Der Wein, der übers Meer kam

Die Renaissance der Malvasia di Candia

Text: Christian Eder, Foto: Matteo Carassale, Anne-Emmanuelle Thion, gettyimages / Flavio Vallenari, z.V.g., Benedetto Tarantino

Einst die Herrscherin des Mittelmeeres wurde die Traube von der Reblaus fast ausgerottet. Heute erlebt die Malvasia di Candia eine Renaissance: In einigen ausgewählten Zonen, auf mediterranen Inseln und an Meeresufern entstehen aus der uralten Varietät Weine mit Persönlichkeit. 

Es gibt mehr als 70 Rebsorten, die den Namen Malvasia tragen: Viele davon sehen sich nicht einmal ähnlich, unterscheiden sich in Farbe und Morphologie – Avarega, Greca, Greco Bianco, Malvasia di Bosa, Malvasia Aromatica und Malvasia di Candia sind nur einige ihrer Namen. Die, von der wir hier sprechen, heisst Malvasia di Candia, diesen Namen hat die spätreifende weisse Sorte von der westkretischen Stadt Chania. Denn ursprünglich stammt die uralte Varietät aus Griechenland und hat sich von dort aus über das Mittelmeer und darüber hinaus verbreitet: Es gibt sie in Istrien ebenso wie auf Mallorca, Sardinien und Sizilien, Madeira und den Kanaren. Und sie ist vielleicht die eleganteste und mediterranste der Malvasia, ein Tausendsassa, ideal für süsse Weine aus angetrockneten Trauben, aber immer mehr auch für salzig-mineralische Weissweine geschätzt. Denn sie liebt die Nähe zum Meer.

Das sei aber nicht ihre einzige Präferenz meint Alberto Tasca: «Ihre zweite Leidenschaft sind vulkanische Böden», sagt der sizilianische Winzer, «gerade die Zusammensetzung der Mineralien und Spurenelemente, die sie hier findet.» «Hier», das sind die sieben Liparischen oder Äolischen Inseln im Nordosten Siziliens. Dort ist Malvasia seit Jahrhunderten heimisch, und dort hat sie auch Alberto Tasca vor mehr als 20 Jahren für sich entdeckt. Auf der Insel Salina, einer der sieben Inseln des Äolischen Archipels, hat seine Familie damals die Tenuta Capofaro erworben, Relais und Restaurant mit Blick aufs Meer eröffnet und natürlich auch in den Weinbau investiert, der auf Salina eine lange Tradition hat.

Süsse Besonderheit voller Charakter

Die Malvasia-Rebe kam 1622 mit einigen Venezianern, die vor türkischen Angriffen flohen, hierher. Die ersten Stecklinge sollen zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Capo Gramignazzi in der Gemeinde Malfa auf Salina gepflanzt worden sein: Im 19. Jahrhundert, als der Malvasia-Handel seinen europaweiten Höhepunkt erreichte, hatten ihn auch auf den Liparischen Inseln längst die Engländer in die Hand genommen. Sie sahen Potenzial, um fortifizierte Weine ähnlich wie im nahen Marsala zu produzieren.

1889 allerdings zerstörte die Reblaus die schon damals auf Quantität getrimmten Weinberge in nur eineinhalb Jahren. Verbunden mit dem Ausbruch des Vulkans auf der Insel Vulcano 1888 und des Vulkans auf Stromboli 1930 wurde ein Teil der Inseln entvölkert. Alleine zwischen 1900 und 1950 emigrierte rund ein Drittel der Bevölkerung. Rebbau wurde nur noch auf marginalem Niveau betrieben.

«Aber die Malvasia hat sich in sandig-vulkanischen Böden auch über die Reblausplage gerettet,» erzählte uns Carlo Hauner junior auf der Terrasse seines Weingutes im Südosten von Salina, «und auch als mein Vater hierher kam, gab es Bauern, die ihre Trauben antrocknen liessen und einen Passito daraus machten.» Wie auch in anderen Teilen des Mittelmeeres, wo die Traube wegen ihrer Kombination aus Zuckerreichtum und vifer Säure für elegante Dessertweine geschätzt wird.

Carlos Vater, der 1996 verstorbene Mailänder Designer Carlo Hauner, begann sie auf seinem frischgeborenen Weingut wieder anzubauen, als er sich in den 1960er Jahren in die Insel verliebte. Mit ihm begann die Renaissance der Malvasia delle Lipari, die ausschliesslich als Passito gekeltert wird. Gerade dieser bernsteinfarbene Wein verbinde die Macchia mediterranea mit der Mineralität der vulkanischen Böden, der Salzigkeit des Meeres und der Süsse der reifen Malvasia-Trauben zu einem Potpourri an Aromen, meint Carlo Hauner. Für die Gesundheit der selbst gegen Salz weitgehend immunen Trauben sorgt auch die Ventilation: Der Wind ist ein ständiger Begleiter auf den Äolischen Inseln, die ihren Namen dem Gott des Windes Äolus verdanken.

