Im Westen viel Neues
Entdeckungen aus der Westschweiz
Text: Anick Goumaz; Fotos: GettyImages / phbcz, Anick Goumaz
Die Weinbauszene in der Westschweiz entwickelt sich dynamisch. Bei Verkostungen und Wettbewerben überraschen immer wieder Weine, deren Produzenten in der Deutschschweiz noch wenig bekannt sind. Hier die Porträts von zwei solchen Aufsteigern: die Domaine de l'Iris in Bonvillars im nördlichen Waadtland und Sélection Comby in Chamoson (Wallis).
Domaine de l’Iris, Bonvillars VD
Wenn Träume wahr werden
Bis zum Abschluss der Bauarbeiten im neu erworbenen Gebäude, die voraussichtlich im Mai 2023 abgeschlossen sind, empfangen uns Samuel Forestier und Camille Jaton in ihrem Esszimmer mit der gleichen Herzlichkeit, die man guten Freunden entgegenbringt. Während die Spielsachen ihrer beiden Kinder nicht weit sind, ist es ihnen gelungen, die zehn Cuvées der jungen Produktreihe, die mit dem Jahrgang 2021 gestartet wurde, gelungen in Szene zu setzen. Entspannt erzählen sie von ihren Anfängen als Winzer und zukünftige Selbstkelterer. Bevor das junge Paar seine eigenen Weine auf den Markt brachte, lieferte es die Trauben der Weinlese 2019 und 2020 an die Cave des Viticulteurs de Bonvillars, eine der grössten Genossenschaften im Waadtland. Die Familie Forestier besitzt jedoch schon viel länger eine bescheidene Rebfläche, die früher an andere Landwirte verpachtet war. Hier gedeihen Pinot-Reben, tief verwurzelt in kalkhaltigen Terroirs, die kühl und zugleich sonnenexponiert sind. Als Samuel und Camille den Familienbetrieb mit Schwerpunkt Kartoffelanbau übernahmen, wollten sie sich mit ihren 1,5 Hektar Rebfläche in das Abenteuer Weinbau stürzen. Ihre Motivation: ein Produkt von A bis Z zu beherrschen und mehr Selbstständigkeit zu erlangen.
Der Agraringenieur verliess also ein grosses Landgut (er arbeitete in den Büros des État de Vaud in Marcelin) für ein kleineres, diesmal ganz eigenes. Camille Jaton hat ebenfalls eine Ausbildung zur Landwirtin absolviert, fühlte sich aber schon immer mehr zur Viehzucht hingezogen. Sie könnte sich vorstellen, diesenWunsch in einem önotouristischen und familiären Konzept mit dem Verkauf von Weinen zu verbinden. Bis dahin konzentrieren die «Neu-Winzer» ihre Energie auf die Einrichtung eines Empfangsraums und später eines Weinkellers. Derzeit haben sie keinen eigenen Keller und werden vom Team von Changins unterstützt. Dabei entstand eine schöne Zusammenarbeit mit Julie Fuchs, der Verantwortlichen für den Lehrkeller und Professorin für Önologie an der Hochschule. Sie hat sehr schnell den Geschmack des Paares verstanden: fruchtige Weine mit einer schönen Typizität und einem Säuregerüst. Einige sind für den sofortigen Genuss gedacht, andere für die Lagerung. Ein wichtiger Aspekt für die Domaine de l’Iris. Einige der 12 000 Flaschen der jährlichen Produktion werden bereits gelagert, um zu einem späteren Zeitpunkt trinkreife Cuvées anbieten zu können. Ein weiterer Wert, der diesen Bürgern von Fiez am Herzen liegt, ist die Verwendung von möglichst wenigen Zusätzen im Keller. Und im Weinberg? Biologischer Weinbau steht nicht auf dem Programm, sondern eher das, was sie als minimalistische Alternative bezeichnen. Samuel Forestier gibt eine mögliche «Berufskrankheit» zu, die auf seine Ausbildung zum Ingenieur zurückgeht. Dieser Hintergrund hat ihm vielmehr einen deutlichen Respekt vor der Erde vermittelt.
Sélection Comby, Chamoson VS
Die Kehrseite der Medaille
Er kam zunächst verhalten, aber sehr eindrucksvoll in den Spalten unserer Degustationsführer vor. Bis zum Grand Prix du Vin Suisse 2020, bei dem sein Johannisberg 2018 den Bio-Preis gewann. Wer ist eigentlich Yann Comby? Was verbirgt sich hinter seinem durchdringenden Blick und dem auf seinem Arm tätowierten Rotweinglas? Schnell wird klar, dass sich hinter diesen Äusserlichkeiten ein Weinliebhaber und Freund der Geselligkeit verbirgt. «Mein Ziel ist es, ein guter Landwirt zu sein. Für mich ist das jemand, der seine Familie ernähren kann, der hart arbeitet und immer anpackt.» Seine Leidenschaft wird nur von den Zweifeln des Perfektionisten überschattet. Er bekennt sich zu seinen Überzeugungen für den biologischen Anbau, gibt aber zu, dass er ihm die Arbeit nicht immer leicht macht. Die Umstellung des 15 Hektar grossen Weinguts begann, kurz nachdem sich Yann vor rund 15 Jahren seinem Vater Gratien angeschlossen hatte. Nachdem die Pflanzdichte reduziert worden war, um Mechanisierung zu ermöglichen, konnte sich das Vater-Sohn-Duo nicht vorstellen, die breiten Reihen mit Herbiziden zu besprühen. Es war ein erster Schritt in Richtung Bio. «Der konventionelle Anbau hat mich etwas gelangweilt. Im Bioanbau spürt man die Einflüsse der Jahrgänge viel stärker.»
