Der 65-jährige Bordeaux-Papst sprach mit VINUM über den überhitzten Markt für Kultweine

Interview mit René Gabriel

Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: www.gourmoer.ch, Siffert / weinweltfotos.ch

Musigny Grand Cru von Domaine Leroy, 1945er Magnum von Chateau Mouton-Rothschild und so weiter und so fort. Was bei Rene Gabriel an der Jubiläumsauktion der Weinbörse in Bad Ragaz unter den Hammer kommt, ist selbst im internationalen Vergleich rekordverdächtig. Der 65-jahrige Bordeaux-Papst sprach mit VINUM über den überhitzten Markt für Kultweine und seinen Wein-Ruhestand. Im Gespräch machte er auch klar, warum ihm Romanée-Conti-Trinker lieber sind als Lamborghini-Fahrer…

«Junge Bordeaux zu trinken, ist Arbeit, nur gereifte Gewächse bereiten wirklich Vergnügen.»

Im Vorfeld ihrer rekordverdächtigen Jubiläumsauktion ist ein Foto aufgetaucht, das Sie mit einer Magnum-Flasche des 1945er Mouton-Rothschild zeigt, der Kultwein schlechthin. Sind Sie sicher, dass es sich... nicht um eine Fälschung handelt?

Diese Frage musste ja kommen! Ich hasse dieses Thema, denn es ist ja gerade die Aufgabe von seriösen Auktionshäusern, dafür zu sorgen, dass keine Fälschungen in ihren Katalogen auftauchen.

Der 45er Mouton-Rothschild gilt aber nun mal als das meistgefälschte Gewächs der Weingeschichte. Nicht wenige glauben, es seien heute mehr Fälschungen im Umlauf als Originale. Was macht Sie da so sicher, dass Ihre Flasche wirklich echt ist?

Dieser Wein stammt aus dem Privatkeller eines leider verstorbenen sehr guten Freundes von mir. Darum lege ich für diese Magnum meine Hand ins Feuer. Wichtig ist eben, dass man von solchen Raritäten die Historie kennt. Denn tatsächlich gibt es in diesem Business schwarze Schafe. Doch die Verdächtigen sind in der Regel bekannt. Der Auktionator hat zudem die Möglichkeit, vom Versteigerer eine Regress-Klausel unterschreiben zu lassen, falls er sich betreffend der Echtheit nicht 100-prozentig sicher ist. Wenn man mit so einem Papier aufkreuzt, ziehen Fälscher fast immer ihren Schwanz ein.

Wenn die Verdächtigen zumindest teilweise bekannt sind, warum kann man sie dann nicht aus dem Verkehr ziehen?

Die Beweislage ist in der Regel schwierig. Der Verkäufer der Fake-Flasche dreht den Spiess einfach um und sagt, er sei selber auch reingelegt worden. So wird der Täter zum Opfer. Und leider gilt Weinfälschen immer noch als Kavaliersdelikt. Nur in seltenen Fällen wandert wirklich mal einer in den Knast.

Die 45er Magnum von Mouton-Rothschild hat gemäss Ihrem Katalog einen mittleren Marktwert von 30 000 Franken. Das ist sehr viel, gleichzeitig aber auch fast schon wieder wenig, wenn man bedenkt, dass in Ihrem Katalog gleich mehrere Burgunder auftauchen, bei denen schon die 0,75-Liter- Flasche von viel jüngeren Jahrgängen zum gleichen Preis weggehen dürfte. Ich denke da etwa an den 2000er und den 2001er Musigny Grand Cru von der Domaine Leroy, die auch auf mindestens 30 000 Franken pro Flasche geschätzt werden. Wie erklären Sie sich das?

Was sich bei gewissen Burgundern abspielt, ist verrückt. Aber wir sprechen da von wenigen Weinen von wenigen Produzenten, von denen nur wenige Flaschen abgefüllt worden sind. Bordeaux hat sich da ganz anders entwickelt. Vor 30 Jahren gab es in Bordeaux rund 50 Blue Chips, also 50 Topweine mit Potenzial, auch was die Wertsteigerung anbelangt. Heute gibt es dort 300 solche Weine.

Sie erleben Bordeaux generell als lebendiger und dynamischer als das Burgund?

Das würde ich so generell nicht sagen, es gibt Unterschiede von Subregion zu Subregion. Klar ist aber, dass vor allem in Saint-Émilion die Post abgeht. Die Szene dort entwickelt sich immer mehr zur klassenlosen Gesellschaft. Und es kommen laufend neue Topgewächse auf den Markt. Saint-Émilion ist für mich das Rodeo-Land.

