Eng mit einer Region verbunden

Montepulciano d’Abruzzo

Text: Christian Eder, Foto: gettyimages/Diego Fiore, Consorzio di Tutela Vini d’Abruzzo

  • Die Rebberge erstrecken sich in den Abruzzen von Hügel zu Hügel, immer ist aber der Einfluss von Meer und Bergen dominant.

Nur wenige Weine sind in Italien so eng mit einer Region verbunden wie der Montepulciano d’Abruzzo. Dabei ist die autochthone Rebsorte ein Hansdampf in allen Gassen: Man kann genauso gut einen eleganten Rosé daraus keltern wie süffige Trinkweine für wenig Geld oder lagerfähige Kreszenzen, die mit zum Besten gehören, was der Stiefel zu bieten hat.

Ottaviano Pasquale schnappt sich den schmiedeeisernen Schlüssel vom Regal und führt uns die schmale Gasse hinab in den Keller seines Gutes Praesidium. Eigentlich ist es kein Weinkeller, sondern es sind mehrere in den Fels gehauene Gewölbe – verteilt auf die Häuser im Ortskern des Gebirgsdörfchens Prezza und jedes mit einem separaten Eingang. In einigen lagern die grossen und kleinen Holzfässer, in anderen Flaschen, und in einem wurde eine Zwischendecke entfernt, um Platz zu schaffen für einen grossen stählernen Vinifikationstank, der vor Ort zusammengeschweisst wurde. Hier gärt gerade der Montepulciano des neuen Jahrgangs vor sich hin.

Es ist Mitte Oktober, und die Trauben der autochthonen roten Rebsorte der Abruzzen hängen in den Rebhügeln bei Prezza zum Teil noch am Stock. Gerade hier, im Inland in der Provinz L’Aquila im Schatten der schneebedeckten Gebirgszüge Gran Sasso und Majella, benötigt die spätreifende Traube etwas mehr Zeit als an der Küste oder in den sanften Hügellagen im Hinterland von Chieti, Pescara oder Teramo. Denn je nach Höhenlage und Ursprung auf kalkhaltigen, sandigen oder lehmigen Böden bringt die terroirempfindliche Rebsorte elegante, fein ziselierte oder kraftvolle fruchtbetonte Weine hervor. Aber auch die gute Ventilation der Rebberge durch die Fallwinde des Apennins und die Brisen des Adriatischen Meeres tragen zum Facettenreichtum der produzierten Weine bei.

L’Aquila im abruzzesischen Inland ist allerdings die einzige der vier Provinzen der Region, die keinen Zugang zum Meer hat. Der Rebbau macht hier gerade mal ein Prozent der gesamten Produktion der Abruzzen aus, der Rest sind Gebirgszüge, Wälder und Bergwiesen. Dafür entstehen hier Weine mit Eleganz und Säure, Montepulciano ebenso wie weisse Rebsorten, die lange reifen können.

Ottavianos Weinberge liegen in 400 Metern Meereshöhe und damit in einer der höheren Positionen, auf denen Montepulciano in den Abruzzen reift. Sein biologisch produzierter Montepulciano gedeiht unterhalb von Prezza in der Ebene mit Blick auf die gegenüberliegende Stadt Sulmona, die Heimat des roten Knoblauchs. Ottaviano zieht seine Reben – anders als viele seiner Kollegen, die die Abruzzesische Pergola bevorzugen – auf dem Drahtrahmen. «Dadurch können sie in unseren Positionen perfekt ausreifen», erklärt er. Gelesen werden dann maximal 40 bis 50 Doppelzentner pro Hektar und natürlich nur vollreife Trauben, wie der Winzer betont. Im Keller wird spontan vergoren, die weissen und roten Moste und Weine werden weder gefiltert noch dekantiert. Ziel sei es, seit seine Eltern das Gut 1988 aus der Taufe gehoben haben, einen ursprünglichen Wein zu kreieren, eine Verbindung zwischen Mensch und Natur. Das sei eigentlich ganz simpel, meint er: «Im Rebberg müssen wir nur der Natur assistieren, dann ist das Produkt gut», sagt Pasquale, «und im Keller reduzieren wir alles auf das Essenzielle.»