Gratien Comby ist weiterhin bei den kommerziellen Aktivitäten des Weinguts aktiv, das von Grossvater Louis 1962 gegründet wurde. Vor diesem Zeitpunkt waren die wenigen Weinberge dem Eigenverbrauch vorbehalten, wie im Grossteil von Chamoson. Viele Parzellen befinden sich in den wenigen kühleren Zonen des Dorfes. In den anderen wachsen die spät reifenden Rebsorten. «Chamoson liegt auf einem Schwemmkegel. Ich mag das Wort Schwemmland nicht. Das Geschiebe hat sich dank der drei Wildbäche, aus denen die Gemeinde besteht, in Wellen abgelagert. Je näher der Rebberg an einem dieser drei Bäche liegt, desto mehr Kies hat die Parzelle, und desto besser ist die Wasserqualität.» Ein weiteres Merkmal von Chamoson ist der aromatische, spannungsreiche Stil des Weins. «Das haben wir dem biologischen Anbau zu verdanken. Man kann nicht im Weinkeller nachhaltig arbeiten, wenn man es nicht auch im Weinberg ist, das ergibt keinen Sinn.» Er macht keinen Hehl daraus, dass das Ziel ebenfalls die Geniessbarkeit ist, auch wenn er zu einer komplexerenWeinbereitung tendiert. «Ich liebe es, Spitzenweine herzustellen und möchte langfristig nur noch diese anbieten. Ich mache auch gerne Weine, die man einfach trinken kann.» Die Weinkarte spiegelt diese Offenheit zwischen Tradition und Moderne wider. Die Produktlinien Héritage, Prestige und Excellence sind die Cuvées, die jeweils von den drei Generationen auf den Markt gebracht wurden. Zu den zukünftigen Projekten gehört die Idee eines Chamoson-Bio-Events. Denn die Gemeinde weist heute den höchsten Anteil an biologischem Anbau im Kanton Wallis auf.
Sechs Crus mit Charakter
Domaine de l'iris, Bonvillars VD
Pinot Gris 2021
Die Nase ist sofort sehr offen und verströmt die typischen Noten des Pinot Gris: Honig, sogar Met sowie reife gelbe Früchte. Am Gaumen verleihen eine leichte Perlenbildung und eine mineralische Spitze den oben genannten Aromen Frische. Dazu kommen Johannisbeeren und weisse Pfirsiche. Sein säurebetontes Gerüst macht ihn bis zum Ende seines langen, eleganten Nachhalls äusserst genussreich.
11.50 Franken
Pinot Noir 2021
Der in Tanks ausgebaute Pinot Noir enthüllt die legendären Kirschakzente, die von Himbeeren auf Hefe begleitet werden. Diese fruchtigen Eigenschaften füllen den Gaumen, der durch feine und seidige Tannine komplexer wird. Sein Säuregerüst macht ihn zu einem frischen Rotwein, der jetzt schon Trinkvergnügen bereitet, aber auch Entwicklungspotenzial hat. Ein sehr gut beherrschter Genusswein.
15 Franken
Divico 2020
Auch dieser Divico hält, was er verspricht, mit einer sehr intensiven violetten Farbe und den typischen Aromen von Holunder und Schwarzen Johannisbeeren. Der Eleganz vermittelnde Ausbau in Eichenfässern bringt eine würzige, vanillige Note ein. Die rustikaleren Tannine laden dazu ein, sich Zeit zu lassen, bevor man diesen geschmeidigen, noch jungen Wein geniesst. Er weist ein schönes Gleichgewicht zwischen Säure, Frucht und den Holznoten auf, die dem Finale eine gute Länge verleihen.
18 Franken
Sélection Comby, Chamoson VS
Johannisberg 2020
Diese prämierte (GPVS Prix Bio 2020) Spezialität aus Chamoson konnten wir uns nicht entgehen lassen. Der Jahrgang 2020 war zwar wärmer als derjenige des damaligen Gewinners, und diese opulente Cuvée umschmeichelt die Zunge, nachdem sie der Nase mit köstlichen Aromen von Financiers geschmeichelt hat, die mit einem Hauch von grünen Nüssen gewürzt sind. Der lange Abgang weckt den Gaumen mit seiner Frische und seinen angenehmen Bitterstoffen.
17 Franken
Petite Arvine La Tsoume 2019
Diese Parzelle wurde von Gratien auf einem Terroir an einer Felswand geschaffen, das Yann bepflanzt. Hier fühlt man sich ganz klein! Der Schieferboden ist sehr trocken und trägt zur Spannung dieses im Holzfass ausgebauten Weins bei. Die Nase entfaltet sich sehr blumig, zum Beispiel mit Enzian, aber auch mit milden Gewürzen. Am Gaumen explodiert er förmlich – ähnlich wie ein Granny Smith – aufgrund seiner Lebendigkeit und eines Hauchs von saftiger Birne.
22 Franken
Pinot Aficionado 2020
Diese Cuvée hat die Besonderheit, dass sie vollständig aus ganzen Trauben vinifiziert wird, um ein Höchstmass an Aromen von frischen Beeren zu erhalten. Sie weist auch Noten von Rosen und Johannisbeeren auf. Am Gaumen zeigen sich diskrete Tannine, und der Abgang erinnert an Kaffee. Ein bekömmlicher, ausgewogener und feiner Wein, der jung zu einem geselligen Essen getrunken werden sollte.
32 Franken