Adelaide Hills

Aufstand in den Hügeln

Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Yoshiko Kusano

Australien ist das einzige Land, in dem sich der Weinbau stolz «Industrie» nennt. Mit dem Typus des würzig-vollen Shiraz hat es die Welt erobert. Und jetzt das: In den beschaulichen Hügeln hinter Adelaide keltert eine verschworene Gruppe von jungen Winzern naturbelassene Crus, die im positiven Sinne «antiaustralisch» schmecken. Ein Besuch beim Vorreiter der Szene. 

Das kleine Weingebiet Adelaide Hills beginnt nur wenige Kilometer östlich von Adelaide.

Eukalyptus-Bäume, Farmland, Reben: Knapp 30 Kilometer von der Metropole Adelaide entfernt, zelebriert eine neue Winzergeneration ihr eigenständiges Wein-Farm-Leben…

Klar, er ist auch ein Philosoph: «Die Leute müssen das Weintrinken wieder lernen. Geniessen, ohne gross darüber zu reden. Geniessen, ohne den Ballast von 5000 Jahren Weinkultur», sagt James Erskine. Darum füllte er seine ersten ungeschwefelten Weine in zwölf Liter fassende Glasballons (Demijohns) ab, die er zuvor blumig-naiv bemalt hatte. «Ich brachte die Glasballons in ein paar Weinbars von Freunden, stellte sie auf einen soliden Holzsockel. Da standen sie dann und flüsterten den Gästen zu: Zapf mich ins Glas! Trink mich! Habe Spass!» Und schon rattert es in seinem Hirn weiter: «Das Wichtigste überhaupt ist, dass du spürst, welchen Wein du ganz persönlich in einem bestimmten Moment brauchst. Wenn du im Sommer mit den Rollerblades durch die Hügel gesaust bist und danach auf der Terrasse sitzt, ist es ein ganz anderer Wein als an einem Winterabend am Feuer im Kamin», sagt der 39 Jahre alte Koch, Sommelier, Agronom mit Hochschulabschluss, und vor allem Winzer. Jauma heisst sein Weingut, die katalanische Übersetzung seines Vornamens James. Warum katalanisch? «Weil ich da im Priorat eine gute Zeit hatte. Und weil Katalonien das Land von Joan Miró und Salvador Dalí ist, Menschen, die unbeschwert wie Kinder auf die Welt blickten. Und genau diesen «Childlike»-Blick brauchen auch wir Winzer wieder. Mir wird immer schlecht, wenn einer sagt, ich möchte einen Château Rayas machen oder einen Échezeaux», sagt er. 

 

«Wir haben da was angeschoben!»

James Erskine ist der Mittelpunkt der gegenwärtig interessantesten, weil frei denkenden und ohne Zwänge agierenden Winzerszene Australiens. Sie besteht aus rund acht Kellereien, die alle in den letzten zehn Jahren in den Adelaide Hills entstanden sind und temperamentvoll-beschwingte Weine in die Flaschen bringen. Aus der Sicht des Wein-Establishments sind es antiaustralische subversive Weine, aus ihrer Sicht uraustralische Weine. «Naturweine? Lass den Begriff lieber beiseite, sprechen wir von temperamentvoll-lebendigen Weinen. Von Weinen mit einem gewissen Kribbeln», meint er. Aber egal wie man ihre Crus beschreibt – James Erskine und seine Mitstreiter haben etwas Kraftvolles angeschoben, etwas, was die australische Winzerszene in Bewegung gebracht hat. «Die Dinge haben sich hier viel zu lange im Kreis gedreht. Es war höchste Zeit, dass etwas geschieht.»

«Das Wichtigste überhaupt ist, dass du spürst, welchen Wein du in einem bestimmten Moment brauchst. Wenn du im 
Sommer mit den Rollerblades durch die Hügel gesaust bist und danach auf der Terrasse sitzt, ist es ein ganz anderer Wein als an einem Winterabend am Kaminfeuer.»

