Interview mit Lenz M. Moser, China-Botschafter
Träumen Sie schon auf Chinesisch?
Interview: Thomas Vaterlaus, Fotos: Hans-Peter Siffert
Der österreichische Weinmacher und Weinallrounder Lenz Moser war in den 90er Jahren der «Statthalter» von Robert Mondavi in Europa. Danach lancierte er den international erfolgreichen Grünen Veltliner Laurenz V. Seit drei Jahren produziert der bekennende China-Fan für den Weingiganten Changyu einen Châteauwein für China und den Export. «China kommt definitiv», sagt Moser.
Seit 13 Jahren reisen Sie regelmässig nach China. Wie gut sprechen Sie denn inzwischen Chinesisch?
Ich hab’s versucht, aber schnell wieder aufgegeben. Wichtiger ist aber, dass ich zu meinen Partnern ein Vertrauensverhältnis aufbauen konnte. Das ist ganz wichtig, wenn man in China etwas bewegen will.
13 Jahre, um Vertrauen aufzubauen, das ist eine lange Zeit…
Ja, die Chinesen sind definitiv nicht wie die Amerikaner, die schon nach dem ersten Lunch deine besten Freunde sind.
Sie sind 50 Mal nach China gereist, haben zusammengerechnet viele Monate da verbracht. Was fasziniert Sie an diesem Weinland denn so?
Es ist die greifbare Dynamik, die dort herrscht. Die Leute, mit denen ich da zu tun habe, die wollen etwas bewegen, sie sind heiss darauf, «etwas zu reissen», wie man sagt. Auch im Weinbau. Diese Aufbruchstimmung ist einzigartig und fasziniert mich stets von neuem. Ich habe immer ein Kribbeln im Bauch, wenn mein Flieger in Peking landet.
Wie äussert sich denn diese Dynamik konkret?
Auch bei ganz kleinen Dingen: Manchmal schreibe ich dem Chefönologen von Château Changyu Moser XV eine Textmessage und vergesse, dass es in China ja erst fünf Uhr morgens ist. Und trotzdem bekomme ich zwei Minuten später die Antwort. Beeindruckt hat mich auch die Gründung der Weinschule von Níngxià. Irgendwann bei einem Apéro mit der lokalen Weinbehörde im Jahre 2013 wurde das mal so als Idee vorgestellt. Zwei Jahre später wurde die Schule eröffnet, lanciert in Zusammenarbeit mit der Universität Bordeaux. Oder das neue Weinbüro in Yinchuan. Fast über Nacht stand es plötzlich da. Ein avantgardistisches Gebäude, von der Form her die Abstraktion eines Weinfasses.
Gerade auch von Ihnen erhoffen sich die Chinesen wichtige Impulse. Welche Meilensteine konnten Sie denn schon setzen?
Nun, die ersten zehn Jahre hatte ich ein klassisches Beratermandat. Aber Changyu ist der grösste Weinproduzent Chinas mit hunderten von Kadermitarbeitern. Ich kam jeweils ins Headquarter in Yantei, abgetrennt von der Produktion, und die Ideen versickerten immer wieder irgendwo auf dem Weg zur Umsetzung. Wir kamen nicht wirklich weiter. Vor allem im Vineyard-Management, aus meiner Sicht das grösste Problem, gab es nur wenig Fortschritt. Ich war einfach zu weit weg vom Geschehen. Jedes Jahr präsentierte ich die Top-Changyu-Weine in den Schlüsselmärkten, vor allem in England, wo ja nicht lange um den heissen Brei herumgeredet wird. Und immer waren die Kommentare die gleichen: qualitativ eigentlich ganz gut, aber nichts, was man unbedingt haben muss, die Preise zu hoch und die Labels, na ja… Aber die Chinesen brauchen ja den Export auch nicht wirklich. Changyu erwirtschaftet in China jährlich 750 Millionen Euro Umsatz und 25 Prozent davon sind Gewinn.
Und doch will Changyu auch im Export neue Standards setzen?
