Auf Schatzsuche im verkannten
Mâconnais
Text und Bilder: Rolf Bichsel
Grosse weisse Burgunder, rar und teuer? Unsinn! Ein Sprung in den Süden der Region reicht, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Mâcon ist eigentlich ein Paradies für den Chardonnay, der hier Weine ergibt, die nicht weniger interessant ausfallen als die umworbenen Crus der Côte de Beaune, aber nur einen Bruch- teil kosten. Einen einfachen weissen Mâcon gibt es für weniger als 10 Euro und Spitzen-Crus aus Grossen Lagen schon ab 12 bis 15 Euro. Mâcon, das Schlemmer- und Wanderwunderland, liegt nur eine Autostunde von der Schweizer Grenze entfernt! Darum: ab und auf die Räder!
Mâcon? Da rümpft so mancher Kenner erst einmal verächtlich die Nase. Vielleicht liegt es am Namen. Ein Buchstabe mehr, und wir haben den aktuell nicht eben populären (doch sind die das je?) französischen Präsidenten. Zwei weniger, und wir werden vulgär (con, connard = Idiot). Hindert die Scham uns daran, den Namen laut auszusprechen? Oder unser grammatikalisches Gewissen? Denn Con bezeichnet zwar nicht eben nett einen weiblichen Körperteil unter der Gürtellinie, ist aber – und das ist nur eine Bizarrerie der französischen Sprache – grammatikalisch männlichen Geschlechts. Es müsste folglich Moncon heissen oder schlimmstenfalls weiblich Maconne. Der Problematik entflieht feige, wer Mâcon falsch mit Doppel-S ausspricht (Masson). Ein Maçon ist ein Maurer, das tönt dann wenigstens bodenständig und bleibt ganz und gar jugendfrei. Und woher stammt der Wein mit dem unaussprechlichen Namen? Aus dem Niederburgund. Da haben wir es gleich noch einmal. Die Weinecke mit den höchsten Lagen des Burgund (bis 500 Meter über Meer) wird im Weinhimmel ganz unten angesiedelt und soll da gefälligst auch bleiben. Das nennt man dann Nord-Süd-Gefälle! Wer erfolgreich (mit Betonung auf reich) unten im Norden in der Côte d’Or winzert, blickt mitleidig auf die armen Schlucker unten im Süden oben in den Mâcon-Bergen herunter. Doch die Mâconnaiser lassen das nicht einfach so auf sich sitzen. Sie schlagen treffsicher zurück. Etwa, indem sie in internationalen Verkostungen regelmässig den Preis für den besten Chardonnay der Welt einheimsen. Indem sie die Tatsache, dass es im Mâconnais (noch) keine Premiers Crus gibt (was sich bald ändern dürfte), ganz einfach dadurch erklären, dass die Region solche gar nicht nötig gehabt habe. In der Tat: Zur Klassierung der Premier- und Grand-Cru-Lagen in der durch die deutsche Wehrmacht besetzten Côte d’Or kam es, weil jene (die Wehrmacht) darauf pochte, sich nach Lust und Laune in den Burgunder Weinkellern bedienen zu dürfen, aber den Weinbauern gleichzeitig zugestand, dass Premiers und Grands Crus von der Requisition ausgenommen waren, worauf sich die schlauen Burgunder beeilten, husch ihre besten Lagen zu klassieren. Im unbesetzten Mâcon schien das nicht notwendig.
Warum Mâcon der Grösste ist und das auch bleiben wird
Noch früher, das heisst, etwa zur Jahrhundertwende, setzten sie eine Legende in die Welt, die, mag sein, nicht wahr ist, aber gut gefunden. Da war doch mal, im späten 17. Jahrhundert, ein Winzer namens Claude Brosse, der zog mit einem mit Weinfässern vollgeladenen Ochsenwagen nach Paris, um am Versailler Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV. zu beweisen, was wahre Grösse sei, im Wein wie im Leben. Nach 30 Tagen Trott über staubige Pfade traf er daselbst ein. Doch natürlich wurde dem in grobes Tuch gekleideten, nach Vieh riechenden, simplen Bauer aus der hintersten Ecke des Reichs nicht einfach so Audienz gewährt. Als sich der ganze parfümierte und gepuderte Hofstaat am nächsten Tag zum Gottesdienst einfand, trat auch unser Claude in die Kapelle. Bald bemerkte der König unter den demütig zum Gebet knienden Gläubigen einen Mann, der seinen Buckel anscheinend nicht beugen wollte. Louis liess die Messe unterbrechen und dem ungezogenen Landlümmel unwirsch ausrichten, dass er gefälligst ebenfalls hinknien solle. «Tue ich doch schon», antwortete der Zwei-Meter-Hüne verdattert, der alle Anwesenden um zwei Köpfe überragte. Natürlich probierte der überraschte König denn auch prompt Claudes Weine, dessen Glück war gemacht und damit das Glück des Mâconnais. Oder fast. Denn dieses hielt nicht lange an. Die weitere Geschichte der ältesten Weinbauecke des Burgund (der Weinbau hat nach den Wirren der Völkerwanderungszeit im frühen Mittelalter mit den Mönchen der Klöster von Tournus und Cluny neu begonnen, und diese bis heute existierenden Abteien liegen – wie sollte es auch anders sein – beide im Mâconnais) liest sich wie ein einziger Krisenrapport. Oder wie eine Götterschlacht im altgriechischen Pantheon. Was Zeus mit der einen Hand gewährt – ideales Klima, ideale Böden, idyllische Lagen in Hülle und Fülle –, scheint ein neidischer Poseidon mit der anderen gleich wieder zunichte zu machen, mit einem Füllhorn von Plagen.
