Rheinhessen
Maxime Herkunft
Text: Rudolf Knoll, Fotos: www.gettyimages.com/bsiro, z.V.g
Maxime – das Wort leitet sich ab vom Lateinischen «maxima regula» (oberste Norm), steht für Begriffe wie Grundsatz oder Prinzip. Schopenhauer, Goethe und Kant spielten in manchen Schriften damit. Gesetz (in unserem Fall das Weinrecht) kann durchaus im Widerspruch zur Maxime stehen. Das ist in gewisser Beziehung bei einem noch jungen Verein der Fall, der in Deutschlands grösstem Anbaugebiet Furore macht.
Rheinhessen umfasst 26 578 Hektar Rebfläche, die auf drei Bereiche, 24 Grosslagen und 432 Einzellagen aufgeteilt sind. Fasswein spielt im Gebiet traditionell eine grosse Rolle, trotz der Preise, die aktuell damit erzielt werden (50 bis 80 Euro für den Hektoliter, je nach Sorte). Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Erzeuger, die Wert auf Qualität legen und die Anfang 2017 für eine Art Urknall im Gebiet sorgten. 70 Winzer gründeten den Verein «Maxime Rheinhessen». Alle VDP-Mitglieder waren von Anfang an miteingebunden, inklusive der Stars wie Klaus-Peter Keller, des Ehepaars Carolin Gillot und Hans-Oliver Spanier sowie Philipp Wittmann, des Regionalvorsitzenden des VDP, der auch eine treibende Kraft für die Gründung des Vereins war. Zum Vorsitzenden wurde Johannes Geil-Bierschenk aus Bechtheim gewählt. Weitere 20 Betriebe sind inzwischen dazugestossen.
Bei Durchsicht der Mitgliederliste fällt auf, dass auch eine Reihe tatkräftiger Winzerinnen dabei sind, darunter Katharina Wechsler aus Westhofen, die sich erst vor zehn Jahren nach einer angehenden Laufbahn als Journalistin in Berlin entschloss, in den elterlichen Betrieb zu wechseln, und schnell mit Wein Karriere machte. Jetzt ist sie bei Maxime Rheinhessen zuständig für Kommunikation. Einige der Winzerfrauen stellen wir auf den folgenden Seiten vor – Motto: «Maxime Frauenpower» – und lassen uns vom Vorsitzenden erklären, was die Zielsetzung des Vereins ist.
Eva Vollmer
Kluge Frau Doktor Wein
Sie ist eine ausgewiesen kluge Winzerin mit einer Promotion zu einem passenden Thema (Pflanzenschutz im Steillagenbau). Aber Dr. Eva Vollmer kann man auch viel Esprit attestieren. In ihrer umfangreichen Weinpalette finden sich neben den Namen von bekannten Lagen auch Bezeichnungen wie «11komma5» (Silvaner und Scheurebe), «Dorn tob e wild» (Dornfelder Rosé) und «Volle Pulle Silvaner» (ein Literwein). Der Aufstieg der energiegeladenen zweifachen Mutter (Klara 5, Emil 3), die von ihrem Mann Robert Wagner unterstützt wird, ging relativ schnell. Basis dafür war nach der Weinküfer-Ausbildung bei Reh-Kendermann, Praktika bei Wasem, dem Staatsgut Oppenheim sowie bei Krüger-Rumpf dann das Studium in Geisenheim (2003–2008) mit einer Fortsetzung in Gießen. 2007 gründete sie als 25-Jährige das eigene Gut mit einer Rebfläche von den Eltern, die an eine Genossenschaft ablieferten. Mit gradlinigen Weinen (inzwischen von 11 Hektar) hat sie viel Erfolg. Rezept im Keller: «Döschen und Mittelchen bleiben draussen!»
