Klartext
I’ll be back!
Text: Ursula Geiger ursula.geiger@vinum.ch
Die Weinwelt überrascht ständig mit neuen Ideen: Auf Orange Wine folgte Natural Wine, Pét Nat, Amphore, Flaschenreife in bewegter See oder wie Smaugs Schatz unter Tonnen von Fels. So ganz neu sind die Ideen nicht, oft wurde altes Handwerk neu aufgemöbelt.
Wer offen für Neues ist, probiert viel aus. Doch wenn sich die Flasche Pét Nat nach dem Öffnen schlagartig entleert, die Gäste duscht und die Tisch-Deko ertränkt, ist Schluss mit lustig. Wollte man doch als Connaisseur ein bisschen prahlen und so nebenbei gegen den globalisierten Geschmack ankämpfen und steht jetzt da wie ein begossener Pudel. So ging es mir jedenfalls. Bis ich vor einigen Wochen selbst mit altem Wissen zu experimentieren begann. Wegen Corona ans Haus gefesselt, hatte ich endlich Zeit, diverse Fermentationsprojekte zu starten. Zunächst konzentrierte ich mich auf Flüssiges. Ein Teepilz musste her. Nicht unbedingt eine Neuheit: Kombucha gab es schon vor 30 Jahren und verschwand irgendwann wieder in der Versenkung. Der gallertartige Blob erhielt den Namen Ferminator, in Anlehnung an den berühmten Cyborg, der seit 36 Jahren über die Leinwand flimmert. Ferminator schwebte also in einem hellroten gesüssten Aufguss aus Rooibos- und Hibiskusblüten. Hefe und Essigsäurebakterien taten ihr Werk. Das Resultat war ein hervorragender, fein säuerlicher Kombucha. Gemixt mit Pét Nat, stellte ich fest, ergab der fermentierte Tee ein anregendes Getränk, das half, die dystopische Stimmung ein wenig aufzuhellen. Und weil dem Teepilz eine gesundheitsfördernde Wirkung nachgesagt wird, war nichts dagegen einzuwenden, schon um 11 Uhr morgens ein Gläschen Ferminator-Pét Nat zu trinken. Beflügelt vom Erfolg, wagte ich mich an Sauerteig. Zu Ferminator gesellten sich Rocky aus Roggenmehl und Conan aus Weizenmehl. Jede Getreidesorte frisch gemahlen und in Bioqualität. Jeden Morgen um 8 Uhr wurden beide gepflegt und begutachtet. Rocky entwickelte sich prächtig, auch sensorisch war alles einwandfrei. Conan hingegen fing an zu schwitzen und roch etwas streng. Nach sechs Tagen ging es ans Backen. Es war mir nicht bewusst, dass es so viele Brotback-Blogs gibt. Da war die Rede von Levain und Poolish, Letzterer angesetzt mit 0,1 Gramm (!) Frischhefe. Ich war nahe daran, eine teure Präzisionswaage zu bestellen, schonte aber mein Budget und klickte in den Warenkorb nur Bäckerleinen, Baguette-Blech und Lavasteine, um das werdende Brot im Ofen optimal beschwaden zu können. Die Post brachte das Equipment. Die Tagesstruktur wurde dem Brotbacken unterworfen. Der Erfolg war mässig. Aussen knusprig und innen luftig geht anders. Die verwöhnten Gaumen im Haushalt forderten Butterzopf und Brot vom Bäcker: Der massive Prügel, der nur entfernt an Baguette erinnere, diene eher als Waffe und sei eine Gefahr für die Zähne. Mit der Zeit wurden die Brote besser. Noch immer schmeckt jedes anders und kein einziges taugte bisher optisch für einen frenetisch gefeierten Post auf Social Media. Kein Meister ist vom Himmel gefallen und wer Neues wagt, muss kritikfähig sein. Das gilt auch für neue Wein-Konzepte.
Vom Saulus zum Paulus
So wich meine Skepsis gegenüber Weinexperimenten, die ich oft als «nice to have» abgetan hatte, dem Respekt für die Winzer, die ihre Ideen konsequent umsetzen. Sie nehmen Rückschläge in Kauf, lernen dazu und nehmen den nächsten Anlauf. Sicher sind Pét Nat, Orange Wine und Natural Wine sowie der Ausbau in Amphoren nichts Neues. Diese Arten der Weinbereitung sind altes Handwerk. Doch das Wissen ging über Generationen hinweg verloren und wich einer immer technokratischer werdenden Weinproduktion. Alles hatte clean und sauber zu sein. Glattgebügelt und gefaltet, wie es der «Mode» entspricht, und dabei losgelöst von Herkunft und Typizität. Profitiert davon hat die Industrie, die Enzyme, Reinzuchthefe und unzählige andere Mittel verkauft. Heute gibt es Reinzuchthefe auf dem Markt, die den Geschmack spontan vergorener Weine nachahmen können soll. Erstaunlich, dass viele Konsumenten diese Fantasielosigkeit unkommentiert hinnehmen und sich derart hinters Licht führen lassen. Weinprofis hingegen haben die Tendenz, den alten Wein in neuen Schläuchen zu feiern und dann wieder auf die Pirsch nach Neuem zu gehen. Man beschäftigt sich eine Weile mit der Beute, fördert den Hype und lässt die Welle brechen, sobald der nächste Trend auftaucht. So bleiben gute Ideen in der Nische stecken oder verschwinden wieder, sobald die Nachfrage sinkt. Im Falle eines Teepilzes ist das nicht so tragisch. Aber für die Weinwelt wünsche ich mir, dass die Winzer für ihre Ideen weiterhin brennen.