Frost, Hagel und sintflutartige Regenfälle: Das Weinjahr 2021 ist das mutmasslich schlechteste seit Jahrzehnten.
Die Reifeprüfung: Weinernte 2021 in der Schweiz
Text: Thomas Vaterlaus; Fotos: gettyimages / Gianluca Fortunato, Siffert / weinweltfoto.ch
Frost, Hagel und sintflutartige Regenfälle: Das Weinjahr 2021 ist das mutmasslich schlechteste seit Jahrzehnten. So wurde in Kantonen wie Wallis, aber auch Zürich, Schaffhausen und Thurgau bis zu 50 Prozent weniger geerntet als im langjährigen Durchschnitt. Auffallend waren vor allem die eklatanten Unterschiede zwischen Weingütern, die nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegen: Während die einen Totalausfall hinnehmen mussten, kamen andere mit vergleichsweise moderaten Einbussen davon. Immerhin: Das wenige, was gegenwärtig im Keller reift, dürfte die Anhänger von animierenden, kernig-frischen Weinen durchaus begeistern.
Das sagen Schweizer Winzer
«Selten war die Erntequalität im Tessin so zweigeteilt wie im Jahr 2021. Im Norden des Kantons, dem Sopraceneri, mussten wir wegen Hagel und falschem Mehltau Einbussen von bis zu 60 Prozent hinnehmen, im Süden, dem Sottoceneri, verzeichneten wir fast eine normale Ernte. Wegen den Ausfällen im Norden werden wir vom Jahrgang 2021 unseren Topwein Sassi Grossi nicht produzieren, zum ersten Mal seit 1999. Die grossen Ernteunterschiede zwischen Nord und Süd sind auch darauf zurückzuführen, dass unsere Anlagen im Süden mit Hagel-Schutznetzen ausgerüstet sind, im Norden dagegen nicht. Ich denke, dass Jahr 2021 könnte dazu führen, dass Hagelnetze vielerorts zum Standard werden. Was wir vom Jahrgang 2021 einkellern konnten, macht Spass, auch analytisch stimmt alles. Die Weissweine werden auch mit biologischem Säureabbau frisch und knackig ausfallen. Und die Rotweine zeigen sich gut strukturiert, verfügen aber doch über die nötige Fülle.»
Alfred De Martin, Gialdi Vini, Mendrisio (Tessin)
«Während wir in der La Côte doch Glück hatten und nur 20 Prozent unter einer Normalernte lagen, waren in den Subregionen Bonvillars und Chablais grössere Ausfälle zu verzeichnen. Die ganze Saison verlief kompliziert, das Wetter hielt uns ständig auf Trab. Hätte es während der Ernte auch geregnet, wäre es eine Katastrophe geworden, aber zum Glück hatten wir sonniges, eher kühles Wetter. Erstmals nach vielen Jahren fand die Haupternte wieder im Oktober statt. Wir erwarten knackig temperamentvolle Chasselas. Überraschen werden aber vor allem die Rotweine. Sie zeigen sich kernig und gut strukturiert, mit einem deutlich niedrigeren Alkoholgehalt als in den letzten Jahren.»
Rodrigo Banto, Cave de la Côte, Tolochenaz
«In den Kantonen Aargau, Schaffhausen, Zürich und Thurgau erreichten wir nur 35 Prozent einer normalen Ernte. Verantwortlich dafür war einerseits der verheerende Hagelzug vom 13. Juli, andererseits die Mehltau-Problematik infolge des nassen Sommers. In Graubünden dagegen hatten wir kaum Einbussen. Die Lese begann drei Wochen später als in den letzten Jahren, und etliche Partien mussten vor dem idealen Erntezeitpunkt reingeholt werden. Die 2021er sind ein Jahrgang für alle, die spritzig lebendige Weine mögen. Vor allem der Riesling-Sylvaner gefällt mir sehr gut. Einige Barrique-Selektionen und Prestigeweine wie den Hallauer Chardonnay Skript werden wir nicht abfüllen. Wir konzentrieren uns auf unsere Hauptweine wie den Volgaz Mousseux oder unsere «Goldbeere»-Linie.»
