Jenseits von Tempranillo
Latin Lovers
Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Linda Pollari
Es sind perfekte Herbst-Weine. Denn sie verzaubern uns mit mediterraner Wärme, haben aber auch Temperament und Finesse. Jenseits der roten Leitsorte, dem Tempranillo, tut sich im Weinland Spanien höchst Erfreuliches. In unserem VINUM-Profipanel zeigten sich Garnacha und Mencía in Bestform. Auf den Podestplätzen landeten jedoch völlig überraschend zwei reinsortige Cariñenas aus Katalonien und ein Bobal aus dem spanischen Südosten.
Cariñena? Diese überaus spannende Rotweinsorte steht in Spanien noch viel zu selten im Rampenlicht und noch viel zu oft im Schatten von Gewächsen wie Tempranillo oder Garnacha. Dabei ist die Sorte (die in der Rioja unter dem Namen Mazuelo bekannt ist) ein mutmasslich urspanisches Gewächs, wird doch ihr Ursprung tatsächlich nahe dem gleichnamigen Städtchen Cariñena südlich von Saragossa vermutet. Ist dem tatsächlich so, dann hat dieses Gewächs von dort aus durchaus eine beachtliche internationale Karriere hingelegt, ist es doch auch in Frankreich (unter dem Namen Carignan), aber auch in Chile oder Kalifornien ein Garant für Spitzenweine. In unserer Panelverkostung «Alles ausser Tempranillo» waren zwar nur gerade zwei reinsortige Cariñena-Crus mit von der Partie, doch beide landeten vor sämtlichen Garnacha- und Mencía-Gewächsen auf den Plätzen 1 und 3. Die beiden topklassierten Weine stammen aus Katalonien und zeigen exemplarisch, was es braucht, um aus dieser Sorte, die weltweit oft in Assemblagen «verschwindet», grosse, reinsortige Selektionen hervorzubringen. Der Siegerwein des Panels, der Elitia 2018, kommt aus der DO Empordà und reift in den Pyrenäenausläufern nahe der Grenze zu Frankreich. Die Familie Alcacer produziert hier seit 20 Jahren Wein. Den Elitia selektionieren sie seit 2015 von zwei Cariñena-Parzellen mit über 80-jährigen Buschreben, die in kargen, schieferhaltig-steinigen Böden wurzeln. Der Ertrag liegt bei homöopathisch anmutenden 500 Kilo pro Hektar. Unter vergleichbaren Voraussetzungen, aber mit doch etwas höheren Erträgen von bis zu 2000 Kilo pro Hektar, entsteht auch der andere reinsortige Cariñena in dieser Probe, der den dritten Platz belegt. Es handelt sich um den Arbossar des deutschen Ausnahmewinzers Dominik Huber im Priorat. Auch dieser Wein stammt von fast hundertjährigen Buschreben, die in Torroja del Priorat auf 400 Meter Höhe wachsen, in ebenfalls sehr kargen Böden, dominiert von Schiefer und Granit. Interessant ist hier auch die Nordausrichtung der Parzelle. Analysiert man die Verkostungsnotizen, so fällt auf, dass die zwei Cariñenas im Vergleich zu den Garnachas, die in dieser Probe mit nicht weniger als 14 Weinen vertreten waren, über ein etwas komplexeres Aromenspektrum verfügen. Werden die Garnachas generell von einer eingängigen Beerenfrucht geprägt, sind bei den Cariñenas neben den Beerenaromen auch balsamische, erdige Noten zu erkennen. Ebenfalls ist ein edler Anflug von animalischen Aromen auszumachen. Noch akzentuierter zeigen sich die unterschiedlichen Nuancen im Gaumen. «Fleischig», «in positiver Weise etwas wild», «zupackend» oder «herzhaft» lauten hier die Beschreibungen für die beiden Cariñenas. Keine Überraschung ist, dass auf dem zweiten Platz mit dem Finca Terrerazo 2019 von Bodega Mustiguillo ein reinsortiger Bobal aus der Region Utiel westlich von Valencia gelandet ist. Bobal und Cariñena gelten beide als spät reifend und ergeben Weine mit solider Säurestruktur. Dank diesen Eigenschaften müsste die Sorte bei den spanischen Winzern in Zeiten der Klimaerwärmung eigentlich auf wachsendes Interesse stossen. Doch die Realität sieht anders aus.
