Die neuen Terroirs

Mit der Frische der Berge

Text: Thomas Vaterlaus, Foto: John William at Crush Wine Photos

Riojas Topwinzer stossen im Norden, im Süden und immer mehr auch im Osten in höhere Lagen vor und übernehmen Parzellen mit Viñas Viejas, die vor wenigen Jahren noch von der Rodung bedroht waren. Mit der Ausschöpfung dieses topografischen Potenzials trotzen sie der Klimaerwärmung und bringen dennoch mehr Wärme in stets kühler wirkende Crus in die Flaschen.

Rioja Alavesa

Vom Weinbau am Fels

Norte, einfach nur Norte heisst dieser Rebberg. Und das ist nicht übertrieben, denn weiter nördlich geht es hier in der Rioja ­Alavesa bei Laguardia ganz einfach nicht mehr. Hinter den Reben liegt nur noch ein winziges Wäldchen, dann folgt der senkrechte Fels der Sierra-de-Cantabria-Bergkette. Und die 2,7 Hektar kleine ­Parzelle liegt nicht nur maximal nördlich, sondern auch maximal hoch, nämlich 720 Meter über Meer.

«In der Höhe, abgeschottet von der betriebsamen Haupt-zone des Alavesa-Weinbaus, müssen wir aufpassen, dass uns Wildschweine und Hirsche nicht die reifen Trauben wegessen.»

Carlos San Pedro, Bodegas Pujanza, Laguardia (Rioja Alavesa)

«Wir ernten hier heute noch immer erst Ende Oktober, und das ist perfekt so», sagt der 51-jährige Carlos San Pedro, Abkömmling einer weit verzweigten Winzer-Dynastie in Laguardia. Hier hat er denn auch im Alter von 26 Jahren sein eigenes Projekt lanciert, Bodegas y Viñedos Pujanza, und ist in seiner Heimat mit den Jahren immer mehr in Richtung Berg vorgestossen. Eben bis zur Lage Norte. «Hier, abgeschottet von der betriebsamen Hauptzone des Alavesa-Weinbaus, müssen wir aufpassen, dass uns Wildschweine und Hirsche nicht die reifen Trauben wegessen», sagt der Bergwinzer. Auch Wölfe sollen schon gesichtet worden sein.

Bei der Verkostung im Weingut zeigt sich dessen glasklares Konzept, hier werden fünf Rotweine produziert. Sowohl der bereits sehr hochwertige Basiswein als auch die vier Einzellagen-Selektionen werden in ähnlicher Form vinifiziert und kommen zur gleichen Zeit, drei bis vier Jahre nach der Ernte, auf den Markt. Gegenwärtig wird die Kollektion 2020 angeboten. Was also den Unterschied zwischen den vier Crus ausmacht, sind einzig die vier verschiedenen Terroirs in Höhenlagen zwischen 550 und 720 Metern über Meer. Kraft, gepaart mit Finesse und Frische zeigen sie alle, wobei der Cisma dann doch eine Spur vollmundiger und reifer wirkt als der überaus puristische Norte mit seiner sehr ­mineralischen, an Graphit erinnernden Aromatik. In seinen sehr jungen Jahren zog Carlos San Pedro von seinem Heimatstädtchen Laguardia ins grössere Logroño, doch dort gefiel es ihm nicht. «Ich sagte mir, entweder gehst du noch viel weiter weg, nämlich nach New York, oder wieder zurück nach Laguardia.» Er wählte Letzteres, zum Glück für alle Rioja-Liebhaber. Inzwischen arbeitet bereits sein 21-jähriger Sohn im Betrieb mit und ist bereit, die ­Mission «Einzellage am Berg» weiterzuführen.


Rioja Alta

In der Kühle des Südens

Es gibt Geschichten, die im historischen Bahnhofsviertel in Haro beginnen und ganz woanders hinführen. So wie diese. Aber beginnen wir von vorne. Die Bodega Gómez Cruzado thront im ­Barrio de la Estación mitten zwischen den Kathedralen des Weins. Obwohl schon 1886 gegründet, sorgt seit rund zehn Jahren ein junges Team für frischen Wind. Mit animierenden Funky Wines und einprägsamen Labels im Retrostil führt uns die Gómez-Cruzado-Gang in ein neues, spannendes Kapitel des Rioja-Weines. Klar ist: Für Funky Wines braucht es auch Funky-Frucht. Und diese finden sich heute vermehrt im Süden der Rioja Alta, in den Ausläufern der Sierra de la Demanda. Mehr Frische im Süden? «Ja, denn die Rebberge liegen hoch, über 600 Meter und sind nach Norden ausgerichtet», sagt Juan Bautista Saenz, seit einem Jahr als Direktor für den An- und Ausbau der Weine verantwortlich. Zuvor hat er 20 Jahre lang für Telmo Rodríguez gearbeitet. «Aber dieses Abenteuer hier im Süden der Rioja Alta ist das spannendste meiner Karriere», meint er.

