Klartext von Thomas Vaterlaus
Eigenes Weingut? Nein danke!
Text: Thomas Vaterlaus
Viele von uns, die ihr Leben lang eng mit dem Elixier Wein liiert sind, indem sie über Wein schreiben, mit Wein handeln, ihren Gästen Wein empfehlen oder einfach gerne gute Weine geniessen, entwickeln mal den Wunsch, selbst Wein zu produzieren. Doch es gibt gute Gründe, die Finger davon zu lassen! Aus Liebe zum Wein.
Ich wollte es eigentlich wegzappen, blieb dann aber doch bei ihm. Ein TV-Interview mit einem legendären britischen Rock-Journalisten. Und es ging nicht lange, da kam sie, die absehbare und erwartete Frage. Nämlich, ob er denn nie die Seite habe wechseln wollen, um selber auf der Bühne zu stehen. Der Rock-Guru lächelte und meinte dann, dass das Popstar-Leben ja nun heute auch nicht mehr das gleiche sei wie vor 50 Jahren, dass 99 Prozent der Rockmusiker haarscharf am Existenzminimum entlangschrammen würden und jenes Promille, das sehr erfolgreich sei, noch mit 75 und mehr Jahren jeden Abend ihre Uralt-Hits spielen müssten, die sie im Alter von 18 Jahren für ihre damals noch jüngeren Freundinnen geschrieben hätten. Dagegen empfände er seine Rolle als Zuhörer und Kritiker als geradezu privilegiert. Er höre lieber, was auf der ganzen Welt so abgehe, als sich mit einem einzigen Projekt zu beschäftigen. Schnell wurde mir klar, dass es beim Weinbau ähnlich viele gute Gründe gibt, um in der Komfortzone des Geniessers zu verweilen und der Versuchung zu widerstehen, zum Weinproduzenten zu werden. Denn sowohl in der Rock- wie auch in der Weinszene gilt: Wer hier als zu idealistischer Quereinsteiger sein Glück sucht, fliegt fast immer auf die Schnauze. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Okay, würde uns jemand eine kleine Azienda in den Hügeln des Chianti mit einem 500-jährigen Herrenhaus schenken oder so etwas wie die Domaine de la Romanée-Conti im Burgund, würden wir nicht nein sagen. Auch die Provence ist ein begehrter Rückzugsort für vermögende Neuwinzer. Dort hat mir mal jemand die Geschichte einer traumhaft gelegenen, aber unbekannten Domäne erzählt, die seit drei Jahrzehnten vom gleichen Verwalter geführt werde. Er habe schon vier verschiedene Besitzer aus vier verschiedenen Ländern überlebt. Der letzte Eigentümer habe den Verwalter offenbar entlassen wollen, worauf die lokale Polizei in einem abgelegenen Winkel des Gutes einige leere Behälter von nicht erlaubten Pflanzenschutzmitteln gefunden habe. Das nachfolgende Verfahren habe den Besitzer dann sehr schnell so entnervt, dass das Gut nun wieder zum Verkauf stehe, selbstverständlich mit dem langjährigen Verwalter als unentbehrlicher Stütze des Betriebes… Wobei der astronomische Wertzuwachs des Gutes den frustrierten Temporäreigner für seinen Unbill entschädigen dürfte.
Der schönste Beruf der Welt
Verstehen Sie mich richtig: Im Idealfall ist Winzer definitiv der schönste Beruf auf der Welt. Der Winzer ist grösstmöglich verbunden mit seinem Terroir und seinem Ort, den er pflegt, gleichzeitig aber, wenn seine Weine gut sind, ist er auch weltweit vernetzt mit der Weinszene. Er steht heute vielleicht in seinem von Mistral-Wind gepeitschten Rebberg im Rhônetal und präsentiert übermorgen seine Weine in einem Sterne-Restaurant in Kopenhagen. Wer würde sich nicht nach so einem extrem lokal-globalen Leben sehnen. Es könnte im Idealfall mehr als alle unsere zeitgenössischen Sehnsüchte erfüllen.
Jedes Mal, wenn ich so einen voll und ganz geerdet scheinenden Winzer in seinem Weingut treffe, mit ihm in seinem vielleicht uralten Gewölbekeller ein paar Weine aus dem Fass verkoste und mich schon auf’s Abendessen im Dorfbistro freue, wünsche ich mir einen kleinen Zauberstab, um «Simsalabim» die Rollen zu wechseln. Aber wenn ich dann den gleichen Winzer wieder im Anzug an einer Weinmesse stehen sehe, wie er an seinem Ein-Quadratmeter-Plätzchen seine Weine ausschenkt und zum 43. Mal am selben Morgen erklärt, warum er seinen Grenache nicht im Eichenholz, sondern im Betontank ausbaut, bin ich wieder sehr froh, dass es diesen Zauberstab nicht gibt. Ich kenne exakt einen Winzer, der in seinem ersten Leben ein weltweit agierender Businessman war und dann, mit 51 Jahren, die Seite gewechselt hat. Wer ihn heute mit seinen staubigen Bergschuhen in seinem Rebberg stehen sieht, würde sofort sein ganzes Geld darauf verwetten, dass dieser Mann in seinem ganzen Leben nie etwas anderes gemacht hat.
Wunderbar! Aber die Chance, dass einem dieser Rollenwechsel so perfekt gelingt, ist eben leider nicht grösser als im eingangs beschriebenen Beispiel aus der Musikszene. Mathematisch gesehen also schätzungsweise bei einer Promille. Oder weniger. Bleiben wir also besser Weingeniesser!
Sprechen auch Sie Klartext!
Sie haben kein Facebook, dann schreiben Sie uns eine Mail an redaktion@vinum.ch.