Weintipp
Weingut Eva Vollmer, Mainz-Ebersheim
2018 Scheurebe Kalkader trocken (Ortswein)
Lisa Bunn
Weine mit viel Profil
Nicht täuschen lassen, wenn Lisa Bunn, 31, einen St. Laurent empfiehlt. Rot beherrscht sie zwar. Aber die zweifache Mutter (Theo, 2 Jahre, Paul, 4 Monate) glänzt aktuell mit einer tollen Riesling-Kollektion. Angestiftet wurde sie dazu einst vom Weingut Wagner-Stempel, ihrer «Inspiration». So richtig gelernt hat sie es bei Praktika bei Dreißigacker, G. G. Huff, einem Weinlabor und in Australien und Südafrika, während sie in Geisenheim studierte. 2006 durfte sie erstmals im Keller mitwirken, 2011 musste sich Vater Georg aus gesundheitlichen Gründen etwas zurückziehen, und Lisa übernahm die volle Verantwortung für das Weingut. Mittlerweile ist der Betrieb in Nierstein völlig neu strukturiert und deutlich vergrössert. Die Hochzeit mit Bastian Strebel aus Wintersheim führte zu einer Betriebszusammenlegung auf jetzt 21 Hektar. Ihr Motto ist «Probieren geht über Studieren». In den Weinbergen wird sehr naturschonend gearbeitet. Spontangärung und langes Lager auf der Vollhefe gehören zu den Rezepturen im Keller, die für Weine mit viel Profil und Eleganz sorgen.
Weintipp
Weingut Lisa Bunn & Bastian Strebel, Nierstein
2016 Nierstein St. Laurent (Ortswein)
Wein aus einem schwierigen Jahrgang, der viel Selektion erforderte. Wurde unfiltriert gefüllt. Geröstete Nüsse und Thymian im Aroma, im Geschmack Noten von Kirsche und getoastetem Brot.
Janine Brüssel
Divenhafter Liebling
Aus dem Bechtheimer Schwestern-Duo Janine und Jasmin wurde vor einigen Jahren ein Solo – und doch nicht. Zwar heiratete die jüngere Jasmin, 36, Winzer Fritz May aus Osthofen. Aber dieses Paar gehört heute noch, wie die Eltern Dieter und Martina und ein paar tatkräftige Männer, zu den Unterstützern der engagierten Janine. Die 38-Jährige übernahm schon 2007 die Verantwortung für den Betrieb. Ausgebildet wurde sie bei den Top-Adressen Klaus-Peter Keller in Flörsheim-Dalsheim und Mosbacher in Forst. Praktika machte sie im Burgenland (Birgit Braunstein), Neuseeland und in der Schweiz (hier für Rohmilchkäse, mit dem sie nebenbei handelt). Auf ihren zehn Hektar wird selektiv per Hand gelesen. Die Gärung wird in der Regel spontan gestartet. Lange Maischestandzeiten und langes Hefelager gehören ebenfalls zum Repertoire von Janine. Die weisse Burgunderfamilie mit Chardonnay, Weissburgunder und Grauem Burgunder liegt ihr besonders am Herzen – und natürlich ihr Liebling Spätburgunder, «weil er so herrlich vielfältig und divenhaft ist.»
Weintipp
Weingut Scultetus-Brüssel, Bechtheim
2017 Bechtheimer Spätburgunder (Ortswein)
Nach gut einem Jahr Reifung in Barriques präsentiert sich der eher schlank strukturierte Burgunder (12,5 Vol.-%) elegant, geschmeidig, apart.
Sina Mertz
Ein Feind namens Eile
Eine bessere Referenz kann man als junge Winzerin kaum haben: «Schaut euch mal die Sina an, aus der wird etwas», meinte Topwinzer Klaus-Peter Keller in seiner Funktion als Lehrherr der jungen Winzerin aus Eckelsheim. Sie war vor einigen Jahren bei ihm während ihres dualen Studiums in Neustadt an der Weinstrasse Auszubildende. Auch die sonstigen Stationen bei den Pfälzer Gütern Pfeffingen und Matthias Gaul sowie Auslandspraktika in Kalifornien und Chile formten Sina Mertz. 2015 übernahm sie den Elf-Hektar-Betrieb der Eltern Gunter, 69, und Carmen, 64, im Alter von gerade 24 Jahren. «Mein Papa ist mein wichtigster Mitarbeiter», strahlt sie. Wenn sie ihre Kriterien beim Wein erläutert, merkt man sofort, dass sie bei allen Ausbildungsstationen sehr gut aufgepasst hat. «Der grösste Feind von Qualität ist Eile.» Ihre Orts- und Lagenweine werden spontan im Edelstahl vergoren, bei den Burgundern kann Holz im Spiel sein. Besonders stolz ist sie auf filigrane, elegante Weine von Riesling und Scheurebe, die auf vulkanischem Porphyr wachsen.