Spanien wird immer mehr zum Tempranillo- Land. Die rote Leitsorte ist mit einer Verbreitung von rund 210 000 Hektar nicht nur mit grossem Abstand die wichtigste Rotweinsorte, sondern ist gerade dabei, die bisher führende Sorte in Spanien, das weisse Gewächs Airen (deren Weine vor allem zur Brandy Herstellung verwendet werden) zu überholen. Und keine Frage: Der spanische Weinsektor profitiert davon, dass der Tempranillo immer mehr zum Flaggschiff-Gewächs wird, ermöglicht dies doch eine klare Positionierung im für Spanien immer wichtiger werdenden Export. Denn während der Tempranillo in der Rioja beweist, dass er extrem lagerfähige Klassiker hervorbringen kann, gelten modern vinifizierte Tempranillos wie jene aus der Ribera del Duero als der Inbegriff von massiven, ja kraftstrotzenden Rotweinen mit südlich warm anmutender Fruchtfülle, gepaart mit sinnlichen Röstnoten. Glaubt man den Statistiken, dann verlieren angesichts der zunehmenden Tempranillo-Dominanz gleichzeitig andere rote Sorten wie Bobal, Garnacha oder Monastrell kontinuierlich an Bedeutung.
Das ist schade, wie dieses Panel beweist. Denn die Verkostung «Alles ausser Tempranillo» ergab einen so hohen Notendurchschnitt wie nur ganz wenige Profipanel davor. Zugleich offenbarte die Verkostung ein ganz anderes Spanien, nämlich eines mit animierend frischer Frucht in der Nase sowie Temperament und Lebendigkeit im Gaumen. Und es ist höchst erfreulich, dass auch dieses andere, vielleicht etwas raffiniertere Spanien auch im Handel in Deutschland und der Schweiz vertreten ist. Vieles deutet darauf hin, dass sich das Rotweinangebot aus Spanien zunehmend auffächert. Während im unteren Preissegment die sinnlich-kraftvollen Tempranillos das Geschehen bestimmen, gibt es im gehobenen Bereich eine zunehmende Vielfalt an spanischen Rotweintypen zu beobachten. Eine ganz spezielle Rolle nimmt dabei die Sorte Mencía aus Bierzo ein. Das kleine, aber feine Weinbaugebiet liegt in den Ausläufern des kantabrischen Gebirges im Übergangsgebiet zwischen Kastilien-Léon und Galicien am Jakobsweg. Von den 2400 Hektar Reben, die hier kultiviert werden, sind über 70 Prozent mit der Sorte Mencía bestockt. Vor allem alte Reben in Steillagen mit Schieferböden, aber auch Anlagen in der Talebene mit Sand- oder Kalkuntergrund ergeben ausgesprochen feinfruchtige, beschwingte, ja fast schon filigrane Weine mit zarten Beerenaromen, oft unterlegt mit einem Anflug von Rauch und erdigen Noten. Interessanterweise lag die Durchschnittsbewertung der sieben Mencía-Gewächse in diesem Panel sogar leicht höher als die Durchschnittsnote der 14 Garnachas, die aus nicht weniger als zehn verschiedenen spanischen Anbauregionen stammen, vom Priorat in Katalonien über Madrid bis nach Navarra im Norden des Landes.
Bleibt die Frage: Brauchen wir überhaupt so elegant beschwingte Weine aus dem «Toro-Land»? Schliesslich finden wir subtile Rotweine ja auch im Beaujolais oder im Burgund, aber auch in den deutschsprachigen Weingebieten nördlich der Alpen. Die Verkosterinnen und Verkoster unseres Panels waren sich einig: Ja, es braucht diese Garnachas, Mencías, Cariñenas oder Bobals aus Spanien. Denn trotz ihrer Eleganz und Finesse sind es keine Leichtweine nach mitteleuropäischem Vorbild. In fast allen der verkosteten Weine waren auch mediterrane Wärme und südliches Temperament zu erkennen. Aber eben nicht nur. Eine straffe Struktur, wenig spürbares Holz und eine saftige Säure sorgen gleichzeitig für viel trinkigen, animierenden Charme. Und es sind definitiv Weine, die nach dem vielzitierten ersten Glas immer noch Lust auf mehr machen. Vor allem zeigt das Rotweinland Spanien mit diesen Gewächsen, dass Weinfreaks, die Abwechslung suchen, nicht dem Tempranillo-Mainstream ausgeliefert sind. Es gibt hier heute viel mehr zu entdecken! Und zwar auf einem qualitativ sehr hohen Niveau, wie unser Panel eindrücklich beweist!
