Die Herstellung des Hartkäses
Von der Weide auf den Tisch
Foto: Martin Hirmer
Ein Besuch in zwei Caseifici der Lombardei: einer Genossenschaft mit 38 Ställen an den Ufern des Flusses Po und einem Familienbetrieb bei Piacenza. In beiden wird Grana Padano DOP mit Goût de Terroir produziert.
Das Tagwerk beginnt früh in den Käsereien Norditaliens: Zwischen drei und vier Uhr früh sind die Casari – die Käsemeister – und ihre Helfer bereits an den Kesseln ihres Caseificio zu finden. Auch Sandro, der Casaro des Caseificio Europeo in Bagnolo San Vito bei Mantova beginnt in den frühen Morgenstunden mit dem Basisprodukt: roher Kuhmilch aus einem der 38 Ställe der 90 Mitglieder umfassenden Genossenschaft. Im Familienbetrieb der Brüder Ennio und Gianfranco Palormi, dem Caseificio Borgonovo in Monticello d’Ongina bei Piacenza, sind es hingegen nur fünf Ställe, die ihre Milch liefern. Aber die Kontrollen sind überall dieselben: Die Milch der Lieferanten wird auf ihre Qualität überprüft, sie stammt von Betrieben mit genau definierten und streng kontrollierten Merkmalen und von maximal zwei Melkungen pro Tag oder von Kühen, die mit freiem Zugang zu einem automatischen Melksystem gemolken werden. «Die Milch ist fundamental für die Qualität des Käses», sagt Sandro. «Sie wird teilentrahmt, um dem Käse noch immer die Qualität der Rohmilch zu bewahren.»
Aber längst ist die Milch am Dampfen – im Caseifico Europeo in Dutzenden Kupferkesseln, im Caseificio Borgonuovo sind es gerade mal acht. Jeweils tausend Liter entrahmter Milch wurden in diese Kupferkessel mit doppeltem Boden gefüllt. Die Kessel haben die Form von umgekehrten Glocken. Jeder Kupferkessel ist dazu prädestiniert, zwei sogenannte «Zwillingslaibe» zu gebären. Aber vorerst wird die Molke, die bei der Käseherstellung am Vortag erzeugt wurde, hinzugefügt. In der Molke haben sich natürliche Milchsäurebakterien entwickelt. Diese sind die idealen Unterstützer, um den Umwandlungsprozess von Milch in Käse anzustossen. Die Molke sei das Nonplusultra meint Ennio im Caseificio Borgonovo, die Hefemutter, die darin enthalten ist wird schon seit Jahren täglich gehegt und gepflegt und gibt einem Grana Padano den persönlichen Touch. Dafür muss man auch jeden Abend die Molke für den nächsten Morgen vorbereiten – bei Ennio ist es pünktlich um sechs Uhr, 365 Tage im Jahr. Denn Käsemachen sei eine exakte Wissenschaft, sind sich die casari Sandro und Ennio einig. Die Uhr ist daher auch allgegenwärtig: In grossen digitalen Zahlen gibt sie fast über jedem Kessel die Zeit vor, wann die Molke hinzugegeben oder wann der Käse herausgehoben werden muss.
Die so angereicherte Milch ist inzwischen auf eine Temperatur von 31 bis 33 Grad erhitzt und das Kälberlab wird zugesetzt. Nun kommt der Spino zum Einsatz, ein grosser Schneebesen, mit dem der Käsebruch in reiskorngrosse Stücke zerlegt wird. Das überprüfen Sandro und Ennio auch regelmässig, indem sie mit dem Gummihandschuh die Konsistenz des Käsebruches kontrollieren. «Auch hier kommt es auf die genaue Zeit an, wie lange der Käse auf 56 Grad erhitzen muss», sagt Ennio. Mit Erreichen dieser Temperatur (die dann für eine halbe Stunde bis zu einer Stunde konstant gehalten werden muss) ist der Garvorgang beendet und das Quarkgranulat beginnt sich am Boden des Kessels abzusetzen. Für Ennio ist das der Zeitpunkt, an dem seine kleine Tochter in die Schule gehen muss: Ein paar Minuten hat er Zeit, sie vor der Käserei zu verabschieden und einen Espresso zu trinken. Dann geht er wieder an die Arbeit. Der Käsebruch ruht inzwischen 30 bis 70 Minuten lang auf dem Kesselboden unter der Molke, sodass sich die gesamte Masse zu einem einzigen Laib zusammenfügt.
Nun sind wieder die Casari gefragt: Sandro und seine Helfer und auch Ennio und sein Bruder Gianfranco beginnen, die Käsemasse mit einer Holzschaufel und einem «Schiavino» (Leinentuch) aus dem Kessel herauszuheben und in zwei gleiche Teile zu schneiden. So entstehen die beiden «Zwillingslaibe». Jeder der beiden Laibe wird mit einem Leinentuch umwickelt. Anschliessend werden die Laibe auf den Ablauftischen abgesetzt.
Nach dem obligatorischen Blick auf die Uhr wird jeder Laib von einer engen, bandartigen Form – der Fascera – umschlossen und mit einer Scheibe leicht zusammengepresst. Nun ist Zeit aufzuatmen, denn der Grana Padano verharrt für einige Stunden in dieser Position, bevor er weiterverarbeitet wird. Und auch für die Casari Sandro und Ennio ist es Zeit, aufzuräumen und alles für den nächsten Tag vorzubereiten.