Weintipp
Weingut Mertz, Eckelsheim
2017 Eckelsheim Riesling vom Porphyr trocken (Ortswein)
Duft nach Zitrusfrucht und Feuerstein, elegant, mit schöner Säurestruktur, idealer Begleiter zu Fischgerichten.
Johanna Bossert
«Ich will spielen»
«Sensationell», urteilte Philipp Wittmann 2015 bei einer Weinpräsentation in Mainz über die Weine der Geschwister Bossert. Dabei präsentierten Johanna, 29, und ihr Bruder Philipp, 34, damals nur ihre Ortsweine und nicht die eine Qualitätsetage höher angesiedelten Lagenweine vom Riesling und Spätburgunder aus den Fluren Höllenbrand und Königsstuhl. Und sie waren erst 2012 als Winzer aktiv, nachdem ihnen Vater Hermann etwas Rebfläche von seinen 15 Hektar (überwiegend Fasswein) überlassen hatte. Inzwischen wurden daraus 6,4 Hektar, die sie akribisch und mit viel Ausdauer pflegen. Auch im Keller ist Zeit ein wichtiger Faktor, obwohl es der temperamentvollen Johanna («Ich bin ein typischer Steinbock») manchmal nicht schnell genug gehen kann. «Wichtig ist es für mich, dass ich etwas spielen und ausprobieren kann.» Mal sind die Maischestandzeiten kurz, dann wieder länger. Mal wird gequetscht, dann wieder nicht. Bis zur Füllung bleibt alles auf der Vollhefe liegen. Auf eine gesunde Säurestruktur wird besonderer Wert gelegt.
Weintipp
Weingut Bossert, Gundersheim
2016 Gundersheimer Riesling (Ortswein)
Mineralisch, herrlich gradlinig und knackig, zarte Würze, gute Länge am Gaumen.
Mirjam Schneider
Neues aus der Tradition
Schon im zarten Mädchenalter wusste Mirjam Schneider, ein Wirbelwind im Weingarten, dass sie Winzerin werden wollte. Gerade 20 Jahre jung war sie, als ihr 2002 zu Hause schon die Verantwortung für den Ausbau übertragen wurde. Da steckte sie noch in der Ausbildung als Technikerin für Weinbau und Önologie in Weinsberg. Impulse gab ihr auch ein Praktikum in Neuseeland. Ab 2006 übernahm sie das Weingut der Eltern und machte schnell auf sich aufmerksam.Schon früh praktizierte sie ein Drei-Stufen-System, bei ihr ergänzend mit Sternen (drei, vier fünf) gekennzeichnet. Auf ihren sechs Hektar wachsen vor allem Riesling, Silvaner, die Burgunderfamilie, Sauvignon Blanc und ihr Liebling Scheurebe. Ihr Motto ist: «Aus alten Traditionen Neues entfalten lassen». Verzicht auf Reinzuchthefen und langes Hefelager gehören zu den Prinzipien im Keller. Diesem Credo folgt auch ihr Lebensgefährte Marc Schühle, 38, Traubenerzeuger aus Nordbaden. Die beiden haben sich einst in Weinsberg kennengelernt. Mutter Maria ist eine verlässliche Stütze, die sich vor allem um den Schneiderschen Hofladen kümmert.
Weintipp
Weingut Mirjam Schneider, Mainz-Hechtsheim
2018 Scheurebe Distelfink trocken
Opulente, aber nicht ausladende Frucht, die sich im Geschmack fortsetzt, feiner Schliff, ausgewogen, angenehmes Säurespiel.
