Regionale Küche gesucht
Schlemmen in Bordeaux
Text: Barbara Schroeder
Warum gibt es keine echte Bordelaiser Küche? Ganz einfach: weil es keine echte Bordelaiser Küche braucht. Das eigentliche Geheimnis der lokalen Gastronomie liegt in der Fülle erstklassiger Grundprodukte.
Halten Sie hier in Bordeaux ein paar Passanten auf der Strasse an. Fragen Sie sie nach einer echten Bordelaiser Spezialität. Nach langem Zögern wird die Antwort mit einiger Sicherheit wie folgt ausfallen: «Entrecôte à la Bordelaise». Ich habe es selber versucht. Fünfmal hiess es: Entrecôte nach Bordelaiser Art. Dreimal punktete das Süssgebäck Cannelé, ebenso wie «Magret de Canard», gebratene Entenbrust. Die «Lamperoie à la Bordelaise», Neunauge in Rotweinsauce, erhielt eine Stimme ebenso wie «Taboulé», das von einem besonders witzigen Jungen genannt wurde.
Nehmen wir diese magere Ausbeute etwas genauer unter die Lupe. Taboulé, ein von allen Franzosen geschätzter Bulgursalat mit Petersilie, Rosinen, Minze und Zitrone, stammt aus dem Maghreb. Lamperoie à la Bordelaise ist ein recht barbarisch wirkender, deftiger Eintopf aus in Rotwein gekochten Stücken Neunauge, mit Zwiebeln, Lauch, Knoblauch und Speck. Das Gericht wurde eine Zeit lang mit besonderer Vorliebe von Bordelaiser Weingütern serviert, weil es angeblich das einzige Fischgericht war, das zu Rotwein passte. Wahrscheinlich wurde es von portugiesischen Hausangestellten in die Küche der Region eingeführt. Im Buch «Die Bordelaiser Küche» von 1898, auf das wir gleich zu sprechen kommen, fehlt es völlig. Magret de Canard, eine im Ganzen gebratene Entenbrust, wurde von Küchenchef André Daguin erfunden, und zwar 1959, im Département Gers. Weil im Südwesten die Ente Stopfleber und Confit lieferte, eingekochte Schenkel und Flügel, die Brust aber niemand wollte, kam Daguins Erfindung wie gerufen.
Eine Art von «Abfallverwertung» ist offenbar auch das Cannelé, ein Eiergebäck mit Rum und Vanille, um das sich eine ganze Anzahl Legenden spinnen. Es soll Jahrhunderte alt sein und dazu gedient haben, die vielen Eigelbe zu verarbeiten, die beim Schönen der Weine mit Eiweiss übrig blieben. Als ich Mitte der 1980er Jahre nach Bordeaux kam, war es so gut wie unbekannt. Erst, als in Bordeaux der Tourismus zu boomen begann, wurde das klebrige Ding Mode. Bleibt das Entrecôte à la Bordelaise. Das stammt tatsächlich von hier. Der Küchenchef, Kochbuchautor und Kochschullehrer Alcide Bontou erwähnt es in seiner 1898 erstmals erschienen Kochfibel «La Cuisine Bordelaise»: Ein dickes Rindersteak, am besten aus dem Hals, wird über Holz aus alten Fassdauben gegrillt und mit einer Mischung aus fein gehacktem Knochenmark, Schalotten und Petersilie bestreut. Als Ersatz fürs Feuermachen war auch Rebholz erlaubt, Kenner verwendeten alte Fassdauben aus Kastanienholz, weil das besonders gut duftete. Nur Pariser Ignoranten, so schrieb Bontou, falle es ein, das Entrecôte à la Bordelaise an Rotweinsauce zu servieren, so wie das in alten Kochbüchern nachzulesen ist. In einem wird für die ominöse Rotweinsauce sogar Burgunder verwendet! Bontou, der seine Kurse für Bordelaiser Hausdamen im Anzug gab, um zu zeigen, dass Kochen eine ganz und gar saubere Sache sei, gibt in seinem Standardwerk hunderte von Rezepten zum Besten. Nur gerade drei oder vier davon werden «à la Bordelaise» zubereitet, etwa Aal und Auberginen, einfach in Öl gebraten, oder zarte Erbsen, mit Schinken und gekochtem Kopfsalat.
Es scheint also, dass es kaum echte regionale Gerichte in Bordeaux gibt. Doch das ist ein Trugschluss, typisch für jemanden der aus dem Norden kommt, wo Grundprodukte oft erst nach aufwendiger Zubereitung halbwegs munden. In Bordeaux gibt es keine regionalen Rezepte, weil es keine Rezepte braucht. Hier schmecken alle Grundzutaten so, dass man sie mit Vorteil auf die natürlichste Art zubereitet und auf allen weiteren Firlefanz verzichtet.
Bordeaux ist nicht nur eine grosse Weinregion. Bordeaux sitzt auch wie eine Spinne mitten in einem engmaschigen Netz von Produzenten erstklassiger landwirtschaftlicher Erzugnisse. Nicht nur in der Stadt selber gibt es legendäre Märkte, auch zum Beispiel in Libourne, Langon oder Blaye. Der Süden des Départements, die «Haute Lande Girondine», steht für erstklassiges Geflügel: zarte Tauben, schmackhafte Perlhühner, fette Enten und mehr. Auf den Wiesen werden nach strengen Regeln Rinder gemästet, die als «Boeuf de Bazas» Karriere machen, oder schon früh als saftiges «Veau sous la mère», mit Muttermilch grossgezogenes Kalb, in den Bräter kommen. Die Becken rund um Arcachon und Cap Ferret liefern vorzügliche Austern, die Gironde Crevetten und Aale und der Atlantik Seezungen und Rotbarben sowie eine ganze Anzahl weiterer Fische und Meeresfrüchte. Legendär sind auch Spargel aus Blaye, Artischocken aus Macau, Melonen aus Nérac, Tomaten aus Marmande, Erdbeeren und Backpflaumen aus Agen und anderes mehr. Die Liste ist noch lange nicht zu Ende!