Dossier Önotourismus
Schweizer Wein: Warum? Darum!
Eingebettet zwischen Seen und Bergen bilden die Schweizer Rebberge einmalige Panoramen. Mehrere Generationen traditioneller Weinbauern hinterliessen in den verschiedenen Anbauregionen eine beeindruckende Vielfalt an Traubensorten. Jede Region, jeder Kanton, jede Appellation hat ihre eigenen, oft wenig bekannten Vorzüge. Unser Autor tauchte zur Recherche ein in uralte Traditionen, verstaubte Keller und schwindelerregend steile Terrassen und stiess auf Schweizer Besonderheiten. Trägt die Schweiz zurecht den Titel des «kleinsten der grossen Weinbauregionen»? Finden Sie es heraus! Sollte beim Aufbruch in die schöne Schweizer Weinwelt ein gelangweilter Teenager oder der Griesgram der fröhlichen Runde grummeln: «Warum unbedingt in die Schweizer Weinberge?», halten Sie ihm ein paar der folgenden Argumente entgegen. Mal schauen...
Weil die Schweiz einen der seltenen eiszeitlichen Weinberge besitzt.
Während der letzten Eiszeit – die vor rund 20 000 Jahren zu Ende ging – war das Land unter Eis begraben. Nach der Schmelze entstanden Moränen, Seen und Täler, eine wahre Schatzkammer für den Weinbau.
Weil die Winzer unglaublich einfallsreich sind, wenn es darum geht, Wein reifen zu lassen.
Manche lassen sie 40 Meter tief in den Genfer See hinunter, andere lagern sie auf 1300 Meter Höhe in der ehemaligen militärischen Festung von Airolo.
Weil man auf den sonnenreichsten Hängen des Wallis Originalkakteen aus Mexiko antrifft, die Nopales.
Im 17. Jahrhundert wurden die Feigenkakteen importiert und wachsen prächtig auf den Steilterrassen, hin und wieder bekommen sie Besuch von «Euscorpius italicus», einer kleinen Skorpionart.
Weil die Abtei St. Maurice seit 1500 Jahren Rebstöcke besitzt.
König Sigismund von Burgund übergab dem Kloster bei dessen Gründung im Jahr 515 Rebstöcke. Noch heute bewirtschaftet das Kloster seinen Weinberg und bietet Degustationen im Haus an. Damit ist es das älteste Weingut der Welt.
Weil der älteste Schweizer Rebstock 1798 gepflanzt wurde.
Er rankt an einer Hauswand in Salgesch. Stecklinge des mehrfach Hundertjährigen dienten der Neuanpflanzung der Parzellen von Cornalin; von dort fliesst eine Ausnahme-Cuvée ins Glas: der Cornalin Vitis Antiqua 1798.
Weil es am Genfer See Tsunamis gibt.
Saint-Saphorin, eins der hübschesten Weindörfer Europas, hiess bis 563 Glérolles. In diesem Jahr verwüstete ein Tsunami, der durch einen Erdrutsch hervorgerufen wurde, die Ufer des Genfer Sees von Villeneuve bis Genf.
Weil der Wiedehopf in die Weinberge der Westschweiz zurückkehrt.
Dieser prächtige orangene Vogel mit schwarz-weissen Streifen ist nur eines von vielen Tieren, die allmählich wieder in den Schweizer Rebbergen heimisch werden – dank des immer restriktiveren Einsatzes von Pestiziden.
Weil der «Champagner» von Neuenburg 1811 das Licht der Welt erblickte.
In jenem Jahr gründeten die Brüder Bouvier in Neuenburg einen Keller speziell für die Produktion von Schaumwein. Sie haben viele Nachahmer – und so wurde der Kanton bald berühmt für seine Schaumweine.
Weil Wind, Schnee und Frost unglaublich edle Weine hervorbringen.
Wie in Tokaj oder Sauternes gedeiht unter diesen Bedingungen im Walliser Herbst die Botrytis cinerea, auch «Edelfäule» genannt. Die im Winter geernteten, gefrorenen Trauben verwandeln sich in einen Dessertwein höchster Qualität.
Weil eine Walliser Spezialität ein «Flüchtling» aus dem antiken Griechenland ist.
Die Humagne Blanche, eine alte Rebsorte aus dem antiken Griechenland, wurde von phönizischen Seefahrern entlang der Rhône ins Wallis gebracht, der einzigen Region, wo sie noch eingeschenkt wird.
Weil die geschützte Ursprungsbezeichnung «Calamin» mit nur 16 Hektar ein stilles, unbekanntes Juwel ist.