Katja Rettig
Vielseitig orientiert
Sie ist vielseitig orientiert, kann mit Weiss glänzen und avancierte mit Rot 2017 zur «Entdeckung des Jahres» beim Deutschen Rotweinpreis von VINUM. Damals war ein Pinot Noir das Aushängeschild von Katja Rettig aus Westhofen. Die gelernte Weinbautechnikerin, die schon als junges Mädchen Winzerin werden wollte, genoss eine gute, prägende Ausbildung bei Bürklin-Wolf. Danach avancierte sie zur staatlich geprüften Wirtschafterin für Weinbau und Önologie (Oppenheim) sowie zur Weinbautechnikerin (Bad Kreuznach). Ihre Eltern Jutta und Klaus erkannten schnell das ausgeprägtes Talent der Tochter, so dass sie ihr bereits im Alter von 29 Jahren, 2015, den Zwölf-Hektar-Betrieb offiziell überschrieben. Für den Ausbau war sie schon etwas früher verantwortlich. Sie hat klare Vorstellungen: «Ich will terroirgeprägte, charakterstarke Weine, die Spass machen.» Zwar ist sie schon weit oben an der Fahnenstange angelangt, aber gerade entsteht ein neuer Weissweinkeller mit Kelterhalle, der vermutlich eine weitere Steigerung der Qualität möglich macht.
Weintipp
Weingut Rettig, Westhofen
2017 Morstein Riesling trocken (Lagenwein)
Viel Spannung und kühle Frische, ausgeprägte Mineralität und elegante Facetten.
«Uns geht es um die Zukunft Rheinhessens»
Johannes Geil-Bierschenk aus Bechtheim ist Vorsitzender von Maxime Rheinhessen. Er freut sich über das Engagement der Frauen im Verein («starke Persönlichkeiten») und weiss, dass zudem eine Reihe weiblicher Partner in den Betrieben stark mitmischen; bei ihm daheim ist das seine Frau Elisabeth.
«Dann geh ich ins Maxim», lautet eine einst von Peter Alexander und Johannes Heesters interpretierte Ankündigung in der Operette «Die lustige Witwe» von Franz Lehar, in der es sehr munter zugeht. Wie munter geht es bei eurem Verein Maxime Rheinhessen zu?
Auf jeden Fall auch munter. Aber wir nehmen uns grundsätzlich viel Zeit für den Austausch und gehen sehr professionell miteinander um. Denn uns geht es nicht nur um die Zukunft unserer Betriebe, sondern um Rheinhessen. Dass so etwas in einer so grossen Gemeinschaft möglich ist, hätten wir uns vor 10, 15 Jahren nicht träumen lassen. Wichtig ist auch die gegenseitige Weiterbildung. Bei einem Konvent im August stehen die stärksten Weinstile der Welt im Fokus.
In zwei Jahren stieg die Mitgliederzahl um 20 Betriebe auf jetzt 90. Wie viel Prozent der Rebfläche stehen dahinter?
Grob überschlagen sind das nur rund 7,5 Prozent, auch aufgrund des bedeutenden Fassweinanteils in Rheinhessen. Doch fast alle sehr guten Betriebe sind Mitglied.
Wie gross ist die Bandbreite beim Alter?
Einige sind in meiner Altersklasse, ich bin 44, einige wenige darüber oder knapp darunter. Aber zwei Drittel sind zwischen 30 und 40 Jahre jung.
Ihr habt gerade eine neue Qualitätsoffensive gestartet. Wie schaut die aus?
Die Mitglieder wurden bei Orts- und Lagenweinen zu reduzierten Erträgen verpflichtet, nämlich 75 bzw. 55 Hektoliter pro Hektar. Das wird intern kontrolliert. Die Grenzen gab es schon vorher, aber auf freiwilliger Basis. Nur geringe Erträge führen konsequenterweise zu schmeckbaren Qualitäts-Sprüngen und machen den Herkunftscharakter deutlich.
Ihr habt, im Gegensatz zum VDP, ein griffiges Drei-Stufen-System mit Gutswein, Ortswein und Lagenwein. Es sollen klassische Sorten sein. Pro Rebsorte kann es nur einen Lagenwein geben. Wird das System auch in Zukunft beibehalten?
Das ist der Fall. Kann sein, dass vielleicht in einigen Jahren noch eine spezielle Klassifizierung für Lagen eingeführt wird. Aber das ist momentan in weiter Ferne.