Klartext von Thomas Vaterlaus
Zum Wohl mit den Franzosen!
Text: Thomas Vaterlaus
In einer Zeit, wo sich Weinstilistiken über Länder hinweg annähern, gleicht Frankreich einem Fels in der Brandung. Loire, Burgund, Jura oder Elsass sind weit mehr als Weinregionen, nämlich eigentliche Wein-Universen. Auch die Klimaerwärmung konnte die Ecken und Kanten der Weine nicht weghobeln. Chapeau!
Okay, zugegeben, einige Bordeaux- und Languedoc-Weine haben auch reichlich Speck angesetzt. Und doch sind solche Wein-Dickschiffe im internationalen Stil doch eher die Ausnahme, welche die Regel bestätigt, dass sich das Weinland Frankreich seine historisch gewachsene Vielfalt bis heute weitaus besser bewahren konnte als andere Weinnationen. Burgund, Champagne oder Jura sind noch immer das, was sie schon immer waren. Die Verbesserung der Qualität über die letzten Jahrzehnte hat die Originalität beziehungsweise die terroirspezifische Eigenständigkeit dieser Weine in keiner Art und Weise beeinträchtigt. Das faszinierendste Beispiel einer unendlich vielschichtigen und maximal eigenständigen Weinregion ist die Loire.
Kürzlich sass ich im «La Cigale» in Nantes. Diese Mutter aller Brasserien hat von halb acht morgens bis halb eins in der Nacht durchgehend geöffnet. Bis zu zehn Mal täglich wird hier ein Tisch vergeben. Berge von Meeresfrüchten und Paletten von Muscadet-Weinen gehen hier über die Theke. Wir sassen also an einem der kleinen Tischchen und freuten uns gerade auf die zweite Flasche Gabbro Clos des Bouquinardières von Jérôme Bretaudeau, als ein deutschsprechendes Paar am Nebentisch Platz nahm. Die Frau fragte den Kellner nach einem passenden Wein zu den bestellten Austern und der empfahl natürlich Muscadet, worauf der Mann meinte: «Schatz, du weisst doch, ich mag keine Weine aus der Sorte Muskat…» Der Kellner ignorierte den Fauxpas souverän und empfahl umgehend einen Sauvignon Blanc aus Sancerre und fand damit Zuspruch. Der Gast fühlte sich mit dem Sauvignon auf gesichertem Terrain und hatte doch etwas Regionales im Glas. Die kleine Episode machte mir klar, wie wenig wir über die französischen Regionalweine doch wissen. Der Muscadet, aus der Sorte Melon de Bourgogne gekeltert, die in Frankreich immer noch auf 11000 Hektar angebaut wird, ist hierzulande wenig bekannt und im Handel nur schwer zu bekommen. Schade, denn im Idealfall ist er ein herrlich frischer, mineralisch-stahliger Wein. Zudem eben ein Wein, wie es ihn nur in Frankreich geben kann. Vielleicht ist es aber ganz gut, dass er sich den Insider-Status bewahren konnte, denn bei einer internationalen Vermarktung wüchse womöglich der Druck auf die Winzer, ihre Weine «mehrheitsfähiger» zu trimmen. Und wenn die Domestizierung erstmal anfängt, ist schwer zu sagen, wo sie aufhört.
Selbst die Butter hat Ursprung
Frankreich entdeckt gerade die Regionalität neu – zumindest im Bereich des gehobenen Genusses. In jeder guten Brasserie kommt die Butter wieder im klassisch gefalteten Papier oder Pergament auf den Tisch, darauf steht der Name des Produzenten, der heute eher wieder ein Hof und keine Fabrik ist, und nicht selten hat die Butter auch eine Ursprungsbezeichnung (AOP). Diese Sensibiliät gegenüber dem Ursprung zeichnet auch die Weinkarten aus, in denen diesbezügliche Details fast schon pedantisch genau aufgeführt werden. Und jeder Wein aus biologischem Anbau ist mit einem entsprechenden Symbol gekennzeichnet. Eine clevere, weil erzieherische Massnahme. Je mehr «Bio» auf den Weinkarten vermerkt ist, umso mehr steigt der Druck auf die konventionell arbeitenden Winzer, ebenfalls umzusteigen.
Natürlich wäre es falsch, Frankreich allzu schwärmerisch durch die rosa Brille sehen. Mit heute 15 Prozent der Gesamtproduktion ist der Anteil der biologisch angebauten Weine zwar stark gestiegen, aber es gibt noch reichlich Raum für Verbesserungen. Doch Frankreich zeigt uns, wie man trotz Klimaerwärmung die Individualität der Weine weiter hegen und pflegen kann. Auch in den vermeintlich kleinen Appellationen. VINUM hat in den letzten Jahren immer wieder über diese oft geradezu krass vernachlässigten Weine berichtet. Dabei ist doch klar: Im Burgund sind die weissen Wunder nicht die sündhaft teuren Edelcrus von der Côte de Beaune, sondern die verblüffend animierenden und preisgünstigen Gewächse aus der Côte Chalonnaise oder aus dem Mâconnais. Und an der südlichen Rhône gibt es unweit dem legendären Châteauneuf-du-Pape eine Fülle von anderen vorzüglichen Crus und Village-Selektionen zu entdecken, die nur wenig mehr kosten als das viel zitierte Butterbrot. Nirgends sonst ist die Wein-Schatzsuche so spannend wie in Frankreich. Darum: Wir bleiben dran!
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