Weinbauszene Schweiz

Neue Sorten braucht das Land

Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: gettyimages.ch / Vesnaandjic, nelic, gettyimages.ch / ArtistGNDphotography

Die Klimaerwärmung ist das dominierende Thema in der Schweizer Weinbauszene. Doch (noch) profitieren die helvetischen Winzer von den steigenden Temperaturen. Weitaus folgenreicher sind womöglich die lauter werdenden politischen Forderungen nach einem konsequent nachhaltigen, sprich rückstandsfreien Anbau. Ein solcher wäre möglich, wenn die Winzer denn wollen…

Zugegeben, erste Verkostungen von Pinot-Noir-Topselektionen des Jahrgangs 2018 lassen vermuten, dass es die Anhänger der burgundisch-filigranen Charakteristik nicht ganz einfach haben werden, hierzulande Weine dieses Jahrgangs zu finden, die ihrem Gusto entsprechen. Doch dies ist kein Unglück. Denn die grosse Mehrheit der schweizerischen Weinliebhaber liebt die füllig-kraftvollen Weine, wie sie besonders warme Jahre wie 2015 und 2018 hervorgebracht haben. Kein Wunder, sind Topwinzer wie der Zürcher Urs Pircher ganz klar der Meinung, dass die Schweizer Winzer zu den Profiteuren der Klimaerwärmung gehören: «Als ich Anfang der 80er Jahre in Eglisau meine ersten Weine gekeltert habe, galt die Faustregel, dass von zehn Jahrgängen sieben eher zu nass und zu kühl sind und nur drei ideal. Heute sind von zehn Jahrgängen sieben ideal, während drei Jahrgänge womöglich eine Spur zu warm sind», sagt er. Zwar haben einige helvetische Winzer medienwirksam Sorten angepflanzt, die in weitaus heisseren Gefilden heimisch sind. So wachsen in Genf heute beispielsweise Tempranillo und sogar Zinfandel (Primitivo). Doch die Wahl dieser hitzeresistenten Sorten erfolgte nicht aufgrund klimatischer Sachzwänge, sondern aus Lust am Experiment. Denn die Schweizer Winzer verfügen über ein breites Instrumentarium, um auch unter wärmeren Bedingungen mit den alteingesessenen Sorten ausgewogene Weine zu produzieren. 

Rebbaukataster abschaffen

Natürlich steht der Erntezeitpunkt im Vordergrund, aber immer mehr auch das Laubwand-Management. Eine Hocherziehung (bis zu zwei Meter ab Boden) mit einer bewusst üppig wuchernden Laubwand, bei der vergleichsweise viele Trauben (hoher Ertrag) im Schatten der Blätter hängen, kann die Reife ebenso verzögern wie eine extrem kurze Laubwand, bei der zwei Monate vor der Ernte die Triebe so eingekürzt werden, dass nicht mehr als fünf Blätter oberhalb der Traube belassen werden, was die Photosynthese bremst. Aus ähnlichen Überlegungen liebäugeln einige Südtiroler Winzer mit der Rückkehr zur Pergola-Erziehung, von der sie sich erst gerade verabschiedet hatten. Auch hier erbringen vergleichsweise wenige Stöcke pro Hektar eher grosse Erträge, wobei die Trauben im Schatten des Laubdaches wachsen. Zudem macht die Pergola auch eine Tierhaltung im Rebberg möglich, was den Anforderungen des biologischen Anbaus bestmöglich entspricht. Um den Winzern mehr Flexibilität im Umgang mit der Klimaerwärmung zu verschaffen, wäre zudem die Abschaffung des Rebbaukatasters wünschenswert. Das heutige Rebbaukataster in der Schweiz geht auf die Jahre nach der Reblaus-Katastrophe zurück, als es darum ging, geeignete Flächen zur Wiederbepflanzung zu definieren. Die Klimaerwärmung lag damals noch in weiter Ferne. Nach Süden ausgerichtete Hänge galten als Toplagen. Diese Sichtweise gilt heute als überholt. Besonders zur Produktion von Schaumweinen und spritzigen Weissweinen können Nordlagen sowie höher gelegene Parzellen (die heute gemäss Kataster nicht für den Weinbau geeignet sind) die weitaus bessere Wahl sein. Das Fazit: Mit etwas mehr Flexibilität und Kreativität im Anbau können die Schweizer Winzer auch in überdurchschnittlich warmen Jahren mit dem bestehenden Sortenspiegel ausgewogene Weine von hervorragender Qualität produzieren. Darum ist nicht die Klimaerwärmung die grösste Challenge für die Schweizer Winzer, sondern vielmehr die schnell lauter werdenden politischen Forderungen nach einem nachhaltigen, sprich rückstandsfreien Anbau.