«Die innere Grösse des weissen Mâcon wird nicht an seinem Preis gemessen, sondern daran, wie schnell eine Flasche geleert ist!»
Doch damit genug. Stossen wir die alten Götter vom Podest. Lassen wir Neider an ihrer eigenen Galle ersticken. Bekämpfen wir längst gefundene Lösungen nicht, indem wir alte Probleme neu verkorken. Ertränken wir abgestandene Vorurteile im prickelnden, kühlen, erfrischenden Jungbrunnen der heutigen Mâcon-Realität. Lassen wir das Weben am Trauertuch: Vorhang auf für die strahlende Zukunft der Ecke, DIE Burgunder (Weiss-)Weinregion des dritten Jahrtausends. Wo jeder (JEDER) Weinfreund auf seine Rechnung kommt, der Wein im Glas höher einschätzt als staubige Kellerschätze. Wo weisser Burgunder nicht zu spekulativer Rarität verkommt, sondern als erstklassige, fröhliche, süffige Realität auf die Bühne des Weltweins tritt und frohgemut und prickelnd Komödie spielt. Wo Wein, um schnöden Mehrwert buhlend, nicht geizig an der Börse gehandelt, sondern brüderlich geteilt wird. Wo Flasche um Flasche lustig über den Tresen tanzt, als Nährwert für Körper, Herz und Seele. Nirgendwo sonst, nicht im Burgund, nicht in Frankreich, nicht auf der Welt, gibt es eine solche Fülle an herrlichen Terroirs, auf denen der Chardonnay so glücklich gedeiht und von mit Sorgfalt arbeitenden Winzern zu solch betörenden, erfrischenden, beschwingten, fruchtigen, mitreissenden, saftigen Weinen verarbeitet wird, die, und das ist auch das Einzige, was man diesen vorhalten kann, wenig bis fast gar nichts kosten, wenige Ausnahmen ausgenommen.
Denn weil innere Grösse für sich selber spricht, sind Weinmacher mit Starallüren hier selten. Dafür zählt das Mâconnais mit seinem kunterbunten Dorflagen-Mosaik dutzende und aberdutzende unabhängige Winzer oder ausgezeichnet arbeitende Genossenschaften wie die «Vignerons des Terres Secrètes» in Solutré-Pouilly-Vergisson, die gar nicht den «grossen Weinen der Welt» nacheifern wollen, deren Exzellenz sich erst einmal darin ausdrückt, wie selten und kostspielig sie sind. Winzer, die mit Eifer und Leidenschaft ihre Pfründe verteidigen, auf Firlefanz und Etikettenschwindel verzichten und nur ein Ziel kennen: glückliche Geniesser. Winzer, die genügend Wein für jedermann über künstlich beschränkte Menge für die Elite setzen. Was sie nicht daran hindert, immer ganzheitlicher zu arbeiten oder ganz mit Bio-Logik an die Sache zu gehen, wie die Mathias auf der gleichnamigen Domäne in Chaintré, wie bald auch Fréderic Servais von Château de Messey in Ozenay, einem Betrieb, den man im Auge behalten sollte. Servais arbeitet mehr und mehr parzellenbezogen, lässt nichts unversucht, die Eigenheiten seiner Böden möglichst unverfälscht auf die Flasche zu bringen, mit einem Minimum von Zusatzstoffen. Die straffe Preispolitik hindert frisch gebackene Winzerpaare wie Caroline und Pierre Maillet von Domaine de la Jobeline in Verzé, Altmeister wie Catherine und Didier Tripoz in Charnay-lès-Mâcon oder Christophe Perrin im Weiler Chazeux nicht daran, mit grösster Sorgfalt zu arbeiten, im Rebberg wie im Keller, und einen Teil ihrer Ernte in neuem Holz zu vinifizieren. Sie alle halten die Devise hoch, dass die echte innere Grösse der herrlichen Mâcon-Weissen (und Roten, doch das ist eine andere Geschichte) nicht am Preis gemessen wird, sondern daran, wie schnell eine Flasche leer getrunken ist. Wohl bekomms!