Die Fahrt in den Süden dauert 40 Minuten. Es geht weg von den bekannten Winzerdörfern entlang des Ebros, immer weiter hinaus ins leere Land mit Getreidefeldern und Dörfern, bis plötzlich wieder Reben auftauchen. Das Dreieck zwischen den Dörfern Cordovin, Badarán und Cárdenas ist der neue Hotspot für jene, die nach Eleganz und Frische suchen.

«Im ehemaligen Clarete-Land im Süden der Rioja Alta reifen heute charakterstarke Weine mit Finesse und Struktur.»

Juan Bautista Saenz, Kellermeister Bodegas Gomez Cruzado, Haro

Früher wurden hier nur Weissweine und sehr helle Rotweine, die «Clarete» genannt wurden, produziert. Die besten Parzellen – «Pancrudo»-Plots – befinden sich im Valle de la Lengua auf 660 Metern über Meer. Hier ist die Grenze des Bereiches erreicht, wo Weinbau überhaupt noch möglich ist. «Die einstigen Claretes kamen auf knapp elf Volumenprozent Alkohol, heute bringen die alten Reben durchaus Weine mit 14 Volumenprozent hervor», sagt Juan Bautista Saenz.

Allen voran die Garnacha-Trauben aus der Sierra de la Demanda verleihen den Gómez-Crusado-Crus eine neue Dimension, besonders dann, wenn sie im unbehandelten Beton vinifiziert werden. Exemplarisch zeigt sich dies im Pancrudo Selección Terroir, einem reinsortigen Garnacha von alten Buschreben aus dem Dorf Badarán, der zu gleichen Teilen im Betonei, in der Barrique und im Foudre reift. Frische Waldbeeren, Heidelbeeren, Zwetschgen und dazu erdige Noten prägen diesen Cru, der im Gaumen eine fast elektrisierende Spannung erzeugt, die in einem pfeffrigen Finale endet. Ein Wein der Kategorie «funky plus».


Rioja Oriental

Das Wunder vom Monte Yerga

Im Schwemmland des Ebros, in der Rioja Oriental, reifen vorzüglicher Spargel, Paprika und Artischocken, die als Edelkonserven in ganz Spanien bekannt sind. Doch in Bezug auf den Wein lag die grösste und vermeintlich wärmste Subregion lange im Schatten der Rioja Alta und der Rioja Alavesa. Jetzt nicht mehr. Spätestens seit Álvaro Palacios nach dem Tod seines Vaters in die Rioja Oriental zurückgekehrt ist und hier ab dem Jahrgang 2014 mit seinem Quiñón de Valmira, einem von Garnacha dominierten Mischsatz von sehr alten Reben, ein Ausrufezeichen setzte, ist diese Subregion im Aufwind. Das gilt ganz besonders für die Terroirs am Monte Yerga.

In den etwas tieferen Ausläufern dieses Bergzuges bringt beispielsweise die Bodega Real Agrado höchst kraftvolle und ausdrucksstarke Lagenweine in die Flaschen. Darunter Crus wie den Rodiles 2012, einen reinsortigen Graciano, der erst nach zehnjähriger Flaschenreife auf den Markt kommt, oder den Las Planas Blanco de Viura 2018, einen perfekt ausgereiften Weisswein mit salzigem Schmelz. Andere suchen weiter oben am Berg nach mehr kühler Finesse. Der 50-jährige Javier Arizcuren, der in Logroño mit seiner Frau ein Architekturbüro (spezialisiert auf Weinguts-Projekte) betreibt, verwirklicht am Monte Yerga gerade einen sehr persönlichen Traum: Er restauriert alte Rebparzellen seiner Vorfahren. Andere verlassene Rebberge kamen dazu.

«In den hohen Lagen am Monte Yerga, wo frische Weine reifen, zeigt sich die Rioja Oriental von ihrer besten Seite.

Javier Arizcuren, Besitzer von Bodegas Arizcuren, Quel

So arbeitete er sich in immer höhere Lagen vor. «Weil in der fruchtbaren, warmen Talsohle viel höhere Erträge lockten, begann sich der Weinbau hier vor 50 Jahren immer mehr in die Ebene zu verlagern. Einige mögen daran gut verdient haben, aber für den Ruf der Weine war das schlecht», sagt er. Mit seinem Projekt möchte er zeigen, welch grosses Potenzial in den historischen Lagen der Rioja ­Oriental steckt. Seine «Grand Cru»-Lage ist die höchste, sie heisst Barranco del Prado. Hier, auf 770 Metern über Meer, wachsen Garnacha, aber auch alte Sorten wie Calagreño und Tinto Velasco mehrheitlich wurzelecht im sandigen Boden mit Kalk und Lehm. 130 Jahre alt sind die Stöcke im Durchschnitt. Der Viñedo Singular Barrancos del Prado 2021, der erste Jahrgang, den er aus dieser Parzelle in die Flasche gebracht hat, ist ein grosser Wein, der sich in positiver Weise jeder Einordnung entzieht. Weil der pH-Wert von 3,2 für einen Rotwein extrem niedrig ist, durchlief er die malolaktische Gärung nur teilweise. Mit seinem puren Temperament erinnert dieser Wein an ein wildes Pferd. Also: aufsteigen und losreiten, dem Gipfel des Monte Yerga entgegen.