Wasser zu Wein kennen wir seit der Hochzeit zu Kana. Wasser im Wein gibt es bei der Schorle, kam aber auch in zahlreichen Weinskandalen vor und war in Deutschland sogar lange Zeit legitim durch die sogenannte Nassverbesserung mit Zuckerwasser, die an der Mosel erst mit dem Jahrgang 1985 verboten wurde. Noch relativ neu ist die Wortkombination Wein (oder Champagner) im Wasser. Gehen Sie mit uns auf Tauchstation.
Ab 2010 nahm alles Fahrt auf mit dem Fund eines Schiffswracks in der Ostsee. Diese war mit Untiefen, Stürmen und schlechtem Wetter nie ein leicht zu befahrendes Gewässer. Rund 16'000 Schiffe sollen im Lauf der Jahrhunderte hier ihr Grab gefunden haben. Taucher entdeckten vor elf Jahren in einem solchen Wrack über 160 Flaschen Champagner, die rund 170 Jahre in der Tiefe verbracht hatten. Mehr als die Hälfte der uralten Prickler von Veuve Clicquot und Heidsieck waren noch trinkbar. Sie hatten zwar ihr schäumendes Temperament eingebüsst, schmeckten aber nach den Eindrücken von Verkostern durchaus gehaltvoll und fruchtig. Einen Teil der Flaschen bekam das Champagne-Haus, wo sie teilweise für Laboruntersuchungen geöffnet wurden.
Was den Fund so bemerkenswert machte, waren dessen Alter und auch die Ergebnisse, die hinterher für Einzelflaschen und kleine Kollektionen bei Auktionen erzielt wurden. Eine Einzelflasche Clicquot kam für 30'000 Euro unter den Hammer, elf Flaschen wechselten für 125'500 Euro den Besitzer. Das rückte den Fund, der 1998 in einem nördlichen Ausläufer der Ostsee zwischen Schweden und Finnland gemacht wurde, in den Schatten. Hier wurden zwar gleich 2800 Flaschen Champagner entdeckt, die 1916 inklusive Schiffshülle von einem deutschen U-Boot versenkt wurden. Einzelflaschen wurden später für bis zu 10'000 Euro versteigert. «Honigartig, feiner Duft» ist eine Erinnerung des Hamburger Master-Sommeliers Hendrik Thoma, der einen Heidsieck Diamond Bleu 1907 verkosten konnte. Solche Ereignisse regten das Haus Veuve Clicquot zu einem Langzeitversuch an. 350 Flaschen mit vier unterschiedlichen Sorten liegen seit einigen Jahren in einem Stahlkäfig am Meeresgrund. Dauer des Experiments: 50 Jahre, unterbrochen von gelegentlichen Vergleichstests. Die Gefahr, dass das Champagne-Haus eines Tages den eigenen Keller, ein Unesco-Welterbe, unter Wasser setzt, besteht wohl nicht…
Dafür aber gibt es immer mehr Weinproduzenten, die erkannt haben, dass eine Weinlagerung im Meer durchaus positive Einflüsse auf den Wein haben kann. Als da sind: die dauerhaft kühle, dunkle Lagerung, das sanfte Schaukeln im Wasser mit etwas Abwechslung durch die Gezeiten, ein leichter Einfluss des Wasserdrucks. Ein osmotischer Austausch findet statt. Auch die Mondzyklen und selbst das Salzwasser können trotz hermetischer Kork-Abschottung etwas Einfluss nehmen. Unterschiedlich sind die Erfahrungen damit, ob der Wein langsamer oder schneller reift. Eines ist bei manchen Vergleichsproben mit demselben Tropfen, gelagert im Keller, feststellbar: Der im Wasser gelagerte Wein wird, zumindest um Nuancen, manchmal sogar deutlich, besser.
Pionierarbeit, die lohnt
Nehmen wir den Wein von einem Pionier auf diesem Feld: Antonio Palacio von der Crusoe Treasure Winery beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit diesem Thema. 2009 startete er mit 27 Weinen aus 14 spanischen Regionen unter Mithilfe eines Önologen-Teams. An der Nordküste Spaniens hat er regelmässig rund 20'000 Flaschen versenkt, das ist die maximal genehmigte Menge. Der Unterwasserkeller, aus dem die Flaschen nach der Lagerung mit Algen und sonstigen Meeresrückständen herausgeholt werden, muss so gestaltet sein, dass sich die Fischwelt nicht gestört fühlt. Darauf achten gleich einige Behörden und natürlich die Fischer vor Ort. Einen Rotwein konnte VINUM im Vergleich verkosten. Der aus dem Meer war farblich intensiver und geschmacklich eleganter. Analytisch gab es keinerlei Unterschiede, wie das Weinlabor Klingler in Waiblingen feststellte. Dort war man auch unserer Meinung, dass der «Meer-Wein» der bessere ist. Die deutsche Vertriebsfirma Vincent Becker hofft jetzt, dass demnächst ein schon angebahntes, aber wegen Corona auf Eis gelegtes Geschäft mit einer Kreuzfahrt-Gesellschaft wiederbelebt werden kann. Hat doch etwas für sich: auf hoher See den Wein geniessen, der in tiefer See reifte.
