Weinkritikerin über die Entwicklung des deutschen Weins
Jancis Robinson im Interview
Text: Harald Scholl; Foto: z.V.g.
Jancis Robinson, wie sehen Sie die Entwicklung des deutschen Weins in den letzten 20 bis 25 Jahren?
Ich würde sagen, deutsche Weine haben sich dramatischer verändert als Weine in jedem anderen Land, an das ich denken kann. Vielleicht mit der Ausnahme von Weinen, die in anderen relativ kühlen nördlichen Ländern wie Kanada und England hergestellt werden. Als ich in den 1970er Jahren anfing, deutschen Wein zu trinken, war viel zu viel davon kraftloses Zuckerwasser aus unreifen Trauben und grob gesüsst. Und die Roten waren definitiv keine, die waren blassgrau-rosa. Dann wurden die Sommer wärmer, und es gab eine Zeit, in der es so aussah, als würden die Winzer darum konkurrieren, wer mehr Alkohol in die Weine bekommen kann, und legten sie wenig inspiriert in Holzfässer. Aber ich denke, jetzt sind wir an einem perfekten Punkt in der Entwicklung der deutschen Weine. Die Sommer sind warm genug, um die Trauben vollständig reifen zu lassen, und mit dem Holz können die Winzer umgehen.
Hat er nach Ihrer Meinung den Anschluss an die grossen Weinnationen geschafft?
Jeder, der die besten deutschen Spätburgunder probiert, kann keinen Zweifel daran haben, dass sie zu den besten der Welt gehören – vielleicht nicht so gut wie Romanée-Conti, aber mit Sicherheit so gut wie viele Grand Crus aus Burgund. Was die besten Rieslinge betrifft, kommt kein anderes Land der Qualität und Quantität der guten Exemplare nahe. Es ist eine grosse Bereicherung für Deutschland, dass jetzt so viel trockener Riesling höchster Qualität produziert wird, dazu kommen die einzigartigen leichteren, fruchtigeren Stile. Trotzdem bleibt es ein Problem, dass der Riesling eine so unverwechselbare Traube ist und manche Menschen ihn niemals lieben werden. Unglücklicherweise. Und auch im Silvaner-Feld kommt niemand nur in die Nähe der Deutschen. Allerdings ist die Anzahl der wirklich hochwertigen Weissburgunder, Grauburgunder und Chardonnays noch zu gering, um Deutschland allein als eine grossartige Weinnation qualifizieren zu können. Trotzdem, ja, Deutschland gehört definitiv zu den grossen Weinnationen – mit den genannten Einschränkungen.
Die Wahrnehmung von Wein ist immer auch abhängig von den Persönlichkeiten dahinter, von Winzerinnen und Winzern, auch von Verbandsfunktionären. Wie sehen Sie den deutschen Wein personell aufgestellt?
Ah, das ist eine sehr interessante Frage. Um auf den Exportmärkten echte Fortschritte zu erzielen, benötigen Weinregionen oder -länder farbenfrohe Charaktere, die die Sprache des Zielmarktes sprechen. Ich fürchte, dass es Deutschland mit Ausnahme von Ernie Loosen an extrovertierten Persönlichkeiten mangelt! Wir Journalisten haben nicht genug Menschen, um die wir unsere Geschichten schreiben können. Die Weine mögen erhaben sein, aber das drückt sich nur in den Verkostungsnotizen aus, nicht in den Geschichten drumherum. Die Ziereisens wären vielleicht gute Kandidaten, aber sie scheinen zu beschäftigt auf dem Weingut zu sein, um viel zu reisen. Kann es sein, dass das typische deutsche Weingut zu klein ist, um seinen Besitzern das Reisen zu ermöglichen?
Wo liegen aus Ihrer Sicht die besonderen Stärken des deutschen Weins? Gibt es etwas, das ihn unverwechselbar macht?
Unverwechselbar sind Riesling und Silvaner– und der nicht zu hohe Alkoholgehalt. Die Weine altern hervorragend und können ihr Terroir schön ausdrücken. All diese Attribute sind derzeit sehr in Mode. Diese Weine passen auch wunderbar zum Essen, besonders zu den würzigeren und süsseren Gerichten, die heute so beliebt sind.
Wie sehen Sie die Ausbildung des deutschen Winzernachwuchses im internationalen Vergleich?
Soweit ich das beurteilen kann – obwohl ich seit Jahren nicht in Geisenheim war –, ist die Ausbildung auf einem hohen Niveau. Und in Geisenheim haben sie Leute wie Prof. Monika Christmann, die mit ihren hohen Ämtern in der OIV sehr genau über die internationalen Trends Bescheid weiss.
Wenn Sie den deutschen Weinverantwortlichen etwas raten würden, was wäre das?
Organisieren Sie Verkostungen für den Weinhandel, die Gastronomie und die Medien, um Importeure zu gewinnen. Derzeit wird deutscher Wein in der Regel nur von einer Handvoll Spezialisten in wichtigen Märkten wie den USA und Grossbritannien importiert, was ihn in einer Nische verharren lässt. Er muss sichtbarer werden, es muss gezeigt werden, dass er breiter verfügbar ist. Helfen Sie den neuen, jüngeren Produzenten– von denen die meisten, wie ich denke, gut Englisch sprechen – zu reisen, um die Exportmärkte zu entwickeln.
Welche Flasche öffnet Jancis Robinson privat, wenn ihr nach einem deutschen Wein zumute ist?
Ich hatte das Glück, viele Flaschen deutschen Weins zu kaufen, die den Anforderungen für den Keller des Buckingham Palace entsprachen, kurz nachdem ich 2004 dem Royal Household Wine Committee beigetreten war. Das sind hauptsächlich J. J. Prüms aus den 1980er und 1990er Jahren. Ich arbeite mich ständig weiter durch diesen Schatz.