Aber warum zahlen Leute heute 30 000 oder 40 000 Franken für eine 0,75-Liter- Flasche eines Burgunders aus dem Jahr 2000?

Nun, nach meiner Meinung haben Romanée- Conti und Leroy im Keller den Ferrari oder den Lamborghini in der Garage abgelöst. Mit dem Romanée-Conti symbolisierst du eben Kultur und Savoir-vivre. Zudem steht Wein immer für Teilen und somit für Grosszügigkeit. Mit dem Lamborghini dagegen zelebrierst du nichts anderes als dein lärmendes Ego. Was du mit so einem Auto suchst, ist Neid, kein grosszügiges Teilen. Für mich gibt es nichts Traurigeres zu sehen als einen Beifahrer in einem Lamborghini. Da denke ich immer: Jetzt hat es dieser arme Kerl endlich in so'ne Karre geschafft, aber leider nur auf den zweiten Platz…

Trotzdem trennen sich viele Leute auch wieder von diesen Kultweinen, wie ein Blick in Ihren Auktionskatalog zeigt…

Die November-Veranstaltung ist mit Abstand die grösste und auch die mit den meisten Highlights bestückte Auktion, welche die Weinbörse jemals realisieren konnte. Es freut mich sehr, dass uns dies zum 40-jährigen Jubiläum dieses Hauses gelungen ist. Auch das Ergebnis dürfte rekordverdächtig ausfallen, selbst im internationalen Vergleich.

Dann werden Sie sich danach wahrscheinlich Ihren Auktionshammer vergolden lassen, oder?

Ganz bestimmt nicht. Ich bin nämlich mächtig stolz darauf, dass ich die Millionenumsätze für die Weinbörse mit einem Hammer tätige, den ich für weniger als 5 Franken im Baumarkt gekauft habe.

Warum kommen diese vielen Angebote genau jetzt? Spielt da auch die aktuelle Weltkrise eine Rolle?

Wohl eher weniger. Es sind andere unerfreuliche Gründe, die zur Versteigerung dieser Flaschen führen, also Tod, Scheidung und Konkurs. Allerdings sind zwei Faktoren dazugekommen. Erstens sind einige Weine schlicht so teuer geworden, dass ihre Besitzer sie nicht mehr trinken wollen, und zweitens der Umstand, dass vermehrt auch jüngere Jahrgänge auktionsfähig geworden sind.

Sie bewegen sich mit der Weinbörse qualitativ und preislich im obersten Bereich des Marktes, während im unteren Bereich der Preiskampf immer härter wird.

Ja, die Schere im Markt wird immer grösser. Oben wird’s immer teurer, unten immer billiger und in der Mitte immer langweiliger…

Wie halten Sie es persönlich mit diesen extrem teuer gewordenen Gewächsen? Trinken oder verkaufen?

Es braucht keine 30 000-Franken-Flasche, um seine Freunde und sich selber glücklich zu machen. Das gelingt auch mit einem 1998er Château Lynch-Bages, der heute noch für rund 150 Franken zu bekommen ist. Und manchmal funktioniert es sogar mit einem noch viel preiswerteren Wein. Grundsätzlich verstehe ich jeden, der jetzt mit einigen seiner Weine sehr hohe Gewinne realisiert. Für den Erlös einer einzigen Flasche kann er sich mit etwas Glück 30 oder 40 Flaschen eines Weines kaufen, der qualitativ fast ebenso gut ist. Ich habe vor Jahren mal eine 1980er Magnum-Flasche Echézeaux von Henri Jayer in eine meiner Burgund- Proben eingebaut, nicht um damit viel Geld zu verdienen, sondern eher aus Neugier, ich wollte wissen, wie sich dieser Kultwein in der Serie präsentiert. Leider war er dann korkig. Heute würde diese Flasche ein paar Zehntausend Franken einbringen… übrigens trotz dem Korkschmecker, denn der gehört nun mal bei Auktionen zum Risiko des Käufers.

Ihr Name ist unweigerlich mit Bordeaux verknüpft, und das nun schon seit 35 Jahren. Ist Ihnen Bordeaux nie verleidet? Mit dem Alter tendieren ja viele Geniesser zu den etwas leichteren Burgundern.

Nein, meine Liebe zu Bordeaux ist noch genauso stark wie vor 40 Jahren. 80 Prozent der Rotweine, die ich geniesse, kommen aus Bordeaux. Pinot Noir hat eine völlig andere Konstellation aus Säure und Gerbstoff. Fantastische Weine sicher, aber letztlich nicht so ganz mein Ding. Bordeaux dagegen ist für mich immer ein sicherer Hafen, in dem ich mich ganz zu Hause fühle. Es ist letztlich einfach: Mein Körper mag Bordeaux. Und man muss dem Körper ja etwas bieten, damit sich die Seele darin wohlfühlt.

