Reise mit der Zeitmaschine
Château Olivier
von Barbara Schroeder
Château Olivier in Pessac-Léognan im Besitz der alteingesessenen Familie de Bethmann gehört zu den ältesten Gütern der Region. Ein Besuch des pittoresken Ortes wird zum unvergesslichen Erlebnis.
Es gibt Orte, die niemanden unberührt lassen. Château Olivier gehört dazu. Jedes Mal, wenn ich in die Zufahrt einbiege, die zu dem Weingut führt, im Schritttempo über das Schottersträsschen holpere und immer tiefer in den monumentalen Eichenwald tauche, fühle ich mich wie in einem Tunnel, der mich quer durch die Epochen zurück bis ins ferne Mittelalter führt. Zahlreiche Legenden stricken sich um das unter Denkmalschutz stehende Schloss, dessen Geschichte im 11. Jahrhundert ihren Anfang nimmt.
500 Jahre später gibt ein Edelmann namens Artus d’Olivey dem ehemaligen Jagdschlösschen ungefähr die heutige Form einer Trutzburg mit Wehrtürmen und Schiessscharten, Burggraben und Ziehbrücke, auch wenn später jede Besitzergeneration das eine oder andere veränderte oder verbesserte und das Schloss nach einer Feuersbrunst mehrmals umgebaut wurde. Für Reisende, die nur kurze Zeit in Bordeaux weilen und trotzdem ein Weingut besuchen möchten, liegt Olivier geradezu ideal, kaum 30 Minuten von der Stadtmitte entfernt, in der heute Pessac-Léognan genannten Anbauzone, in der im 16. und 17. Jahrhundert der «neue grosse Bordeaux» erfunden wurde.
Château Olivier mag einer Trutzburg aus dem Mittelalter gleichen. Doch in puncto Weinbau ist das Gut auf dem neusten Stand.
Besucher des Gutes kommen nicht nur in den Genuss einer spannenden Unterrichtsstunde in Sachen Weingeschichte und Kellerkunst, sie können auch etwas Naturkunde betreiben. Denn trotz der Stadtnähe liegen die 60 Hektar hervorragender Weinbergslagen mit Böden von Kies und Kalk an einem Stück inmitten eines einmaligen Naturreservats, einer grünen Insel von 220 Hektar Wiesen und Wäldern mit ganz besonderem Mikroklima, intaktem Ökosystem und einer geradezu überwältigenden Fülle an verschiedenen Pflanzen, Baumarten, Vogelarten und Wild. Die geräumigen Kellergebäude stammen aus dem 18. Jahrhundert. Doch drinnen wird die Reise mit der Zeitmaschine kurz unterbrochen. Denn hier wird mit modernsten Mitteln gearbeitet, um die Essenz dieses einmaligen Orts auf die Flasche zu bringen: einen umwerfend mineralischen Weisswein voller Charakter und Rasse und einen harmonischen Rotwein von besonderer Raffinesse, dem es auch an der nötigen Struktur nicht fehlt.