«Das Weinland Spanien darf nicht auf den Tempranillo reduziert werden. Hält man sich vor Augen, wie gut die zwei Cariñenas und der Bobal abgeschnitten haben, ist es schade, dass nicht mehr Weine aus diesen Sorten vertreten waren. Angesichts der Fülle an Terroirfaktoren, alten Rebbergen und des wachsenden Selbstbewusstseins der Winzer im Umgang mit diesen Sorten wird Spanien noch mehr für Furore sorgen!»
Lidwina Weh Sommelière, Wohlen
«Der Tempranillo erinnert an den kraftvollen Stier, den man bei der Fahrt durch Spanien immer wieder mal sieht. Doch es ist falsch, das Weinland Spanien auf blosse Power, oft unterlegt von ordentlich viel ‹Roble›, zu reduzieren. Die Weine in dieser Probe wirkten edler. Der mediterrane Charme ist immer da, gleichzeitig aber auch eine fast verspielt wirkende Eleganz. So subtil habe ich Spanien selten erlebt.»
Nicole Vaculik Sommelière, Meersburg
«Das sind grosse Weine, ganz klar! Spanien hat auch jenseits des Tempranillos ein enormes Potenzial. Die Winzer sind gerade erst dabei, dieses Potenzial voll auszuschöpfen. Bereits die herrliche Frische in der Nase. Im Gaumen vereint sich dann Filigranität mit dem typischen südlichen Tempe rament, welches man gemeinhin mit dem Tempranillo verbindet. Perfekt für alle, die mehr als nur Kraft suchen!»
Stefan Iseli Sommelier und Gastgeber, Zürich
«Wir alle kennen den Spruch, dass nur jene Weine wirklich gross sind, bei denen man Lust auf ein zweites Glas verspürt. Tempranillo-Gewächse betören schon mit dem ersten Schluck, sind danach aber nicht immer so trinkig. Anders bei Garnacha, Mencía, Cariñena und Co. Das sind trotz ihrer grossen Klasse meist sehr animierende Weine. Die hier verkosteten Weine garantieren einen anregenden, beschwingten Abend.»
Karin Wymann Weinhändlerin, Zürich
«Die hohen Bewertungen zeigen, dass die Qualität von Garnacha, Mencía oder Cariñena heute so gross ist wie nie zuvor. Vielleicht durch die Klimaerwärmung, die ihnen mehr Fülle verleiht, ohne dass sie an Eleganz verlieren. Heute gibt es aber noch sehr wenige Gewächse, die es in Bezug auf Komplexität und Lagerfähigkeit mit den besten Tempranillos aus der Rioja oder der Ribera del Duero aufnehmen können.»
Ivan Barbic MW Weinhändler, Wädenswil
Die Jury
Von links nach rechts
Lidwina Weh
Sommelière, Wohlen
Ihr Favorit: Elitia 2018 (Cariñena) von Bodegas Elitia, Empordà (Katalonien)
Nicole Vaculik
Sommelière, Meersburg
Ihr Favorit: Elitia 2018 (Cariñena) von Bodegas Elitia, Empordà (Katalonien)
Thomas Vaterlaus
Chefredakteur VINUM, Zürich
Sein Favorit: Finca Terrerazo 2019 (Bobal) von Bodega Mustiguillo, Vino de Pago (Utiel-Requena)
Mario Aschwanden
Weinhändler, Zürich
Sein Favorit: Morca 2020 (Garnacha) von Bodegas Morca, Campo de Borja (Aragón)
Miguel Zamorano
Redakteur VINUM, Zürich
Sein Favorit: Atteca Armas 2021 (Garnacha) von Bodega Ateca, Calatayud (Aragón)
Karin Wyman
Weinhändlerin, Zürich
Ihr Favorit: La Prohibición 2018 (Garnacha) von Bodegas Pittacum, Bierzo
Stefan Iseli
Sommelier und Gastgeber, Zürich
Sein Favorit: Finca Terrerazo 2019 (Bobal) von Bodega Mustiguillo, Vino de Pago (Utiel-Requena)
Miriam Grischott
Wein-Educator & Consultant, Küsnacht
Ihr Favorit: El Puño 2019 (Garnacha) von El Escoces Volante, Calatayud
Stefan Jost
Weinhändler und Consultant, Opfikon
Sein Favorit: Arbossar 2020 (Cariñena) von Terroir al Limit, Priorat
Ivan Barbic
MW, Weinhändler und Consultant, Wädenswil
Sein Favorit: Morca 2020 (Garnacha) von Bodegas Morca, Campo de Borja (Aragón)
Nicole Harreisser
Redaktion VINUM, Zürich
Ihr Favorit: Elitia 2018 (Cariñena) von Bodegas Elitia, Empordà (Katalonien)