«Montepulciano ist eine schwierige Rebsorte», meint er etwas später, als wir vor einem Glas seiner Montepulciano Riserva 2015 sitzen, «um Topqualität zu erreichen, muss man präzise im Weinberg und im Keller arbeiten.» Schonenden Holzeinsatz würde die Rebsorte nicht nur sehr gut vertragen, sondern auch benötigen, meint der Winzer. «Nach der Extraktion braucht der Wein Holz, um sich abzurunden, an Harmonie zu gewinnen.»

«Die ausserordentliche Vielfalt der Terroirs unserer Tenute in allen vier Provinzen erlaubt uns, die Rebsorten der Abruzzen unterschiedlichst und doch mit einem Radius von 360 Grad zu interpretieren.»

Marina Cvetic, Masciarelli

Terroirweine par excellence

Das demonstriert er bei einer Verkostung seiner Montepulcianos: Die Riserva duftet nach Amarenakirschen und Blüten, ist voller Eleganz und Schliff. Verführerisch ist aber auch sein Cerasuolo d’Abruzzo Superiore: Diese Rosé-Variante der Montepulciano-Traube bleibt nur wenige Stunden auf den Schalen, um die Inhaltsstoffe zu extrahieren, und reift dann einige Monate in Stahl. Das Ergebnis ist floral, finessenreich, mit knackiger Säure und Struktur und auch überraschend langlebig.

Denn Montepulciano ist ohne Zweifel eine der grossen und wandlungsfähigsten Rebsorten Italiens. Ob Rosé, ob als stahlgereifter Trinkwein oder als langlebige Riserva: Immer spielt sie in der Topliga Italiens und ist auch die Basis von Terroirweinen par excellence. Einer der Ersten, der an diese Eigenschaft glaubte, war Gianni Masciarelli, neben Edoardo Valentini und Emidio Pepe einer der Pioniere des Qualitätsweinbaus in den Abruzzen. «Unendlich viele verschiedene Terroirs findet man in den Abruzzen», sagte er einmal, «fast jedes Tal unterscheidet sich vom anderen in Bodenstruktur und Mikroklima.» In seinen Weinen versuchte er, diesem Goût de Terroir Rechnung zu tragen.

Nach seinem frühen Tod führt seine Frau Marina Cvetic mit ihrer Tochter Miriam das Weingut fort und bewirtschaftet mehr als 300Hektar Rebberge in allen vier Provinzen der Abruzzen. Die daraus gekelterten terroirbezogenen Montepulciano-Interpretationen verkosten wir im Gewölbe des «Castello di Semivicoli», eines kleinen Boutique-Hotels im Ort Casacanditella, das Marina und Gianni vor mehr als zehn Jahren restauriert haben.

Die Palette der daraus produzierten Montepulciano-Weine reicht vom fruchtigen, nach dunklen Beeren duftenden Iskra aus dem Gebiet von Controguerra in der Provinz Teramo im Norden über die floral duftende Riserva Marina Cvetic bis zur Riserva Villa Gemma: Dieser reinsortige Montepulciano stammt von lehmig-kalkhaltigen Böden in einer Einzellage nahe der Kellerei von San Martino sulla Marrucina in 400 Meter Meereshöhe und betört mit seiner herzhaften und doch überaus eleganten Machart sowie den Aromen von Schwarzbeeren und Veilchen.

Casacanditella liegt mitten in der Provinz Chieti, dem pulsierenden Herzen des Weinbaus in den Abruzzen: Vier Fünftel der Reben wachsen hier von der Meeresküste bis zu den Vorbergen des Apennins, die meisten der grossen Genossenschaftskellereien, die das Gros der Abruzzenweine produzieren, haben hier ihren Sitz. Aber obwohl vieles, was als Montepulciano d’Abruzzo DOC weltweit noch in den Regalen steht, einfache und kostengünstige Trinkweine sind, setzen auch die Genossenschaften – allen voran Tollo und Citra – immer mehr auf Terrorweine, Selektionen oder Einzellagen. Um die unterschiedlichen Aspekte von Montepulciano und anderen Rebsorten zu betonen, arbeitet das Winzerkonsortium der Abruzzen an der Schaffung von Unterzonen, die auf die territoriale Typizität Rücksicht nehmen, erzählt uns Davide Acerra, der Direktor des Consorzio di Tutela Vini d’Abruzzo. Alto Tirino, Casauria, Teate, Terre dei Peligni und Terre dei Vestini gibt es bereits.