Michael Kaben, Divino SA (Volg-Weinkellereien), Winterthur (Zürich)
«Bio ist kein Schönwetter-Konzept»
Nadine und Cédric Besson-Strasser im Interview
Sie bewirtschaften ihr Sieben-Hektar-Weingut im zürcherischen Uhwiesen seit 2013 kontrolliert biodynamisch nach Demeter-Vorgaben. Trotz Frost, Hagel und Mehltauproblemen konnten sie 2021 letztlich 70 Prozent einer Normalernte einfahren. Für den 42-jährigen Cédric Besson-Strasser ist es der Beweis, dass Biodynamie auch unter Extrembedingungen mindestens genauso gut funktioniert wie der konventionelle Anbau mit synthetischem Pflanzenschutz.
Nicht wenige Branchenkenner prognostizieren, dass nach dem Horrorjahr 2021 viele Winzer dem Bioanbau den Rücken kehren werden…
Das glaube ich nicht. Es gibt objektiv gesehen auch keine Gründe dafür. Im Extremjahr 2021 haben nicht nur einige Bio-Winzer alles verloren, konventionell arbeitenden Winzern ging es genauso. Ob bio oder konventionell, das war in diesem Jahr nicht die Frage. Ob man von Frost oder Hagel getroffen wurde, war schlicht Schicksal, beim Kampf gegen den Mehltau spielen freilich auch betriebliche Strukturen eine Rolle.
Was meinen Sie mit betrieblichen Strukturen?
Im biodynamischen Anbau beispielsweise setzen wir Kupfer, Schwefel, Milch und Kräutersuds gegen Pilzbefall ein. Entscheidend ist, dass der Wirkstoff immer auf den Blättern ist. Nach 30 Millimetern Regen pro Quadratmeter ist alles weggewaschen. Dann muss der Schutz durch Spritzen wieder hergestellt werden. Wenn das innerhalb eines Tages gelingt, sind die Reben gut geschützt, wenn das nicht möglich ist, etwa weil die Parzellen zu weit auseinander liegen, wird es kritisch.
Wie viel Kupfer mussten Sie im Jahr 2021 spritzen?
Wir mussten 15 Mal rausfahren, um minimale Dosen Kupfer zu spritzen. Insgesamt benötigten wir 3,5 Kilo pro Hektar. Gemäss Demeter-Vorschriften dürfen wir 15 Kilo Kupfer in fünf Jahren einsetzen. Weil wir 2020 nur 2,2 Kilo benötigten und 2018 gar nur 1,7 Kilo, liegen wir immer noch weit unter diesem Limit.
Aber Kupfer reichert sich im Boden toxisch an…
Glauben Sie mir, für biodynamisch arbeitende Winzer wie uns ist ein gesunder Boden das höchste Gut. Wir tun alles, um unsere Böden lebendig zu halten. Messungen in unseren Rebbergen zeigen, dass der Kupfergehalt in den letzten zehn Jahren abgenommen hat. Ein vitaler Boden kann drei Kilo Kupfer pro Jahr verarbeiten. Aber leider kämpfen wir mit Altlasten. Unterlagen belegen, dass die vorangehenden Generationen im Extremfall bis 80 Kilo Kupfer pro Jahr und Hektar verwendet haben. Ein Wahnsinn!
Die vielen Traktorfahrten verdichten aber auch den Boden, oder?
Auch so ein Klischee-Vorwurf. Klar, es kommt schon darauf an, ob wir mit einem voll ausgestatteten Fendt-Vario-Traktor, der 3000 Kilo wiegt, in den Reben rumfahren oder aber mit einem der neuen Leichtbau-Traktoren, die lediglich noch 700 Kilo schwer sind. Auch Roboter können eingesetzt werden, und die Drohnen-Technik wird immer ausgefeilter. Die moderne Technik hat dieses Problem gelöst.
Pilzwiderstandsfähige Sorten könnten die Spritzerei aber ganz überflüssig machen…
Ja vielleicht, im Bereich der Piwi-Sorten gibt es viel Dynamik, und auch wir werden einige Problem-Parzellen damit bepflanzen. Aber Pinot Noir und Räuschling bleiben unsere Hauptsorten. Schauen Sie, diese Sorten haben einen Lebenszyklus von hunderten oder gar von tausend Jahren, dem Winzer dagegen bleiben 40 Jahre, um sich weiterzuentwickeln. Ich will nicht tausend Jahre Rebsortenkultur aufgeben für Sorten, die gerade mal fünf oder zehn Jahre im Anbau stehen. Unser Ansatz ist ein anderer. Wir sehen den Schlüssel zu allem in einer grösstmöglichen Biodiversität. Sie macht den Rebberg zu einem sich selbst regelnden Ökosystem, und das schützt nicht nur vor Insekten, sondern auch vor Mehltau, das konnten wir 2021 klar erkennen.