James Erskine


Tatsächlich verlief die Weingeschichte der letzten 50 Jahre in Australien ganz anders als in Europa. Ohne von starken Traditionen und strengen Vorschriften der Ursprungsbezeichnungen geleitet zu sein, konnten die australischen Winzer zwar weitgehend frei agieren, doch es fehlte ihnen lange Zeit an qualitativer Orientierung. Doch zum Glück haben Australier eine starke Affinität zu Wettbewerben aller Art. Vor allem im Bereich der Landwirtschaft. Erdbeeren, Fruchtsäfte, Käse, Brot – für alle erdenklichen Lebens- und Genussmittel gibt es unzählige Wettbewerbe, in denen die besten Produkte prämiert werden. Auch beim Wein spielten diese Competitions, Trophys und Selections eine zentrale Rolle. Diese Wettbewerbe (der berühmteste ist die Jimmy Watson Memorial Trophy) waren bis in die 80er oder frühen 90er Jahre zweifellos wichtig für die Qualitätsentwicklung in Australien. Doch mit der Zeit entschieden nunmehr ein paar wenige Weinpäpste, wie der allgegenwärtige Len Evans, auch «Godfather of the Australian Wine Industry» genannt, wie australischer Wein zu schmecken hatte, nämlich vollfruchtig, opulent und eichenholzwürzig. «Als ich als junger Sommelier in diese Szene eintrat, sollte ich mir eine weisse Schürze umbinden und 25 Barossa Valley Shiraz in einer Linie verkosten. Ich merkte sofort, dass dies unsinnig war. Den Juroren, die schon gefühlte hundert Mal an solchen Verkostungen teilgenommen hatten, ging es nicht darum, sich mit den Weinen auseinanderzusetzen. Es ging darum, Fehler zu suchen. Doch Fehler interessieren mich nicht. Was mir wichtig ist, ist Trinkfluss», erzählt Erskine.

2010 bekam er die Chance, eine Weinshow nach eigenen Vorstellungen zu kreieren, die «Adelaide Review Hot 100». Er schuf völlig neue Kategorien wie «Weissweine mit Textur», «Aroma-Weine», «Nouveau-Weine» oder «Natur-Weine». Wenn Weine aus sandigen Terroirs verkostet wurden, liess er schon mal im Verkostungsraum einen Tisch aufstellen, auf den er Sand schaufelte, um den Verkostern das Thema sprichwörtlich begreifbarer zu machen. Nach den Verkostungen organisierte er ein Rahmenprogramm mit Besuchen bei Käse- und Gemüseherstellern, aber auch Aborigines-Künstlern. «Wer Weine aus Südaustralien verkostet, muss ein Gefühl dafür entwickeln, was Südaustralien überhaupt ist. Er muss die Energie dieser Region spüren», sagt er. Für das Wein-Establishment war der Wettbewerb eine antiaustralische Provokation. Von da an galt er als Umstürzler und Revolutionär.

 

Aufgesäuerte Weine kratzen im Gaumen

Dass James Erskine irgendwann mal seine eigenen Weine keltern würde, war schon früh klar. Die entscheidende Erfahrung hierfür machte er 2002. Er arbeitete während der Ernte in Österreich mit und trank dort viel Riesling und Grüner Veltliner. Als er nach Hause kam, schmeckten ihm die heimischen Gewächse nicht mehr: «Ich konnte es drehen und wenden, wie ich wollte, aber die Weine kratzten einfach im Hals. Und ich wusste schnell, was da kratzte, nämlich die künstlich zugesetzte Säure.» Gemäss Schulbuchmeinung hängt es massgebend vom Zeitpunkt der Säuerung ab, ob diese später im fertigen Wein erkennbar ist oder eben nicht. Wird die Weinsäure schon im Most zugesetzt, soll sie sich harmonisch in den Wein integrieren. Aber nicht für James Erskine.

«2011 habe ich einen Teil meiner Weine geschwefelt, den anderen Teil nicht. Wenn ich diese Gewächse heute wieder verkoste, habe ich den Eindruck, dass sich die geschwefelten Weine nicht richtig weiter entwickelt haben. Sie sind stehen geblieben und wirken wie Leute, bei denen man nach einer Botox-Behandlung den Eindruck hat, dass die Lippen nicht mehr zum Rest des Gesichts passen.»