Château de Messey
Die Familie Dumont ist seit über 30 Jahren auf diesem idyllisch gelegenen Schlossbetrieb im Norden des Mâconnais ansässig, der ebenfalls Gästezimmer anbietet. Seit sich Sohn Patrick Dumont (oben im Bild) um den Weinbau kümmert, unterstützt vom erfahrenen Weinmacher und Regisseur Fréderic Servais, weht ein neuer Wind durch die historischen Keller. Die jüngsten Jahrgänge des aktuell rund zehn Hektar Reben zählenden Betriebs (Mâcon Cruzille und Mâcon Chardonnay) sind von besonderer Klasse. Ein Gut, das man im Auge behalten sollte!
71700 Ozenay
www.chateaudemessey.com
Domaine Christophe Perrin
Christophe Perrin ist ein Vollblutwinzer. Seine Sporen verdiente er sich auf einem Weingut in Vosne Romanée. Doch dann zog es ihn zurück in die eigene Heimat. Ab 2007 lieferte er die Ernte seiner sieben Hektar Reben in die Kooperative. 2011 gründete seine eigene Domäne. Seine ausnehmend preiswerten Weine haben es uns ganz besonders angetan. Sie sind mit Präzision gemacht und besitzen grosse Ausgewogenheit, Finesse und Frische. Sie haben nur einen einzigen Fehler: Sie sind so trinkig, dass man nie genug davon kriegen kann.
Chazeux, 71460 Chissey-lès-Mâcon
Domaine de la Jobeline
«Die Maillets, seit 400 Jahren in der Ecke ansässig, sind in all der Zeit genau acht Kilometer weitergekommen, ein Zeichen für ihre Wanderlust», erklärt Caroline Maillet verschmitzt. Mit Gatte Pierre Maillet (Bild) ist sie ein anderes Wagnis eingegangen. 2014 verliessen sie die Genossenschaft und gründeten ihre eigene Domäne, unterstützt von Weinmacher Alexandre Laurent (links). Ein wenig sorgt Caroline sich schon um die Zukunft. Doch mit elf Hektar erstklassigen Lagen und exzellenten Weinen ist ihnen der Erfolg sicher!
71960 Verzé
www.domainedelajobeline.com
Domaine Mathias
Die Mathias sind seit 150 Jahren Winzer im Dorf Chaintré, wie der historische Gewölbekeller illustriert, den Kellerfaktotum Christian hier präsentiert. Dass die drei aktuellen Generationen Mathias den Fototermin haben platzen lassen, hat einen guten Grund: Am Tag des Besuchs hatte eben die vierte das Licht der Welt erblickt! Auf zehn Hektar zertifiziert biologisch bestellten, erstklassigen Cru- und Dorflagen (Chaintré, Pouilly Fuissé und Vinzelles) produzieren die Mathias besonders gut strukturierte, vollmundige Weine zum unschlagbar günstigen Preis.
71570 Chaintré
www.domaine-mathias.fr
Domaine Catherine et Didier Tripoz
Es gibt Menschen, mit denen man sich auf Anhieb gut versteht. Catherine und Didier Tripoz gehören dazu. Kein Wunder: Was die beide am Wein ganz besonders schätzen, ist der Austausch. «Wir machen Weine, die uns gleichen und die wir teilen wollen», sagt der ehemalige Gartenbauer. Kernstück ihrer 13 Hektar Reben ist das Clos des Tournons in Charnay-lès-Mâcon (Bild), teils mit 50 Jahre alten Chardonnay-Reben bestockt. Doch auch Pouilly Fuissé und Crémant sind von guten Eltern. Catherine und Didier keltern Weine mit besonderem Eigencharakter, die unverfälscht ihr Terroir wiedergeben.
71850 Charnay-lès-Mâcon
www.vintripoz.com
Charnay les Mâcon
Prestige des Tournons 2016
17 Punkte | 2019 bis 2024
Wein in Umbruch, nach Belüftung sich langsam entwickelndes Bouquet von exotischen Früchten und Gewürzen; sämig schon im Ansatz, saftiges und fruchtiges, opulentes Finale; vollmundiger und doch nicht schwerfälliger Wein, der schon Freude macht und doch noch reifen kann.
Pouilly Fuissé
Les Trois Vignes 2017
17 Punkte | 2020 bis 2024
Verführerische Aromatik von Kräutern, Minze, Limone, ein Hauch Eukalyptus. Auch Mandeln. Fleischiger Auftakt, dichter Bau, grosse Frische, Rasse und Länge; superber Wein, besitzt Fülle, Würze und Komplexität.