Im Reich der Villamagna DOC

Eine eigenständige Produktionszone ist auch Villamagna DOC in der Provinz Chieti. Sie erstreckt sich über die Rebberge der gleichnamigen Gemeinde, in der sich im Jahr 2011 sechs kleine Kellereien zusammengeschlossen haben. «Wir wollten die Besonderheit unserer Rebberge hervorheben, die sich kaum mit anderen in der Region vergleichen lassen», sagt Alessio d’Onofrio, «dafür sorgen auch die felsigen Böden, die für präzise und punktgenaue Weine stehen.» Strenge Produktionsregeln tragen das Ihrige zur Qualität der Villamagna-Weine bei: Die Rebsorte Montepulciano muss zu 95 Prozent Bestandteil sein, und ein Villamagna DOC darf erst zwölf Monate nach der Lese auf den Markt kommen, eine Riserva 24 Monate. Alessio ist mit seiner 1997 gegründeten Kellerei Cascina del Colle auch einer der wichtigsten Protagonisten der kleinen Ursprungszone, ein Biobetrieb, dessen Rebberge auf etwa 300 Metern Meereshöhe auf der Kuppe zwischen zwei der unzähligen Flusstäler der Abruzzen liegen. Seine kompakte Villamagna DOC Riserva 2017 bleibt acht Monate in kleinem Holz und zeigt die Charakteristika der Anbauzone: Beerenaromatik der Rebsorte im Einklang mit den eleganten Tanninen und der Säure.

Im Schatten der Pergola

Alle Reben der Cascina del Colle werden noch auf dem Tendone gezogen, der schattigen Bedachung der Pergola Abruzzese, von der Alessio überzeugt ist: «Sie gibt den Weinen Balance: Gerade an heissen Tagen sorgt das Blätterdach für Kühlung und Schutz der Trauben.»

Montepulciano ist in diesem kleinen Weingut aber nicht nur die Basis des Villamagna DOC, sondern auch einer Handvoll anderer Kreszenzen: Vom knackigen Cuvee 71 Cerasuolo d’Abruzzo DOCG über den im Stahl ausgebauten Montepulciano d’Abruzzo DOC Mammut bis zum 18 Monate in Holz gereiften Montepulciano d’Abruzzo DOC Negus. «Das ist das Besondere am Montepulciano», erklärt Alessio, «sein Facettenreichtum: Man kann ihn als Rosé ausbauen, in Stahl reifen oder in Holz legen. Aber immer interpretiert er sein Ursprungsgebiet.»

Wie bei Ottaviano Pasquale in Prezza. Dort haben wir inzwischen den letzten Schluck seines Cerasuolo Superiore getrunken, dazu ein paar Scheiben des lokalen würzigen Prosciutto und etwas Schafskäse probiert. Als krönenden Abschluss stellt Ottaviano uns nun noch seinen Ratafià auf den Tisch: Diese Spezialität der Abruzzen ist eine Essenz aus Montepulciano und Amarenakirschen, die mit Kräutern angereichert ist. Während im Cerasuolo gerade noch Blüten und Meeresbrisen ihren Duft verströmten, verbinden sich im Ratafià die reifen Kirscharomen der Montepulciano gar mit der Würze der Bergweiden des Gran Sasso und der Majella zu einem wunderbaren Potpourri der Düfte der Abruzzen.

Reisetipps

Die Region Abruzzo erstreckt sich von den Adriastränden bis auf die nahezu 3000 Meter hohen Gipfel der Gebirgszüge Gran Sasso und Majella, auf denen man im Winter Ski fahren und im Sommer wandern kann. Aus Meer und Bergen holt sich auch die facettenreiche Küche der Region ihre Zutaten: Das reicht vom frischen Fisch über Schafskäse bis zu Pilzen und Trüffeln. Ein Gericht, das übrigens ganzjährig auf den Tisch kommt, sind Arrosticini Abruzzesi, kleine gegrillte Spiesschen aus Schaffleisch, die man an fast jeder Ecke der Abruzzen findet.