James Erskine

Seinen ersten Wein kelterte er 2006 als Sommelier im Restaurant «Auge», es war quasi ein Hauswein ohne zugesetzte Säure. 2010 gründete er dann sein Weinprojekt Jauma im Landstädtchen Basket Range in den Adelaide Hills und wurde hier schnell zum Mittelpunkt einer schillernden Szene von Wein-Freidenkern.

 

Salz auf der Zunge

Seit 2015 schwefelt er seine Weine nicht mehr. «Ganz ähnlich wie das Kratzen der zugesetzten Weinsäure am Gaumen empfand ich bei geschwefelten Weinen oft einen salzig-bitteren Nachhall auf der Zunge. Und wenn ich heute meine Weine aus dem Jahr 2011 verkoste, wo ich bei einem Teil der Produktion noch Schwefel einsetzte, habe ich den Eindruck, dass die geschwefelten Weine irgendwie stehen geblieben sind, sich nicht richtig entwickelt haben. So ähnlich, wie wenn du Botox spritzen würdest und ein Teil des Gesichtes plötzlich nicht mehr zum anderen passt…» Aber wie gesagt: Sein hauptsächliches Anliegen ist Trinkfluss. Animierend sollen sie sein, die neuen Weine aus Adelaide Hills und dem McLaren Vale. Das bedingt eine frühe Ernte. «Alle reden vom idealen Erntezeitpunkt, aber es gibt nicht den einen richtigen Erntezeitpunkt – letztlich ist es eine individuelle Entscheidung.» Für ihn und seine Mitstreiter kann auch ein Shiraz mit 11,5 Vol.-% Alkohol reif sein. Aber natürlich musst du bei geringeren Zuckergradationen ganz anders arbeiten. Vor allem eine zu forcierte Mazeration bzw. Maischenstandzeit zerstört diese subtilen Weine. 
Bis 2016 agierte die neue Adelaide-Hill-Szene im Stillen. Ihre Weine gab’s in wenigen einschlägigen Bars und Restaurants. Dann kam das Team des hochgehypten «Noma» aus Kopenhagen nach Australien und eröffnete in Sydney Barangaroo für zehn Wochen ein Pop-up-Restaurant. Die 5600 zu vergebenden Plätze zu 485 australischen Dollar waren nach Freischaltung der Online-Plattform in 90 Sekunden ausverkauft. Das gewaltige Interesse am Noma-Auftritt galt natürlich auch der Weinkarte, und dort dominierten die Crus der neuen Szene von Adelaide Hills. Wie schon zuvor in Kopenhagen, als sich Sommeliers, Journalisten und Freaks die Noma-Weinkarte ausdruckten und dann die darauf aufgeführten Winzer im Jura überfielen, die auf den Ansturm gar nicht vorbereitet waren, geriet nun auch Adelaide Hills eindeutig in den Fokus der Weinszene. Seither weiss die Welt definitiv und endgültig, dass es in Australien nicht mehr nur opulenten Shiraz gibt, sondern charaktervolle Leichtweine, so vibrierend wie das Beste in Europa aus diesem Genre. Bleibt eine Frage: Brauchen wir diese «Aussie Naturals» auch hier in Europa? Die Antwort von James: «Wenn Wein ein Kulturgut ist, sollten wir die Weine eines Landes in allen Facetten kennenlernen. Bei der Kunst ist das ja schliesslich auch so. Niemand würde sagen, dass es in London oder Zürich keine Performance-Kunst aus Australien braucht, weil Europa genug davon hat, oder?»

Weingut Jauma

Grenache, McLaren Vale


Peek a Boo Pet Nat 2017

16 Punkte | 2019 bis 2021

Animierende Aromatik mit frischen roten Beeren, Veilchen, Geranien und Unterholz. Am Gaumen im Auftakt schöne Fruchtsüsse, dann knackig, solide strukturiert, temperamentvolle Mousse, edelherb im Finish. Macht Spass!

 

Semillon-Chenin, McLarenVale


Thousand Fires 2017

16.5 Punkte | 2019 bis 2022

Aromen von Wiesenkräutern, Preiselbeeren und ein Anflug von Agrumen, aber auch Wachs und Kernobst. Am Gaumen kernig, getragen von einer kernigen Frische und einer gut angepassten Kohlensäure. Eigenwillig, aber sehr trinkig.