Vor drei Jahren hatte ich das entscheidende Meeting mit dem CEO von Changyu. Wir mussten uns eingestehen, dass wir mit unserem Export-Projekt in zehn Jahren nicht wirklich weit gekommen waren. Die Ursachen kannten wir. Plötzlich fragte er mich, ob ich denn eigentlich nur Wein verkaufen oder auch selber Wein produzieren könne. Ich antwortete ihm, dass ich mich sehr wohl auch als Weinmacher sehe, worauf er meinte: «Okay, dann machst du künftig die Weine in Níngxià selber.» Das war der Anfang des Château-Changyu-Moser-XV-Projektes. Heute habe ich in Níngxià meine eigene Kellerei, und wir geniessen das Privileg, aus den insgesamt 4000 Hektar, die dort bewirtschaftet werden, jene 250 Hektar auszuwählen, die ich zur Produktion meiner 500 000 Flaschen für den Export brauche…
«Níngxià wird das Napa Valley Asiens werden, da bin ich mir sicher. Objektiv betrachtet sind wir es heute schon.»
Changyu hat acht Châteaux in verschiedenen Regionen Chinas. Warum haben Sie sich ausgerechnet für Níngxià entschieden, am Rande der Inneren Mongolei, rund zwei Flugstunden nordwestlich von Peking?
Alle, die sich weinmässig mit China befassen, sind heute überzeugt, dass die Cabernet Sauvignons aus Níngxià die Weine sein werden, mit denen China sich zuerst im internationalen Markt etablieren wird. Die Rebberge liegen da hoch, über 1000 Meter, es gibt nur 150 Millimeter Regen pro Jahr und Quadratmeter, aber genug Wasser vom Gelben Fluss. Und auch die lehmhaltigen Böden mit unterschiedlichen Anteilen von Kies und Sand sind ideal. Nur wurde dieses Potenzial bisher nicht konsequent genug ausgenutzt.
Was war das Problem?
Vor allem wurde zu früh geerntet. Ende September, pünktlich zum Moon Festival, waren die Trauben schon im Keller. So entstanden kernige Weine, durchaus mit Bordeaux-Charakter, aber eben eine Spur zu rustikal. Für die drei Weine meiner neuen Exportlinie, den Estate Cabernet, den Moser Family Cabernet und den Grand Vin, ernteten wir 2015 erstmals zwei Wochen später. Das war das entscheidende Puzzleteil für mehr Ausdruck und Qualität.
Was für einen Cabernet-Charakter haben Sie denn im Visier, den vollkonzentrierten Neue-Welt-Stil?
Nein, was mir vorschwebt, ist sowas, was sich am ehesten mit Neue-Alte-Welt ausdrücken lässt. Die Weine sollen reif sein, mit viel Frucht, aber auch mit Struktur. Und das ist uns 2015 auf Anhieb sehr gut gelungen, wobei wir Glück hatten. In Níngxià gibt es beträchtliche Jahrgangsunterschiede, und 2015 war ein sehr gutes Jahr.
Dann wird 2015 als das Schlüsseljahr in die Weingeschichte von Níngxià eingehen?
Vielleicht. Ich kam 2015 im August nach Níngxià und blieb bis Oktober, als die Weine schon in den Barriques reiften. Ich stand selber im Weinberg, am Sortiertisch und an der Presse. Aber ich war nicht der Einzige, der in diesem Jahr neue Wege beschritt. Auch einige andere der inzwischen rund 15 Topgüter hier, die alle in den letzten paar Jahren entstanden sind, ernteten später und kamen ihrer Vision, dem Cabernet von Níngxià einen speziellen Ausdruck zu verleihen, einen grossen Schritt näher. Níngxià wird das Napa Valley Asiens werden, da bin ich mir sicher. Objektiv betrachtet sind wir es heute schon.
Inmitten der Rebberge von Changyu thront ein gewaltiges Loire-Schloss, das vom Stil her an Chaumont oder Chenonceau erinnert. Und an diesem Schloss prangert jetzt in riesigen Lettern Ihr Name. Zudem steht am Eingang eine Marmorbüste Ihres Grossvaters, der das Erziehungssystem Lenz Moser erfunden hat. Wie ist es denn so, wenn man fern der Heimat wie ein Heilsbringer oder ein Messias verehrt wird?
Nun ja, wenn du anfängst deine eigene PR zu glauben, bist du bald am Ende. Glauben Sie mir, in meinem Alter und nach allem, was ich erlebt habe, bin ich gefeit vor solchen Eitelkeiten. Aber natürlich freue ich mich wie jeder Mensch über Zuspruch.
