Sekunde, versichert er. Und was er macht, das macht er richtig: «Wir haben ab 2012 auf synthetische Produkte verzichtet, dann auf Herbizide. Und jetzt sind wir offiziell zertifiziert von Bio Suisse.» Das ist ihm wichtig, diese Garantie durch das Label. Halbe Sachen mag er nicht.
Eine höchst dynamische Gruppe junger Winzerinnen und Winzer in und um Chamoson ist denselben Weg gegangen. «Es hat geholfen, sich mit den Kolleginnen und Freunden austauschen zu können.» Rund 35 Prozent mehr Arbeitsstunden leistet Yann Comby im Rebberg (insgesamt zehn Hektar), seit er biologisch wirtschaftet. «Aber was für ein Vergnügen, in den lebendigen, begrünten Rebbergen zu stehen und kleine, gesunde Trauben zu ernten, die konzentrierte Weine ergeben!»
Auf der nationalen Weinbühne sorgte Yann Comby im Jahr 2020 für Furore, als er mit seinem Johannisberg beim Grand Prix du Vin Suisse den Prix Bio gewann. Das war kein Zufallstreffer, wie er eindrücklich beweist: Alle fünf Weine, die er zur VINUM-Degustation eingeschickt hatte, wurden mit mindestens 89 Punkten bewertet, hätten also bei einem internationalen Concours Gold gewonnen. Mit seinem Syrah (90) und seinem Fendant (92) knackte er spielend die 90-Punkte-Grenze. Und mit seinem Petite Arvine erreichte er gar die Höchstnote der Verkostung: stolze 95 Punkte! Der trockene Arvine aus dem schwierigen Jahrgang 2021 begeisterte unsere Jury mit straffer Struktur, würzigen Zitrusnoten, sortentypischer Salzigkeit und nicht zuletzt mit herrlich saftiger Säure. Die Petite Arvine wächst in der Einzellage La Tsoume auf kalkreichen Schieferböden des Schwemmkegels der Losentse unterhalb der imposanten Kalkfelsen des Haut de Cry und wird zwölf Monate ausgebaut, zum Teil in grossen Barriques. Ein grossartiger Wein! Und ein Selbstkelterer, von dem man zweifellos noch viel hören wird.
Der Überzeugungstäter
Marco Casanova, Walenstadt
Achtsamer Umgang mit der Natur, Biodiversität, harmonisches Zusammenleben von Mensch und Natur, ein Terroir, das sich «pur» im Wein ausdrücken kann – all das liegt Marco Casanova seit jeher am Herzen. Er, der seine Wanderjahre im südfranzösischen La Clape im Languedoc-Roussillon verbracht hat und später als Reb- und Kellermeister bei der Cicero AG im bündnerischen Zizers wirkte, bewirtschaftet heute etwas mehr als vier Hektar Reben in Walenstadt, am Ufer des Walensees, zu Füssen der fast bedrohlich aufragenden Churfirsten. Dazu kommen die Trauben von einem Hektar in Zizers, die er zukauft.
Der Schweizer Biowinzer des Jahres 2017 stellte den Betrieb in Walenstadt, den er 2014 übernehmen konnte, sogleich um auf biologische Bewirtschaftung. «Seit 2018 sind wir Demeter-zertifiziert», betont er, der die Biodynamik für «ganzheitlicher, deutlich spannender und nachhaltiger» hält. Obwohl er ein echter Überzeugungstäter ist, mag er nicht missionieren. «Die Statistiken zeigen einen deutlichen Aufwärtstrend für den Bioanbau. Ich befürchte aber, dass das irgendwann stagnieren wird.» Zur langfristigen Förderung eines umweltschonenden Anbaus wäre der Bund gefragt – und müssten sich Konsumentinnen und Konsumenten bewusst sein, dass das seinen Preis hat, bedeutet Bio doch in guten wie in schlechten Jahren mehr Arbeit und weniger Ertrag.
Marco Casanovas delikater, gut strukturierter und saftiger Spitzen-Rosé Saignée 2021 wurde bei unserer Degustation mit 94 Punkten bewertet, also mit der zweithöchsten Note der Verkostung. «Gekeltert wird er aus dem Saftabzug der allerbesten Pinot-Trauben. Die Gärung findet in gebrauchten Barriques statt, ausgebaut wird er zur Hälfte in diesen Barriques, zur Hälfte im Stahltank.» Wie alle Weine von Marco Casanova ist er nicht nur biodynamisch, sondern auch vegan. Die beiden Rotweine, die er zur Verkostung eingereicht hat, hätten mit je 90 Punkten übrigens ebenfalls Gold verdient.
Wie der Vater, so der Sohn
Louis Liesch junior, Malans
Wenn Malans heute als das Vorzeigebioweindorf in der Deutschschweiz gilt, hat der vor zwei Jahren im Alter von 87 Jahren verstorbene Bio-Pionier Louis Liesch senior grossen Anteil daran. Schon vor 35 Jahren, als es noch gar keine diesbezüglichen Richtlinien gab, beschäftigte er sich mit biodynamischen Rebbaumethoden. Seine schon früh begrünten und bis in den Unterstockbereich stets tadellos gepflegten Rebstöcke, waren für seine konventionell arbeitenden Winzerkollegen, die in Bio damals das Chaos sahen, schon fast eine Provokation. Sein Sohn, Louis junior, pflegt das Erbe seines Vaters mit dem gleichen Spirit, lässt es nun aber zwischen den Reben etwas wilder wuchern, auch mit Sonnenblumen und Tomaten. 2014 wurde Louis Liesch senior, im Rahmen des damals von VINUM organisierten Bioweinpreises als «Winzer des Jahres» ausgezeichnet. Heute, fast zehn Jahre später, hat sein Sohn acht Weine zur Verkostung für die Selektion der Schweizer Bioweine 2023 eingereicht, und nicht weniger als sechs dieser Weine schafften es in die Top 50. Eine beeindruckende Leistung. Der heute 57-jährige Louis Liesch junior machte die Ausbildung zum Winzer und Kellermeister, schlug danach aber einen anderen Weg ein und arbeitete zehn Jahre lang als Talentscout beim Eishockeyclub HC Davos. Ab 2009 übernahm er immer mehr Verantwortung im elterlichen Betrieb, den er heute zusammen mit seiner 83-jährigen Mutter Margrit und seinem Bruder Martin betreibt. Das Sortiment des Weingutes zeigt Kontinuität, neue kreative Akzente setzt Louis Liesch junior aber beispielsweise mit seinen beiden Privée-Selektionen, die es beide in die Top 50 schafften. «Lockdown-Spielereien» nennt er diese Weine. Die weisse Cuvée Privée ist eine in der Barrique ausgebaute Assemblage aus Chardonnay und Riesling Sylvaner. Ein noch viel ausgefalleneres Konzept steht hinter der Cuvée Privée rot, eine Assemblage aus Pinot Noir der Jahrgänge 2014, 2015, 2016, 2017 und 2018. Von all diesen Jahrgängen hatte er bei der Kreation dieses Weines noch einige Partien im Stahltank. Als sein grösstes Qualitätspotenzial sieht Louis Liesch junior seine alten Rebbestände mit bis zu 75-jährigen Pinot-Stöcken, die er sorgsam pflegt. Nur einzelne kranke Stöcke werden ersetzt.