«Die Malvasia hat sich in sandigen, vulkanischen Böden auch über die Reblausplage gerettet.»

Aus getrockneten Trauben der Rebberge auf Salina produziert Hauners Familie heute drei verschiedene süsse Malvasie. Gemein ist ihnen der Traubenmix: 95 Prozent Malvasia und fünf Prozent Corinto Nero. Nach der Lese, die bis Oktober stattfindet, werden die Trauben auf Stroh getrocknet – zwischen zwei und vier Wochen, je nach gewünschtem Passito. Das Ergebnis ist stets eine mediterrane Weinpersönlichkeit: voller Charakter und mit salzig-mineralischer Eleganz, lang und anhaltend, die Säure und die Süsse in perfekter Balance.

Malvasia boomt

Aber die Kellerei Hauner ist längst nicht mehr allein: Heute produzieren auf den Liparischen Inseln rund ein Dutzend Winzer Wein. Hervorragende Passiti stammen von Fenech, Colosi, Florio, der Tenuta Castellaro auf Lipari oder Tascas Tenuta del Capofaro, um nur einige zu nennen. Und der Malvasia delle Lipari DOC boomt: Seit einigen Jahren würdigt ihn das Winzerkonsortium der Inseln beim Malvasia Day, bei dem man die Weine der Insel verkosten kann.

Idealerweise plant man dazu ein paar Tage Urlaub in einer einzigartigen Landschaft ein: Die Eilande sind seit 1981 Unesco-Weltkulturerbe und Naturschutzgebiet, ausser für Wein ist die Inselgruppe auch für ihre Kapern bekannt. Der Äolische Archipel besteht aus Alicudi, Filicudi, Lipari, Panarea, Salina, Stromboli und Vulcano. Herz des etwa 27 Kilometer langen Archipels ist aber Salina. Die Insel ist durch zwei Zwillingsberge dominiert: Monte della Fossa delle Felci (962 Meter) und Monte dei Porri (860 Meter). Dadurch erhielt die Insel in der Antike den Namen Didime dìdymos (das heisst «Zwilling» im Altgriechischen).

Didyme benannte auch Alberto Tasca seine trockene Malvasia, die als Salina IGT erscheint. «Denn gerade die trockene Variante der Malvasia gewinnt zunehmend an Bedeutung», meint Alberto Tasca. Seine Familie bewirtschaftet eine Handvoll Güter auch in anderen Teilen Siziliens – von der Insel Mozia bei Marsala über die Tenuta Regaleali im Inland bis zum Ätna. Aber besonders am Herzen liegen ihm Salina und die Malvasia: «Die mediterrane Macchia, die vulkanischen Böden sowie die Nähe zum Meer und der Wind verleihen der Malvasia-Traube hier eine unvergleichliche Mineralität und Aromenkomplexität, die sich auch im trockenen Weisswein wiederfindet», sagt Alberto Tasca. Wie im stahlgereiften Didyme 2020, der nach Blüten und mediterraner Macchia duftet und am Gaumen salzige Mineralität mit vifer Säure und Länge verbindet.



Auch Carlo Hauner produziert einen trockenen Terre Siciliane IGT Bianco, den Iancura, aus 90 Prozent Malvasia und zehn Prozent Inzolia. Iancura übrigens ist ein Wort aus dem lokalen Dialekt und bezeichnet das Phänomen, wenn man keinen Unterschied mehr zwischen dem Blau des Himmels und des Meeres ausmachen kann.

«Malvasia gedeiht hervorragend mit diesem Blick auf das Meer, die vom Wasser reflektierte Sonne trägt noch zusätzlich zur Reife der Trauben bei. Die dichten Weinblätter schützen die Trauben vor der Sonne und bewahren somit die Feinheit der Malvasia-Aromen», meint Alberto Tasca.

Beim Passito der Tenuta Capofaro bleiben die Trauben nach der Lese auf Strohmatten, bis sie den richtigen Trocknungsgrad erreicht haben. Die Gärung dauert 25 Tage, es findet keine malolaktische Gärung statt. Anschliessend wird der Wein sechs Monate in Edelstahltanks ausgebaut und reift dann weitere vier Monate in der Flasche. Das Ergebnis, der Malvasia Salina IGT Capofaro, leuchtet brillant goldfarben, Alberto lässt den geschliffenen Wein im Glas kreisen und meint: «Die ganzen Möglichkeiten der Malvasia sind noch nicht ausgeschöpft, immer wieder findet man auf den Inseln Lagen, die ganz eigene Weine hervorbringen.» Wie den Vigna di Paola, einen trockenen Lagenwein, den die Familie Tasca auf dem Weingut der Malvasia-Pionierin Paola Lantieri auf Vulcano keltert. Sandige Vulkanböden, nahe dem Meer in Südostposition.