Dann sollten Sie aber jeden Tag Bordeaux trinken…

Ich trinke nicht jeden Tag Wein, aber die Tage ohne sind relativ selten. Alles in allem würde ich schätzen, dass ich eine Flasche pro Tag trinke, wenn man das ganze Leben mit einrechnet.

Und Sie begegnen den Weinen immer noch mit der gleichen Aufmerksamkeit und Konzentration wie am Anfang Ihrer Liaison mit Bordeaux?

Bei mir dreht sich immer alles um das erste Glas. Nur am Anfang der Begegnung hat der Wein meine ganze Konzentration. Meine Sinne sind so geschärft wie nur möglich. Wie bei einem Rennfahrer beim Start. Es sind für mich die intensivsten Momente im Leben überhaupt. Es gibt für einen Moment lang nur diesen Wein und mich auf der Welt. Beim zweiten Glas ist dann diese Magie schon wieder weg. Der Small Talk setzt ein, das Essen kündigt sich an und der Alltag hat dich wieder eingefangen.

Bordeaux hat sich in den letzten 30 Jahren gewaltig verändert. Zum Guten oder zum Schlechten?

Zum Guten, ganz klar, allerdings geschieht dies auf Kosten einer zunehmenden Uniformität. Alle Châteaux arbeiten heute mit den gleichen Hightech-Systemen. Die letzte Errungenschaft sind die optischen Sortiergeräte bei der Ernte, die quasi alle Beeren, die aufgrund von Farbe, Form und Beschaffenheit nicht der jeweiligen Vorgabe entsprechen, mittels einer Luftdüse vom Förderband schiessen. All dies führt dazu, dass die qualitativen Unterschiede zwischen den Premiers Crus und den anderen Châteaux noch nie so klein waren wie heute. Und noch nie lagen so qualitativ schlechte Jahrgänge wie 2011, 2012 oder 2014 so nahe an den Spitzenjahren. Und doch zeigen sich die individuellen Charaktereigenschaften der einzelnen Châteaux eigentlich nach wie vor. Allerdings erst nach ein paar Jahren Reife.

Aber Sie haben selber kürzlich mal geschrieben, dass Sie manchmal den «Dreck» aus jener noch nicht ganz so perfektionistischen Epoche vermissen, die bis in die 90er Jahre hineinreichte…

Ja, noch in den 80er und 90er Jahren hat oft ein Hauch von Überreife mit Aromen von Korinthen, ein grünherber Touch oder Noten von feuchten Havanna-Zigarren in letztlich positiver Weise zur Komplexität vieler Bordeaux- Weine beigetragen. In der Rockmusik verlief die Entwicklung übrigens ganz ähnlich. Früher klangen eben viele Songs in verführerisch authentischer Weise etwas dreckig. Das gibt es heute nicht mehr.

Gehört für Sie auch die viel zitierte Brettanomyces zu diesem Dreck im positiven Sinne?

Ich selber verwende den Ausdruck Brettanomyces im Grunde genommen eigentlich nicht, klingt ja auch nicht besonders sexy und man kann sich aufgrund der Bezeichnung allein wenig vorstellen. Wenn aber ein Wein so einen edlen Anflug von Pferdesattel zeigt, wie beispielsweise der 1989er Château Pape Clément, spreche ich von einem grossen Bordeaux im traditionellen Stil.

Mögen Sie Bordeaux-Weine eher, wenn sie noch jugendliches Temperament zeigen, oder aber erst im reifen Stadium?

Junge Bordeaux zu trinken, ist für mich richtige Arbeit, nur gereifte Gewächse bereiten mir echtes Vergnügen. Deshalb trinke ich privat auch nur reife Weine. Bei den Bordeaux sind es gegenwärtig die Jahre 1996, 1998 und 2001. Eigentlich müsste auch der 1995er bereits dazugehören, ohne Zweifel ein grosses Jahr, doch die Weine wollen einfach noch nicht, sie stellen sich stur. Es scheint fast so, als stemmten sie sich gegen ihr Schicksal, getrunken zu werden. Aber das wird ihnen nicht gelingen.

Sie nennen sich seit kurzem «aktiver Weinrentner», das klingt schon nach etwas mehr Ruhe…

Ich reduziere jene Aktivitäten, die mir Stress bereiten. Mal schauen, was dann schlussendlich übrig bleibt. Ich kann es mir heute leisten, tagsüber ausführlich darüber nachzudenken, welchen Wein ich abends zum Essen aus dem Keller holen könnte. Und das ist für mich wahrer Luxus.

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