Kulturgut Wein
Die Renaissance der Rebhäuser
Fotos: Régis Colombo / diapo.ch, Denis Roland
Die Rebhäuser in den Genfer Weinbergen dienen bereits seit Jahrzehnten nicht mehr ihrem ursprünglichen Zweck. Könnten diese mehr oder weniger stattlichen ehemaligen Geräteschuppen nicht zu weintouristischen Attraktionen umfunktioniert werden? Diese Frage stellen sich mittlerweile immer mehr Winzer.
Der dynamischste aller Genfer Winzer ist überzeugt: «Die Rebhäuser erzählen Geschichten. Sie sind das ideale Kommunikationsmedium, um über Tiere, Geschichte und Kulturgut zu informieren. » Doch trotz aller Begeisterung räumt Stéphane Gros ein: «Wir stehen erst am Anfang eines Prozesses, der sich über Jahre hinziehen wird. Als sich im Sommer 2019 eine Arbeitsgruppe zum Ziel setzte, diesem Kulturgut zu neuem Glanz zu verhelfen, waren die Winzer sofort mit von der Partie. Das ist ein vielversprechender Beginn. Zunächst ging es darum, die überall in den Rebbergen verstreuten Hütten zu lokalisieren und aufzulisten.» Innerhalb von sechs Monaten waren allein in Dardagny bereits 17 Rebhäuser erfasst. Wie andere Winzer aus der Gegend ist auch Stéphane Gros dabei, einige davon zu restaurieren. «Die Menschen interessieren sich heute wieder für Pflanzen und Tiere. Diese Häuschen dienten vor allem als Wetterschutz, zur Mittagspause und zur Aufbewahrung von Gerätschaften. Schön restauriert, sind sie heute vielfältig nutzbar », fährt Stéphane Gros fort. Ein paar Beispiele? «Als Etappenziel bei einer Feinschmecker-Rallye, als origineller Ort für Fotoausstellungen oder als Informationsstation an einem Lehrpfad durch das Genfer Umland.» Stolz verkündet der Winzer aus dem Mandement, dass man im Umkreis von wenigen hundert Metern um sein Rebhaus auf Salamander, Steinkäuze (kleine Eulenart), Turmfalken, Wiedehopfe (ein wunderschöner, orange gefiederter Vogel) und Hufeisennasen (aus der Familie der Fledermäuse) treffen kann. Und wer sich mehr für Geschichte als für Biologie interessiert, findet überall im Weingebiet bemerkenswerte Grenzsteine. «Wir verfolgen zwei Ziele: Zum einen sollen die Winzer, also alle, die im Rebberg wirklich noch von Hand arbeiten, und ihr Alltag in der Geschichte des Weingebiets verankert werden. Andererseits sollen die Rebhäuser gelebte Tradition vom Land in die Stadt tragen. Die Menschen kennen sich zwar mit den Genfer Weinen ziemlich gut aus, wissen aber nicht, welche Schätze sich im Genfer Umland nur wenige Kilometer von ihnen entfernt verbergen. Die Gamaret- und Sauvignon-Blanc-Weine, die in den Bars von Carouge und Les Pâquis serviert werden, kommen ja nicht aus dem Gewächshaus, sondern gedeihen im Genfer Hinterland, wo es so viel zu entdecken gibt.»
«CAPITES»
REBHÄUSER IM GENFER WEINGEBIET
Die Rebhäuser bzw. «Capites» im Genfer Weingebiet sind Teil der heute nur noch wenig bekannten historischen ländlichen Baukultur. Die Historikerin Isabelle Roland, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Genfer Ikonographie, erzählt uns mehr über die hübschen Häuschen in den Rebbergen der Romandie.
Im Wallis heissen sie «Guérites», im Burgund «Cabottes», in der Provence «Chibottes», im Beaujolais «Cadoles», im Genferseebogen «Capites» bzw. «Cabinet de Vignes». Trotz unterschiedlicher Namen erfüllten diese in der Regel unscheinbaren Gebäude überall denselben Zweck als Unterstand oder Geräteschuppen. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ungenutzt, weckten die Rebhäuser zu Beginn der 2000er Jahre das Interesse von Wissenschaftlern. Im Wallis wurde im Rahmen einer Ausstellung im Weinmuseum 2007 das Buch «Guérites, Ces cabanes dans les vignes» herausgegeben, das die Geschichte und Entwicklung der Rebhäuser nachzeichnet und auf die verschiedenen Nutzungszwecke eingeht: Geräteschuppen, Lagerung von Pflanzenschutzmitteln, Wetterschutz für die Arbeiter, Kundenempfang, Freizeit und Erholung.
«In den Rebbergen verstreut liegen kleine Gebäude. Mehrere sind auf Plänen verzeichnet, doch viele gibt es nicht mehr davon. Dort kann man Gerätschaften lagern, bei schlechtem Wetter Schutz finden, essen und sich ausruhen. Einige, vor allem wenn es sich um das Nebengebäude eines Herrenhauses handelt, haben sogar ein Zimmer im Obergeschoss.»
In Genf wurde den «Capites» bereits ein Jahr zuvor ein kleines Kapitel in dem von Isabelle Roland herausgegebenen Sammelwerk «Les maisons rurales du canton de Genève» gewidmet. Darin steht: «In den Rebbergen verstreut liegen kleine Gebäude. Mehrere sind auf Plänen verzeichnet, doch viele gibt es nicht mehr davon. Dort kann man Gerätschaften lagern, bei schlechtem Wetter Schutz finden, essen und sich ausruhen. Einige, vor allem wenn es sich um das Nebengebäude eines Herrenhauses handelt, haben sogar ein Zimmer im Obergeschoss. Das älteste «Capite» im Genfer Weingebiet befindet sich in der Gemeinde Landecy und stammt aus dem Jahr 1773. «Nicht alle verfügen über eine Datumsangabe», führt Isabelle Roland weiter aus. «Deswegen ist es durchaus möglich, dass manche sogar älter sind, denn bei meinen Forschungen bin ich noch auf andere «Capites» aus dem 18. Jahrhundert gestossen.» Bis ins Mittelalter oder die Renaissance reichen die Spuren allerdings nicht zurück. «Viele dieser Gebäude wurden mit relativ leichten Materialien gebaut und sind im Laufe der Jahre einfach verschwunden », klärt die Historikerin auf und weist darauf hin, dass die heute noch vorhandenen «Capites» nur einen kleinen Teil des früheren Bestandes ausmachen, von dem heute einige wenige historische Pläne eine Vorstellung geben. «Zugegebenermassen sind viele ‹Capites› architektonisch nicht besonders bedeutsam», räumt die Wissenschaftlerin ein. «Insbesondere jene, die nach dem Pilzbefall Ende des 19. Jahrhunderts zur Lagerung von Pflanzenschutzmitteln gebaut wurden. Infolge der Güterregulierung und der Verbesserung der Zufahrtswege zu den Rebbergen wurden diese unscheinbaren Hütten schliesslich nutzlos und verschwanden dann schnell.»