Die Ortsbezeichnung leitet sich aus dem Wort «caler» ab: «Da, wo die Erde zum Stehen kam», denn ein Erdrutsch schuf vor 1000 Jahren das Gelände.
Weil die «Fête des Vignerons» seit 1797 einmal pro Generation auf dem Marktplatz von Vevey stattfindet.
Das aussergewöhnliche Spektakel, zu dem Hunderttausende Besucher anreisen, ist eine Hommage an die Rebbauern von Chablais und Lavaux.
Weil die Sortenvielfalt ihresgleichen sucht.
252 Rebsorten, darunter traditionelle, aus Nachbarländern importierte- oder Neuzüchtungen, geben die offiziellen Statistiken an. Der Schweizer Weinbau hat damit einen Ausnahme-Status.
Weil Hibernatus auferstanden ist.
Seit 2008 werden Westschweizer Qualitätsweine mit Hilfe einer Hefe ausgebaut, die man in einer Flasche von 1895 fand und die önologischen Forscher wieder zum Leben erweckt haben.
Weil der Pinot Noir den Rebbauern von Saint-Prex von Maria von Burgund geschenkt wurde.
Diese war 1419 vor der Pest-Epedemie in das Dorf bei Lausanne geflüchtet. 600 Jahre später bauen die lokalen Winzer sie immer noch an, unter der Appellation Servagnin de Morges.
Weil in Genf Berühmtheiten das Licht der Welt erblickten und: eine wingzig kleine Flasche.
Die Picholette – eine alte 0.28 Liter Flasche, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts in Verwendung war und heute durch die Domaine des Perrières neu aufgelegt wird. Sie ist sicher die kleinste Weinflasche im europäischen Handel.
Weil es ohne Schweizer keine Reben in Russland und den USA gäbe.
Im 19. Jahrhundert pflanzten Schweizer Rebbauern die ersten Weingärten in Russland (Bessarabien am Schwarzen Meer) und in den Vereinigten Staaten (Indiana im Switzerland County).
Weil ein Fondue das Gemeinschaftsgefühl stärkt.
Der berühmte Chasselas aus der französischsprachigen Schweiz harmoniert vortrefflich mit den Alpenspezialitäten Fondue und Raclette.
Weil in Gletschernähe ein legendärer Wein reift.
Der «Gletscherwein», ein Weisswein, reift jahrzehntelang in Fässern aus Lärchenholz und wird nur von wenigen Kellern im Val d’Anniviers, oberhalb von Siders, ausgebaut und direkt aus dem Fass verkostet.
Weil man im Westen das Wildschwein zugleich hasst und verehrt.
Das gefrässige, vom Rebbauern gefürchtete Tier wird auch auf den Prämierungsmedaillen für edle Weine im Kanton Genf abgebildet.
Weil die älteste, öffentliche Weinauktion jährlich, seit 1803, in Lausanne stattfindet.
Auf dieser für alle offen zugänglichen Versteigerung, die immer populärer wird, bietet man auf Weine von fünf historischen Gütern aus der Waadtländer Hauptstadt.
Weil der Kaiser den Ort Lavaux dem Erzbischof Burcard übergab, der den Beinamen «Antichrist von Lausanne» trug.
Die Weinberg-Terrassen von Lavaux, im 12. Jahrhundert angelegt von Zisterzienser- und Augustiner-Mönchen, gehören seit 2007 zum Weltkulturerbe der Menschheit.
Weil die Stadt Zürich trotz des Bevölkerungsdrucks 15 Hektar Weingärten im Stadtgebiet birgt.
2016 wurde ein weiterer Rebgarten mit 7500 Restöcken in einer anderen Schweizer Grossstadt angelegt: Genf.
Weil hormonelle Verwirrung die Insektizide verdrängt hat.
Die ersten biologischen Pflanzenschutztechniken im Weinbau wurden in den 70er Jahren in eidgenössischen Forschungsanstalten entwickelt. Sie machten den Einsatz von Insektiziden im Weinberg überflüssig.
Weil die Alpen das Ergebnis des Zusammentreffens der afrikanischen und der europäischen Kontinentalplatten bilden.
Die Nordspitze des geologischen Afrika reicht in die Magadino-Ebene, die Grenze zwischen zwei Tessiner Weinbauregionen: dem Sottoceneri und dem Sopraceneri.
Weil die Walliser vor Jahrhunderten ein System aus Bewässerungskanälen schufen, die «Suone» – für die Rebgärten an den extrem trockenen Abhängen.
Heute sind noch 200 Suone in der Landwirtschaft im Einsatz und dienen als beliebte Wanderwege.