Klartext von Harald Scholl
Amtlicher Prüfungsirrsinn
Text: Harald Scholl
Einmal mehr muss Kurt Tucholsky herhalten, der gesagt haben soll, dass «Das Gegenteil von Gut (ist) nicht Böse, sondern gut gemeint» ist. Abgewandelt lässt sich das auch über die Qualitätsweinprüfung sagen, die immer mehr zu einer Farce verkommt. Und der Entwicklung der Weinkultur zuwider läuft.
Aus verständlichen Gründen sollen keine Namen genannt werden, aber es waren zwei namhafte und hochdekorierte Winzer, die ihre eigenwilligen Erfahrungen mit der Qualitätsweinprüfung in den letzten Monaten zum Besten gaben. Der Erste stellte lakonisch fest, dass es in seinem Betrieb offizielle Sprachregelung sei, bei einer Bewertung über 1,5 Prüfungspunkten für einen angestellten Wein – das ist das notwendige Minimum bei maximal 5,0 Punkten – die Frage zu stellen, was da wohl schief gelaufen sei. Denn beim hauseigenen Stil der Weine sei es immer eine Gratwanderung, ob die Prüfung geschafft wird oder nicht. Und der Zweite musste einen – im VINUM-Weinguide unter den Top 10 des Jahres geführten Weine – ganze siebenmal (!) anstellen um die AP-Nummer zu erhalten. Wohlgemerkt, wir sprechen hier über Weine und Winzer, die überaus gefragt sind, deren Weine immer wieder ausverkauft und im In- und Ausland auf den besten Weinkarten vertreten sind. Was ist da los, bei der Amtlichen Weinprüfung, die zur Amtlichen Prüfnummer («AP») führt und die sich bei deutschen Qualitätsweinen in aller Regel auf dem Rückenetikett findet.
Es war eigentlich kein ganz dummer Gedanke, als 1971 im Rahmen der Harmonisierung des damaligen EWG-Marktes die Qualitätskriterien für Europas Weine festgeschrieben wurden. Zu divers waren die Qualitätsanforderungen, zu undurchsichtig die nationalen Gepflogenheiten. Allerdings wurde nicht konsequent harmonisiert, es gibt bis heute nationale Unterschiede in der Auslegung der gemeinsamen Regeln. So ist die Prüfung in Deutschland (Amtliche Prüfnummer) und Österreich (Staatliche Prüfnummer) für jeden Wein zwingend obligatorisch, wenn er die AP-Nummer erhalten soll, wohingegen etwa in Frankreich diese Proben stichprobenartig durchgeführt werden. Dass sich dieses Verfahren in Österreich derart streng und rigoros zeigt, ist vor allem auf den 1985er Glykol-Skandal zurückzuführen, es hat also einen wirklich guten Grund, darin sind sich wahrscheinlich alle einig. Warum aber das Verfahren in seiner Durchführung innerhalb von 30 Jahren nicht einer zeitgemässeren Revision unterzogen wird, bleibt rätselhaft. Denn die geschmacklichen Vorgaben wirken aus der Zeit gefallen. Da wird immer noch nach rebsortentypischer Frucht gesucht oder nach optischer Klarheit. Mal im Ernst: Will ich den Wein anschauen oder trinken?
Analytische Stichproben ja – aber sensorische Prüfung?
Das Problem der Qualitätsweinprüfung ist aber kein typisch deutsches, wie man vermuten könnte. Auch in Österreich hadern viele Winzer mit der Prüfung der Weinqualität durch staatliche Stellen. Das Problem ist dabei weniger, ob diese Weine fehlerfrei sind, auch nicht, ob sie dem Weintrinker oder Weinjournalisten gefallen oder nicht. Es geht um knallharte wirtschaftliche Interessen. Um ein Beispiel zu nennen: Rund 20 Prozent der exportierten österreichischen Weine haben keine Staatliche Prüfnummer mehr, ihr Warenwert liegt aber deutlich darüber. In einzelne Märkte wie Kanada exportieren die österreichischen Winzer mittlerweile sogar fast 50 Prozent der Weine ohne diese obligatorische Prüfung. Sicher, diese Weine dürfen nicht das typische rot-weiss-rot auf der Kapsel tragen. Aber: Who cares? Um das Verfahren zeitgemässer zu gestalten, sind von Seiten der Produzenten schon Vorschläge erarbeitet worden. Denn die Frage, was ein echter Qualitätswein ist, wird heute einfach anders beantwortet. Aus Sicht der Produzenten ist die Sache klar, Qualität hat ein Wein, der einen hohen Wert erzielt. Aus staatlicher Sicht ist es einer, der vor Urzeiten festgelegte Geschmacksmuster erfüllt. Tausende Basisweine, die sicher sauber vinifiziert sind, das soll gar nicht in Abrede gestellt werden, erhalten jährlich den staatlichen Prüfungssegen. Und damit ein Qualitätsversprechen, das ihnen beim Verkauf hilft. Aber was ist dieses Versprechen wert, wenn es doch über den Geschmack so wenig aussagt?
Nochmal deutlich: Dass Weine darauf untersucht werden ob sie analytisch korrekt sind, ist vernünftig. Dass aber von Seiten des Staates festgelegt wird, wie sie zu schmecken haben, ist ein Unding. Vor allem, wenn diese Massstäbe und Kriterien nicht kontinuierlich weiterentwickelt werden und den Weingeschmack von vor 30 Jahren dokumentieren. Die Weinwelt entwickelt sich stetig weiter, da müssen sich die Kontrolleure und die Kontrollmechanismen ebenso weiterentwickeln.