Palacio sieht sich als Vorreiter in der Szene. Für den 12./13. August 2021 ist sogar zum zweiten Mal ein Underwater Wine Congress in Bilbao geplant. 2019 konnte er immerhin rund 50 Teilnehmer begrüssen, die sich offenbar einig waren, dass die unter Wasser gereiften Weine schon in relativ kurzer Zeit komplexer geraten. Aber es wurde auch mahnend der Zeigefinger gehoben. Es könnten immer mehr Weingüter den Stil kopieren, um vom wachsenden Interesse in dieser Nische zu profitieren.
Modeerscheinung mit Visionen
In der Tat finden sich inzwischen eine Reihe von Erzeugern in verschiedenen Ländern, die im Meer, in Seen und sogar im tiefen Brunnen aktiv sind. Darunter ist auch ein besonders sympathisch anmutendes Projekt eines Paares, sie aus Nordspanien, er aus Ungarn und elterlich vorbelastet mit einem kleinen Familienbetrieb in der Heimat. Mariona Alabau Peyra, 36, und Gergo Borbély, 32, sind beide begeisterte Taucher und zugleich Naturfreunde, die gemeinsam schon weltweit unterwegs waren.
Angeregt vom Champagner-Fund in der Ostsee gründeten sie ihre Underwater Winery und machten sich auf die Suche nach geeigneten Weinen. Fündig wurden sie beim Weingut Scala Dei im Priorat (Katalonien), wo eine Cuvée aus Grenache, Carignan, Cabernet Sauvignon und Syrah zusammengestellt wurde, die zunächst ein Jahr in Barriques reifte. 774 Flaschen wurden schliesslich abgefüllt und – gut am Korken mit Wachs ummantelt – sechs Monate in 20 Meter Tiefe vor der Costa Brava versenkt. Danach konnten einige Proben im Vergleich an ein ausgewähltes Publikum verschickt werden. Das Ergebnis: Der normale Wein war schon richtig gut, aber das Gegenstück eine rote Offenbarung, tiefgründig, geschmeidig, temperamentvoll. Der Preis ist für den hier betriebenen Aufwand nicht hoch (99 Euro), wenn man bedenkt, dass der Kultwein L’Ermita von Alvaro Palacios aus dem Priorat nicht unter 800 Euro zu haben ist – und ganz normal im Keller heranreifte.
Fast zwangsläufig ist der Unterwasser-Wein inzwischen eine Modeerscheinung mit unterschiedlichen Versionen. In Kroatien gibt es die Weinkellerei Edivo Vina, die Wein in Amphoren verpackt, bevor er ein bis zwei Jahre untergeht. Danach haben sich Muscheln und Algen auf den Gefässen angesetzt; der Inhalt soll sich verbessert haben. Das 160-Hektar-Weingut Ervideira in Alentejo (Portugal) brachte schon 30'000 Flaschen für acht Monate in einem künstlichen See unter. Die Kellerei Bisson de Chiavari in Ligurien begann bereits 2009 mit 6500 Flaschen Schaumwein am Meeresgrund im Golf von Tigullien; heute sollen es 30'000 Flaschen Meeres-Reserve sein. Ein DOC Vermentino der Cantina Santa La Palma in Sardinien soll sogar in einem Meeresschutzgebiet einen Lagerplatz gefunden haben.