Castello di Semivicoli

Via S. Nicola, 24,
I-66010 Semivicoli, Casacanditella
www.castellodisemivicoli.it

Das von Gianni Masciarelli und Marina Cvetic erworbene Schloss auf der Kuppe des Dörfchens Casacanditella ist heute ein Boutique-Hotel mit einer Handvoll stilvoller Zimmer und hervorragender Küche, die allerdings nur den Hotelgästen vorbehalten ist. Pool im Garten bzw. Panoramablick gibt’s gratis dazu.

Ristorante Lo Scudo

Corso Giuseppe Garibaldi, 39
I-66054 Vasto
www.ristoranteloscudo.it

Die Brodetto, die Fischsuppe, ist eine Spezialität von Vasto im Süden der Region. Im «Lo Scudo» wird sie aus dem Fang des Tages kreiert. Der Nachschlag ist Teil des Menüs: Wenn der Fisch verzehrt ist, wird die Suppe aufgekocht und mit Spaghetti alla Chitarra serviert. Dazu passt am besten ein Cerasuolo d’Abruzzo von der hervorragenden Weinkarte.

Trabocco Punta Fornace

Via Cristoforo Colombo
I-66038 Marina di San Vito
Tel. +39 345 306 49 20

Die Trabocchi, die ehemaligen hölzernen Fischfangplattformen, findet man entlang der Costa dei Trabocchi südlich von Pescara. Eine der stimmungsvollsten liegt an der Via Verde, einem 42 Kilometer langen Radwanderweg: Hervorragend die stets frische Fischküche, die man auf der Terrasse über dem Meer geniesst.

Pasticceria La Margherita

Corso G. Matteotti, 49
I-66038 San Vito Chietino
Tel. +39 0872 61 80 35

Celli Pieni sind mit Traubenkonfitüre gefüllte süsse Kekse, die traditionell zu hohen Festtagen gebacken wurden. Sie passen hervorragend zum süssen Vino Cotto, dem gekochten und in Holz vergorenen Wein. Zu kaufen gibt es sie in der Pasticceria im Dorf San Vito Chietino.

Via Verde

www.viaverdedeitrabocchi.info

Wo einst die Eisenbahn entlang der Küste verlief, sind heute Radfahrer unterwegs: Längs der Costa dei Trabocchi wurde auf der ehemaligen Schienentrasse die Via Verde geschaffen. Auf ihren 42Kilometern und meist nur wenige Meter vom Meer entfernt passiert sie historische Städte wie Ortona oder Vasto. Übernachten kann man in Hotels, auf Campingplätzen sowie in Bed & Breakfasts und in charmanten Restaurants auf den Trabocchi – den Holz-Fischplattformen – kann man die lokale Fischküche geniessen.

Roter Star von der Adria

Ob als roséfarbener Cerasuolo, fruchtiger Jahrgangs-Montepulciano oder Riserva: Die spätreifende Montepulciano ist trotz ihres Facettenreichtums stets wiedererkennbar. Dabei gehört sie gerade bei Riservas und Selektionen zu den Spitzen Italiens und wird gerne in einem Atemzug mit Sangiovese und Nebbiolo genannt. Hier ein paar Tipps für den Keller.

RangBeschreibung
1
17,5/ 20
Punkte
Abruzzen, Italien
Illuminati
2
17,5/ 20
Punkte
Abruzzen, Italien
Cantina Tollo
3
17,5/ 20
Punkte
Abruzzen, Italien
Torre dei Beati
4
17,5/ 20
Punkte
Abruzzen, Italien
Zaccagnini
5
17,5/ 20
Punkte
Abruzzen, Italien
Masciarelli
6
17,5/ 20
Punkte
Abruzzen, Italien
Cantina Emidio Pepe
7
17,0/ 20
Punkte
Abruzzen, Italien
Codice Citra
8
17,0/ 20
Punkte
Abruzzen, Italien
Praesidium Vini
9
17,0/ 20
Punkte
Abruzzen, Italien
Tenuta Ulisse Società Agricola A R.L.
10
17,0/ 20
Punkte
Abruzzen, Italien
La Valentina

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