«Nicht die Klimaerwärmung ist die grösste Challenge für die Schweizer Winzer, sondern vielmehr die schnell lauter werdenden politischen Forderungen nach einem nachhaltigen, sprich rückstandsfreien Anbau»

Für sauberes Grundwasser

«Die Trauben und der Tod» hiess ein zehnseitiges, mit einem speziellen Recherchestipendium ermöglichtes Dossier im Magazin der Süddeutschen Zeitung, das im Mai 2019 publiziert wurde und im deutschen Weinkulturraum wie eine Bombe einschlug. Der Artikel handelt vom Skandal um den Pestizid-Einsatz im berühmtesten Weinbaugebiet der Welt, dem Bordelais. Geschildert wird etwa, wie sich 2014 im Dorf Villeneuve-de-Blaye am Ufer der Garonne eine von Weinbauern verursachte Pestizidwolke über den Pausenhof der Grundschule legte, die bei 23 Kindern und einer Lehrerin teilweise schwere Beschwerden auslöste. Der Vorfall beschäftigte die französische Presse und schliesslich auch die Gerichte jahrelang. Wer Schweizer Winzer auf diesen Artikel ansprach, bekam zur Antwort, dass man die Verhältnisse in Bordeaux in keiner Weise mit denen in der Schweiz vergleichen könne. Doch nur vier Monate später geriet das Zürcher Weinland in die Schlagzeilen, weil im Grundwasser von nicht weniger als 28 Gemeinden das Pestizid Chlorothanolin (das gegen Pilzbefall wirkt) festgestellt werden konnte, und zwar in Konzentrationen, die deutlich über dem erlaubten Grenzwert lagen. Die mithin höchsten Werte wurden dabei in bekannten Weinbaudörfern wie Stammheim, Trüllikon, Seuzach oder Neftenbach festgestellt. Ob die Belastung hauptsächlich auf den Getreideanbau zurückgeht, wie spekuliert wurde, ist nicht klar. Nicht auszuschliessen ist auch eine Kumulation von Spritzeinsätzen aus verschiedenen landwirtschaftlichen Sparten. Beim Bekanntwerden der Grundwasserverschmutzungen im Zürcher Weinland war der Einsatz von Chlorothanolin in den Ländern der EU bereits nicht mehr erlaubt, in der Schweiz hingegen schon. Hierzulande wurde dieser Wirkstoff erst im Januar 2020 aus dem Verkehr gezogen. Biowinzer kritisieren denn auch nicht nur das generell späte Reagieren der Schweizer Behörden in solchen Fällen, sie bemängeln auch, dass kaum transparent und nachvollziehbar sei, wann und aufgrund genau welcher Kriterien das Bundesamt für Landwirtschaft umstrittene Pflanzenschutzmittel verbiete. Von besonderer Brisanz ist der Trinkwasser-Vorfall im Kanton Zürich auch, weil in wenigen Monaten die Volksabstimmung «für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» zur Abstimmung kommen soll. Sie verlangt, dass Bauern, die Pestizide und prophylaktisch Antibiotika einsetzen, von Subventionen ausgeschlossen werden. Auch wenn dieser Initiative heute wenig Erfolgschancen eingeräumt werden und die Winzer nicht im Fokus stehen, so dürfte die Trinkwasserproblematik schnell an Bedeutung gewinnen und auch für die Winzer zu einem zentralen Thema werden. Vor allem weil sich ein beträchtlicher Teil der Schweizer Rebberge in Siedlungsnähe befindet. Langfristig werden sich die Winzer darum dem politischen Druck für einen ganz oder grösstmöglich pestizidfreien Anbau nicht entziehen können.

Topweine aus resistenten Sorten

Ein pestizidfreier Anbau von qualitativ hochwertigen Weinen ist heute schon möglich. Gerade der von VINUM organisierte Schweizer Bioweinpreis, bei dem jeweils rund 250 Weine blind verkostet werden, beweist, dass Weine aus resistenten PIWI-Sorten wie Solaris, Johanniter, Souvignier Gris (alle weiss) oder Cabernet Jura, Divico und Cal 1-28 (alle rot) im besten Falle qualitativ auf Augenhöhe mit konventionellen Sorten (Chardonnay, Pinot Noir und Co.) agieren können. Und der bekannte Schweizer Rebzüchter Valentin Blattner verfügt bereits über eine neue Generation von PIWI-Sorten, die über eine mehrfache, das heisst eine mehrere Gene umfassende Resistenz gegen Pilzkrankheiten verfügen. 
Der Thurgauer Winzer Roland Lenz, der Vorreiter bezüglich qualitativ hochstehender Weine aus resistenten Sorten, hat schon versuchsweise über 1200 Stöcke dieser neuen Sorten angepflanzt. «Diese werden langfristig einen pestizidfreien Anbau ermöglichen», ist er überzeugt. Aus seiner Sicht ist es ganz entscheidend für den Fortbestand des Weinbaus in einem dicht besiedelten Land wie der Schweiz, dass die Winzer diesen neuen Sorten offener gegenüberstehen als bisher. «Der Rebsortenspiegel ist nicht von Gott gegeben, wie manche Anhänger der Burgundersorten immer noch meinen, sondern sollte das Resultat eines permanenten Optimierungsprozesses sein».  

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