Thomas Vaterlaus über die globale Dimension der Weinkultur

Total regional? Bitte nicht!

Text: Thomas Vaterlaus

Beim Gerede über Nachhaltigkeit im Weinbau wird die regionale Kreislaufwirtschaft immer mehr zum Thema. In letzter Konsequenz würde das bedeuten, dass wir künftig vermehrt Weine trinken, die vor unserer Haustür wachsen. Doch wäre es nicht jammerschade, wenn die Weinkultur ihre globale Dimension verlieren würde?

Die Vorstellungen von einer regionalen Kreislaufwirtschaft haben manchmal einen fast romantisch anmutenden Charme. In einem ihrer autobiografischen Texte beschreibt etwa die chilenische Autorin Isabel Allende jene Freudentage aus ihrer Kindheit, wenn Familienmitglieder jeweils mit einem Pferdegespann zu einem nahegelegenen Weingut aufbrachen, um ein Fass mit neuem Wein nach Hause zu holen. Dieses Prinzip wird in ähnlicher Weise heute noch praktiziert. Im südlichen Europa gibt es Grosskellereien, die für ihre lokale Kundschaft eigentliche Wein-Tankstellen betreiben. An mehreren Zapfsäulen werden dabei verschiedene Basisweine angeboten. Die Kunden bringen Behältnisse aller Art mit, vom Tonkrug bis zum 30-Liter-Glasballon, füllen darin ihren Wein ab, zahlen am Automaten und bringen das kostbare Nass nach Hause. Die Ökobilanz dieses Konzepts ist sensationell gut. Man braucht kein energiefressendes Einwegglas, und die Klimabelastungen bezüglich des Transportes sind minimal. Vor allem natürlich, wenn man sich seinen Wein nicht mit dem SUV, sondern per Fahrrad mit Anhänger nach Hause holt. Nicht mehr wegzudenken sind auch jene Farmermärkte in den USA, in denen nur Produkte – darunter auch Weine – angeboten werden, die in einem klar definierten Radius um den Marktort herum produziert worden sind. Doch man sollte die Sache nicht allzu dogmatisch sehen. Zudem bleibt die Frage, was mit jenen Ländern oder Regionen geschieht, in denen man sich nicht so einfach mit lokal angebautem Wein versorgen kann. Ich denke da beispielsweise an Island, Grönland oder Alaska. Sollen die dort dann einfach warten, bis die Klimaerwärmung auch bei ihnen Weinbau möglich macht, in 200 Jahren vielleicht? Es ist noch gar nicht so lange her, da haben die meisten Menschen in Europa ausschliesslich Weine getrunken, die unweit von ihrer Haustür entfernt gewachsen sind. Weinkultur aber entstand anderswo, nämlich dort, wo kein eigener Wein produziert werden konnte. Die Engländer etwa waren schon vor tausend Jahren fanatische Weinfreaks. Infolge Mangel an eigenen Rebbergen tranken sie Wein, der per Schiff aus Frankreich, Spanien, Portugal, aber auch aus dem östlichen Mittelmeerraum und später aus aller Welt importiert worden war. Und weil wohlbetuchte Engländer schon früh zwischen Weinen aus verschiedenen Ländern und Regionen auswählen konnten, begannen sie, diese Weine zu vergleichen und die Unterschiede zu beschreiben. So entstand der Weinjournalismus. Schon im Jahr 1300 kehrte der Dominikaner Geoffrey of Waterford mit Probiernotizen einer Weinreise aus dem Mittelmeerraum zurück. Das Fazit seiner Recherche: Je weiter man nach Osten fährt, umso stärker werden die Weine. Und bereits 1586 beschrieb William Harrison das Phänomen des Weinsnobs. Damit meinte er Leute, die sich nur für die besten aller erhältlichen Weine interessieren.

Die globale Genuss-Perspektive muss bleiben

Dank seiner sensorischen Qualität und Vielfältigkeit, der Gabe, sein Terroir auszudrücken, und seinem Reifepotenzial hob sich der Wein prestigemässig sehr schnell von allen anderen Lebens- und Genussmitteln ab. So wurde er zum Kulturgut in einem globalen Kontext. Ein ­Sémillon aus dem australischen Hunter Valley, ein Chenin Blanc aus Südafrika, ein Tannat aus Uruguay oder ein Pinot Noir aus dem kalifornischen Sonoma County – sie alle haben ihren festen Platz in unserer inspirierend reichen Wein-Welt-Kultur-Szene. So wie alle Weine mit individuellem Charakter, von A wie Argentinien bis Z wie Zypern. Die Erfüllung der Forderungen nach einer vermehrt regionalen Perspektive wäre ein Rückschritt in die Provinzialität. In der Kunst würde ja schliesslich auch niemand auf die Idee kommen, die Regionalität zu einem zentralen Prinzip erklären zu wollen, nach dem Motto: Warum mit viel Aufwand ausgewählte Kunst aus fernen Ländern heranschaffen, wenn doch heimische Künstler den regionalen Kunstbedarf mengenmässig problemlos abdecken können? Und warum Musiker aus aller Welt einfliegen, wenn es in unserer Umgebung doch genügend Musizierende gibt, die sich mehr Zuhörer wünschen? Nichts gegen Nachhaltigkeit und regionale Kreisläufe, aber wenn es um die inhaltliche Qualität einer Sache geht, egal ob wir nun von Kunst, Musik oder Wein sprechen, sollten wir uns die globale Perspektive von niemandem verderben lassen. Denn sie beschert uns unvergessliche Genuss-Momente.

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