Jahr mit Charme
Bordeaux 2017
Von Rolf Bichsel & Barbara Schroeder
In Bordeaux gibt es drei Arten von Jahrgängen: die guten, die schlechten und die in Vergessenheit geratenen. Der im Frühjahr 2020 ausgelieferte Jahrgang 2017 wird zu den Letzteren gehören. Das hat mehrere Gründe. Da ist einmal die nicht eben rosige Absatzlage oder die Tatsache, dass 2017 flankiert wird von vier «offiziellen» Spitzenjahren. Witterungsmässig ist 2017 komplex: Frühlingsfröste dezimierten die Ernte, doch sehr unregelmässig, der Sommer war sehr trocken, Juli tropisch, August mässig warm, September regnerisch. Für Statistiker und andere Zahlenkünstler war damit die Sache klar: Jahre, die mit «sieben» enden, gelingen ohnehin nie.
Schlimm ist das allerdings höchstens für die Leute, die im Wein nur die spekulative Seite sehen. Alle, die eine Flasche Wein am liebsten offen vor sich stehen haben, profitieren davon. Wir haben einige dieser «vergessenen» Jahrgänge im Keller, die nach 10, 15 Jahren plötzlich wiederentdeckt werden: 1999, 2004, 2014... Die gleichen Leute, die uns schief anschauten, als wir etwa 2001 nach unserer Primeurtour zu den Spitzenjahren zählten, pochen plötzlich darauf, dass «2001 besser ist als 2000». Gehen wir auf diese kopflastige Diskussion gar nicht erst ein. Solange Wein ein Produkt des Bodens bleibt und nicht der Technologie allein, hat jeder Jahrgang Berechtigung, weil jeder Jahrgang für eine besondere Saison steht und damit für einen besonderen Stil. Die einen mögen fette Weine und werden sich auf die 2018er stürzen, andere schätzen Eleganz und Harmonie– für sie kommt 2017 wie gerufen. Auf den besten, nicht oder kaum vom Frost betroffenen Gütern ist 2017 sogar ein ausserordentlich gutes und damit grosses Jahr. Noch nie in den letzten 30 Jahren konnten wir «en primeur» so liebenswürdige, harmonische, fruchtige, elegante Bordeaux verkosten, und dieser positive Eindruck hat sich auch in der Flasche bestätigt. Aufgrund ihrer Harmonie und Eleganz, ihrer Frische, ihrer mit perfektem Schliff versehenen Gerbstoffe werden die meisten Roten 2017 schon relativ früh viel Freude machen, doch nicht weniger gut reifen. Terroir- und damit Stilunterschiede kommen klar zur Geltung. Es handelt sich folglich auch um ein ideales Jahr, grosse Bordeaux-Güter besser kennenzulernen. Wir können daher nur dazu raten, hier und dort ein paar (weitere) Flaschen 2017er zu erwerben, nicht zuletzt, weil der Jahrgang besonders preiswert geblieben ist, sieht man von einer Handvoll (zu) teurer Spitzenweine ab. Man sollte allerdings sehr selektiv einkaufen und sich an die bekannteren Marken und grossen Terroirs halten, die nicht vom Frost betroffen waren – die nächsten Seiten sollen dabei helfen. Ausgezeichnet gelungen sind übrigens auch die trockenen Weissweine und die edelsüssen Kreszenzen.