Liebesbrief an einen Barsac

Doisy-Védrines

Wer Vorurteile gegen edelsüsse Weine abbauen will, halte sich an Doisy-Védrines, das Cru Classé, das seine Exzellenz massgeblich Olivier Castéja (rechts) und Schwiegersohn Guillaume Lefebvre verdankt.

Ich hole weniger oft edelsüsse Weine aus dem Keller als rote, doch wenn, zieht es mich fast immer in die Ecke, in der ein paar Jahrgänge Doisy-Védrines schlummern. Der Grund ist einfach. Dieser stilechte Barsac gerät nicht nur Jahr für Jahr ausgezeichnet, was gerade in Sauternes an ein Wunder grenzt: Aufgrund seines ausgewogenen Süsse-Säurespiels mundet er bereits nach drei, vier Jahren ausgezeichnet und kann bei Bedarf doch lange reifen. Als exquisite Rarität (produziert werden meist weniger als 35 000 Faschen) ist er ferner zu einem Preis zu haben, der ihn wie ein Geschenk erscheinen lässt.

Ich höre selbst hier in Bordeaux Fachleute, die es eigentlich besser wissen müssten, damit prahlen, dass sie auch um die grössten Sauternes und Barsac einen Bogen machten, weil die Art von Wein so schwerfällig gerate, dass sich die geeignete Gelegenheit, eine Flasche zu öffnen, nie einstelle. Wer das erzählt, steckt noch tief in den 1980er Jahren und hat auch damals die falschen Weine geöffnet. Denn selbst die Doisy-Védrines aus dieser Epoche wirken bis heute ungemein elegant, mit delikaten Noten von Blüten und Trockenfrüchten, einem Hauch Kakao oder Trüffel und einer zarten Bittermandelnote im Ausklang. Zum Ausnahmewein prädestiniert wird Doisy-Védrines durch seine hervorragende Lage im oberen Teil von Barsac, auf einem flachen Hügel aus Lehm über Kalk. Schwerfällig und ölig sind sie bis heute nicht, sondern betören durch seidige Fruchtigkeit, spürbare Mineralität und gemeisterte Fülle. Selbst jung genossen sind sie echt erfrischend.