 

Grenache, McLaren Vale

Tikka the Cosmic Cat 2017

17 Punkte | 2019 bis 2021

Ein Grenache aus dem McLaren Vale mit 11,5 Vol.-%? Ja, kein Witz. Tolle Primärfrucht mit Wald- und Erdbeeren, dazu Rosenblätter, Minze und eine Spur Rauch. Belebende Säure, kernig und herb. Inbegriff der neuen Aussie-Leichtigkeit.

 

Grenache, McLaren Vale

Alfred 2016

17.5 Punkte | 2019 bis 2025

Selektion aus einem unbewässerten Rebberg. Auch bei 14 Vol.-% Alkohol bleibt die frische Stilistik erhalten. Aromen von roten Beeren und Orangenschalen. Am Gaumen dicht gewoben, mit Temperament und feiner Herbe.


 

Weingut Manon

Savagnin & Chardonnay Adelaide Hills

High Paradise 2017

16 Punkte | 2018 bis 2023

Komplexe Aromatik mit frischen Äpfeln, Erde, Unterholz und Laub. Am Gaumen dicht gewoben, mit fülligem Schmelz. Guter Trinkfluss. Langanhaltend. Eleganter Wein mit feiner Herbe im Abgang.

 

Sauvignon Blanc Adelaide Hills

Forest White 2017

16.5 Punkte | 2018 bis 2022

Cassisdrops, Holunder und Stachelbeeren, aber eine Spur wilder und krautiger als bei den Mainstream-Kiwi-Sauvignons. Am Gaumen geradlinig und vielschichtig. Getragen von einer kernigen Säure.

 

Pinot Noir, Adelaide Hills

Love Lies Bleedings 2017

17.5 Punkte | 2018 bis 2025

Expressive Aromatik mit Wald- und Erdbeeren, dazu ein An­flug von Erde, Kräutern und Bohner­wachs. Am Gaumen sehr animierend, mit schönem Fruchtschmelz und einer saf­tigen Säure. Charakterwein! Zeigt sich sehr trinkig.

 

Pinot Noir, Adelaide Hills

Pino 2017

17.5 Punkte | 2018 bis 2022

Vielschichtige Aromatik mit frischen Beeren, dazu Leder, Kräuter und Unterholz. Am Gaumen straff, mit kernigem Gerbstoff und einer präsenten Säure. Eigenständiger, gerbstoffbetonter Pinot mit viel Grip. Perfekt als Essensbegleiter.


 

Commune of Buttons

Pinot Gris, Adelaide Hills

Pink Flamingo Sparkling 2017

16.5 Punkte | 2018 bis 2020

Ausgeprägt herbale Noten, dazu auch Quitten und ein Anflug von Apfelschalen und Leder. Am Gaumen temperamentvoll moussierend und sehr frisch, kerniger Gerbstoff, geradlinig. Wirkt knochentrocken. Animierendes Finale.

 

Chardonnay, Adelaide Hills

Clover 2017

17 Punkte | 2018 bis 2022

Sehr eigenwilliger, charakter­voller Chardonnay mit reifen Aromen (Kernobst), einer Spur Karamell und frischen, leicht harzigen Würznoten. Am Gaumen vielschichtig, mit präsentem Gerbstoff und knackiger Säure.

 

Syrah Blend, Adelaide Hills

Field of Sparrows 2017

17.5 Punkte | 2018 bis 2020

Ein leichtfüssiger Gegenent-wurf zum mächtigen Barossa Shiraz. Jugendliche Aromen von Himbeeren und Erdbeeren, dazu eine gehörige Prise schwarzer Pfeffer. Am Gaumen subtil rotbeerig, kernig und temperamentvoll.

 

Pinot Noir, Adelaide Hills

Basket Town 2017

16.5 Punkte | 2018 bis 2022

Subtile Aromen von roten Beeren, auch Leder, etwas Kernobst, Veilchen, erdige Noten und Rosenblätter. Am Gaumen dicht gewoben, mit junger Frucht und grif­figem Gerbstoff. Anflug von Bittermandeln im Abgang.

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