Geniessen sollte man ihn idealerweise auf der Terrasse der Tenuta Capofaro auf Salina mit Blick auf den rauchenden Vulkankegel von Stromboli in der Ferne: 3000 Meter ist der permanent aktive Vulkan hoch, fast wie der Ätna, aber nur 926 Meter davon liegen über der Wasseroberfläche. Aber selbst dort, unter dem Vulkan, gedeihen in einem 8000 Quadratmeter grossen Rebberg Malvasia-Trauben. Gepflegt werden sie vom biologisch arbeitenden Salina-Winzer Nino Caravaglio. Der erste – trockene – Wein daraus soll noch heuer auf den Markt kommen.

Die Herrscherin des Mittelmeers

«Die unvergleichliche Mineralität und Aromenkomplexität findet sich auch im trockenen Weisswein wieder.»

Der allgemeinen Auffassung nach verdankt die Rebsorte Malvasia ihren Namen der Stadt Monemvasia (Moni Emvasis heisst «Hafen mit einem Eingang») am Peleponnes, wo die Venezianer im 13. Jahrhundert während der Kreuzzüge auf einen süssen, lagerfähigen Wein stiessen, der auch gut für den Transport geeignet war. Also begannen sie, die Reben in ihren Besitzungen, vor allem auf Kreta, anzupflanzen. Eine andere – kretische – Interpretation der Historie sieht die Rebsorte allerdings als ursprünglich kretisch an und ordnet dem Namen Malvasia einen lateinischen Ursprung zu – wie die Bezeichnung Malvisin (Mali vicino = schlechte Nachbarn) – von dem auch das Castel Malvesin (Fort Malevizi) im Dorf Keramoutsi im Stadtteil Malevizi in Heraklion seinen Namen hat. Wie auch immer, der Rebe war auch auf Kreta schnell Erfolg beschieden: Von den 60 000 Fässern, die Ende des 16. Jahrhunderts aus Kreta exportiert wurden, waren der grösste Teil Malvasia und Muscat. In der Lagunenstadt war Malvasia schon wenig später so erfolgreich, dass einige Tavernen nur mehr diesen Wein verkauften. Zwischen 1300 und 1600, auf dem Höhepunkt der Macht Venedigs, wurde Malvasia gar zum berühmtesten Wein Europas: Die Engländer nannten ihn Malmsey, die Spanier Malvagia, die Deutschen Malvasier und die Franzosen Malvoisie.

Durch die osmanische Expansion verloren die Venezianer jedoch 1669 die Insel Kreta und damit den grössten Teil der Produktion. So wurde die Rebsorte in anderen von den Venezianern kontrollierten Gebieten wie Istrien, der Adriaküste, in Venezien und Friaul verstärkt angebaut. Auch auf Sizilien und Sardinien, auf den Balearen, im Hinterland von Barcelona und auch auf den Kanarischen Inseln und Madeira wurde die Rebsorte verbreitet. Selbst der Rebberg von Leonardo da Vinci in den Colli Piacentini in der Emilia Romagna – der vor wenigen Jahren restauriert wurde – war einst und ist jetzt wieder mit Malvasia di Candia bestockt.

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Tasca – Tenuta Capofaro
Salina IGT Malvasia Vigna di Paola 2021

17.5 Punkte | 2022 bis 2026

Seitdem die Familie Tasca auf Vulcano die Rebberge von Paola Lantieri bewirtschaftet, wird auf 4,5 Hektar der Vigna di Paola gekeltert: facettenreich in der Nase mit Noten von Blüten, Litschi und Holunder; die Textur mineralisch-salzig und mit Charakter, verbindet Eleganz und Struktur.

Tasca – Tenuta Capofaro
Salina IGT Malvasia Capofaro 2019

18 Punkte | 2023 bis 2029

Das feinziselierte Bouquet des stahlgereiften Passito vereint Noten von gedörrten Aprikosen mit Pfirsich und Zitrusfruchtaromen, fein würzig; im Mund geschliffen, perfekt ausbalanciert zwischen der Säure und der Süsse, elegant und lang. Zur Pasticceria oder auch allein ein Genuss.

Hauner
Malvasi delle Lipari DOC Passito 2020

18.5 Punkte | 2023 bis 2035

Opulente Noten von Honig, reifem Steinobst, Mandeln, auch Orangenzesten und Macchia-Aromen; der Auftakt punktgenau, Süsse und Säure perfekt ausbalanciert, auch salzige Nuancen, endet lang und ausgewogen auf Noten von Nougat und gedörrten Früchten.

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