Viele Kellereien in Níngxià sind Kopien europäischer Schlösser. Wer sie betrachtet, fühlt sich im Vorurteil, dass die Chinesen vor allem grosse Kopierer sind, voll und ganz bestätigt.
Äusserlich gesehen mag das so sein. Aber was qualitativ hier in den letzten drei Jahren geschehen ist, vorangetrieben von vier oder fünf Pionieren, geht nach meiner Meinung schon weit über das Kopieren hinaus. Wenn ich bei meinen Weinen und den Weinen meiner Kollegen, von denen übrigens nicht wenige Frauen sind, ins «Glasel» reinschmecke, finde ich ihn schon, den speziellen Cabernet-Ausdruck von Níngxià. Und auch bei den Weissweinen ist uns, denke ich, was völlig Eigenständiges gelungen. Wir wollten ja nicht einfach auch noch einen Chardonnay machen. Darum haben wir den weissen Cabernet Sauvignon als klassischen Blanc de Noirs entwickelt. Einen Wein, den es in dieser Form nur hier gibt.
Wie sind Sie überhaupt zu Ihrer Rolle als China-Botschafter gekommen?
Bis 2004 leitete ich die Europa-Geschäfte von Robert Mondavi. Wir waren da 50 Mitarbeiter und verkauften sechs Millionen Flaschen Wein jährlich. Dann wurde Mondavi von Constellation Brands übernommen und unser Europasitz aufgelöst. Wir bekamen ausgesprochen grosszügige Abfindungen und haben damit die Handelsfirma namens «Thanks Bob» gegründet. Wir handelten vor allem mit Wein aus USA, Deutschland und Österreich. Meine Partner meinten, wir sollten auch ein Risk-Projekt angehen. So fuhr ich nach China, in erster Linie, um dort unseren Grünen Veltliner zu verkaufen, aber auch, um mich ein wenig umzusehen. Und kam dann mit einem Berater-Vertrag zurück.
Sehen Sie Parallelen zwischen Ihrer Tätigkeit in den 90er Jahren für Mondavi und dem, was Sie heute tun?
Ja, die Aufbruchstimmung nehme ich als ganz ähnlich wahr. In den 90er Jahren standen uns Mondavi-Leuten alle Türen offen. Wir konnten grossartige Dinge entwickeln, und wir hatten Visionen. Es ist ein tolles Gefühl, im Zentrum eines solchen Prozesses zu stehen. Euphorie regt ja den Adrenalin-Haushalt an.
Aber die Sache mit Mondavi nahm dann doch ein abruptes Ende. Und auch was in China geschieht, halten viele für eine Blase.
Es wird sich zeigen. Ich bin optimistisch. Die 500 000 Flaschen aus dem ersten Jahrgang des Changyu-Moser-Projektes haben wir jedenfalls gut verkauft. In England sind wir schon in vielen Prestige-Lokalen drin, vom Dorchester bis zum Fat Duck.
Mal ehrlich, was kann das Weinland China im Export wirklich erreichen?
Man muss realistisch bleiben. China kann sich im Export sicher eine attraktive Nische sichern, wird aber mittelfristig kaum eine Bedeutung erlangen, wie sie beispielsweise Chile heute hat. Langfristig ist mehr möglich, wenn die Relation von Qualität und Preis wirklich stimmt. Das Umfeld betrachte ich als günstig. Weil sich die USA unter Donald Trump immer unberechenbarer gebären, schaut Europa verstärkt nach China. Bei Changyu haben aber die Exportbemühungen noch eine andere strategische Stossrichtung. Die chinesische Mittelschicht orientiert sich beim Lifestyle, wir sehen das bei der Mode oder den Autos, stark an Europa. Wenn Changyu-Weine also in prestigeträchtigen Sterne-Restaurants in Europa gelistet sind, stärkt das indirekt auch wieder den Heimmarkt. Und das ist notwendig, denn dort stehen die heimischen Weine zunehmend in Konkurrenz zu den Importweinen.
Haben Sie eigentlich nie Heimweh, wenn Sie abends in Yingchuan in Ihrem Zimmer im Kempinski Hotel sitzen?
Für Heimweh fehlt mir schlicht die Zeit. Und wenn’s doch mal ein ganz wenig zieht, gehe ich unten ins Paulaner Brauhaus, das zum Hotel gehört, esse ein Wiener Schnitzel und trinke dazu ein Pils.