In Griechenland platzierte das renommierte Weingut Gaia seinen Assirtiko Thalassitis von Santorini in der Tiefe. Der Wein hat mittlerweile Kultstatus und wird auch deshalb teuer verkauft, weil ein Teil des Depots vermutlich Beute von kundigen Tauchern wurde. Griechische Konkurrenz erwächst demnächst durch den jungen Efthymios Apostolidis, der bei Aldinger in Fellbach praktizierte und jetzt bei Kavala im griechischen Norden 1000 Flaschen Assirtiko-Sekt in 25 Meter Tiefe versenkte. Im Oktober wird «geerntet». Das Ausgangsprodukt ist gut, das Projekt könnte erfolgreich sein. Und weil «Efthy» sehr neugierig ist, hat er noch etliche Flaschen im Sand am Strand vergraben, um herauszufinden, was Ebbe und Flut mit Sekt anstellen…
Auch Wasser-Experimente in Deutschland
Auch Deutschland blieb nicht aussen vor. 2010 startete das Weingut Balthasar Ress in Hattenheim einen Test mit Riesling, der in einem Baggersee lag. Drei Jahre später wurde im Beisein von Önologie-Professor Rainer Jung von der Uni Geisenheim verglichen. Das Resultat, so Jung: «Der im See gelagerte Wein hatte eher die Charakteristik eines jungen Rieslings mit noch verschlossener, reduktiver Duftnote.» Das Experiment wurde nicht fortgesetzt. Frank John, biodynamischer Hausherr im Weingut Hirschhorner Hof in Neustadt an der Weinstraße, pflegt das Motto «Grosse Weine, alte Schule». Er war, bevor er sich 2002 selbstständig machte, als Weinberater international unterwegs. Aktuell musste er einige Touren in die Bretagne unternehmen, wo ihm das auf Meeres-Lagerung spezialisierte Haus Amphoris zum zweiten Mal 120 Flaschen 2014er Riesling-Sekt Grand Marée in 60 Meter Tiefe deponierte. Der Standort wurde nach der Beschaffenheit des Bodens und der mässigen Strömung ausgewählt. Um den Papierkram mit den Behörden musste sich John nicht kümmern. Das Ergebnis ist, so Amphoris, «für einen Nischenmarkt im Standard der Luxusbranche» bestimmt. Die Flaschen werden zugeteilt. Der Hamburger Weinhändler Heiner Lobenberg gehört zu den Glücklichen. Er verkauft die Flasche für 150 Euro und schwärmt: «Einzigartig, brillante Frische.»
In einer ähnlichen Preislage agiert die Moselwinzerin Sarah Gessinger aus Zeltingen, deren Vater Albert schon lang vor der Wasser-Mode 200 Flaschen Riesling Auslese 1998 in einem alten Brunnen versenkte und diesen dann unter Wasser setzte. Erst 20 Jahre später begann man langsam mit dem Verkauf im Doppelpack: Brunnenwein, mühsam geborgen, mit dem normal im Keller gereiften Riesling für 290 Euro. Der Korken hatte unter Wasser nicht gelitten, er war sogar elastischer. Der Effekt auf den Wein, so Sarah: «Er hatte eine frischere Note.» Etwa hundert Flaschen liegen aktuell unten.
Wellentänzer im See
Und dann gibt es noch einen Schweizer und einen Österreicher, die eine Partnerschaft bei der Weinreifung im See eingegangen sind. «Erfinder» war Winzer Fabian Sloboda aus Podersdorf (Burgenland), der eine doppelwandige Edelstahl-Boje kreierte, die 700 Liter Grauburgunder fasst. Das Gerät mit dem Wein auf der Hefe wurde für 144 Tage im Neusiedlersee versenkt. Das Bundesamt für Weinbau begleitete das Unternehmen wissenschaftlich. Auf die Idee kam Sloboda durch Berichte über Louis-Gaspard Estournel (1753–1844), der Cos d’Estournel gründete und seine Bordelaiser Gewächse nach Arabien und Indien verkaufte. Dabei stellte er fest, dass die sanfte, schaukelnde Bewegung der Fassweine auf dem Schiff der Qualität förderlich war. Nachdem Schiffstouren auf dem weitgehend flachen Neusiedlersee nicht möglich sind, entschloss sich Sloboda zur Variante mit der Boje. Ein Name für den Wein war schnell gefunden: Wellentänzer.
Dieser machte durch gute Bewertungen in diversen Medien auf sich aufmerksam, so dass der Schweizer Kollege Robert Irsslinger aus Wangen 2019 eine Partnerschaft einging, allerdings mit einer etwas grösseren, in der Schweiz nachgebauten Boje (1000 Liter) und mit der Piwi-Sorte Johanniter. Ende März wird der Jahrgang 2020 aus dem Zürichsee gehoben und dann im April abgefüllt.
Grenzen zu diesem Thema gibt es nicht. Das macht eine Aussage der tauchenden Weinmacherin Mariona Peyra deutlich: «71 Prozent unseres Planeten sind mit Wasser bedeckt. Wir können noch viel Weinwirtschaft unter Wasser bringen.»