Etwa zwölf Stunden nachdem der Laib in die Form gegeben wurde, wird zwischen der fascera und dem Rand der Form eine weitere fascera aus geeignetem Kunststoffmaterial eingelegt, das die Ursprungskennzeichnung im Relief zeigt.
Schliesslich wird die Kaseinmarke angebracht, die zu einem Teil der Kruste wird. Diese Marke enthält die Identifikationsnummer, die zur Rückverfolgung des Produkts dient. Nach 24 Stunden wird das anfangs verwendete Kunststoffband durch eine Stahlform ersetzt, die perforiert und leicht abgerundet ist, sodass der Käse seine charakteristische Form mit einer konvexen Kante und flachen Ober- und Unterseiten erhält.
Die Uhr hat nun ausgedient, die weiteren Schritte gehen langsam vonstatten: Nach zwei Tagen werden die Käselaibe in eine Lösung aus Wasser und Salz getaucht. Somit wird die Masse gesalzen. Dieser Prozess kann zwischen 14 und 30 Tagen dauern, je nach Art der Salzlösung, der Grösse des Käses und dem erforderlichen Salzgehalt. Nach dem Salzen werden die Laibe in den Wärmeraum, die camera calda gebracht, wo sie für einige Stunden trocknen. Und schliesslich kommen die Laibe des Grana Padano – jeder rund 15 Kilogramm schwer – ins Reifelager, wo sie bei konstanter Temperatur zumindest neun Monate bleiben.
«Damit ist der erste Teil der Produktion abgeschlossen», erklärt Sandro. «Der Rest liegt nun an der Harmonie des Reifeprozesses.» Dieser findet in Lagerräumen statt, die mit Systemen ausgestattet sind, die die Temperatur-, Feuchte- und Lüftungsanforderungen regeln. Die Reifung kann von mindestens neun Monaten bis zu mehr als 20 Monaten dauern. Während dieser Zeit finden eine Reihe wichtiger physikalischer und chemischer Veränderungen statt, bei denen der Käse seine typischen organoleptischen Eigenschaften erhält. «Aber für uns ist damit die Pflege noch nicht abgeschlossen: Die Laibe werden gereinigt und etwa alle 15 Tage gewendet», erklärt Ennio. Diese Arbeit erfolgt mithilfe von speziellen Dreh- und Bürstautomaten.
Und dann – nach neun Monaten Reifung – wird schliesslich entschieden, ob ein Laib sich auch Grana Padano nennen darf. Dazu hat der casaro sein Instrumentarium zur Verfügung: kleinen Hammer, Nadel und Käsebohrer. «Durch das Klopfen mit dem kleinen Hammer hört man, ob eventuell Lufteinschlüsse oder auch besonders dichte Stellen im Käse sind», sagt Sandro im Caseificio Europeo. Auf diese Weise können auch unregelmässige Wölbungen oder Risse erkannt werden, die durch anormale Gärung verursacht werden.
Die Nadel, deren Spitze spiralförmig ist, wird in den Käse eingeführt, um den Geruch und den Geschmack des Teiges zu überprüfen. Dazu werden kleine Bröckchen herausgezogen, ohne dabei den Laib zu beschädigen.
Um die Qualität der Masse zuverlässig zu überprüfen, wird schliesslich mit dem Bohrer ein Stück Käse, das heisst, eine kleine Menge Käse von circa einem Zentimeter Durchmesser und sieben bis acht Zentimetern Länge, entnommen. Auf diese Weise können der Duft, die Farbe, die Elastizität des Teiges und das Vorhandensein von Unregelmässigkeiten oder Fehlern beurteilt werden.
Sandro: «Sollte man immer noch Zweifel an der Qualität haben, kann der Käselaib auch aufgebrochen werden, um zu sehen, was nicht stimmt.» Laibe, die den Anforderungen der Spezifikation nicht genügen, werden «überschrieben», das heisst, mit Zeichen überzogen, die die Rauten mit der Aufschrift «Grana Padano» überdecken.
Entspricht der Käse den in den Produktionsregelungen festgelegten Anforderungen, was natürlich in mehr als 90 Prozent zutrifft, wird ein Brandzeichen angebracht, das die Qualität des Käses und die Rechtmässigkeit der Definition «Grana Padano DOP» bescheinigt. Dann sind auch die casari Sandro und Ennio zufrieden, wenn sie den fertigen Käse in der Hand halten: einen Oltre 16 mesi, weich und cremig, wie ihn Sandro im Caseificio Europeo für den täglichen Gebrauch schätzt, oder gar eine Riserva mit mehr als 20 Monaten, wie sie Ennio bevorzugt. Denn mit der Reife gewinnt ein Grana Padano DOP noch mehr an Komplexität, meint der casaro im Caseificio Borgonovo. Und zeigt uns das auch, indem er mit Messer und Hammer einen Laib aufbricht, ihn wie eine Torte zuerst in zwei Hälften und dann in immer kleinere Stücke unterteilt, die – vakuumverpackt – auch im eigenen Hofladen des Caseificio Borgonuovo (und genauso im Caseificio Europeo) verkauft werden.
Manche Spezialitäten sind aber auch dort nicht zu finden: In seinem Reifekeller in Monticello d’Ongina hat Ennio Laibe mit acht Jahren Lagerung. «Das ist dann allerdings ein Grana Padano, den man nur zu besonderen Gelegenheiten anschneidet und zu einem Glas Süsswein geniesst», schwärmt er. «Man kann sogar ein Glas Grappa dazu versuchen. Oder ihn einfach alleine probieren, um seinen Facettenreichtum zu entdecken.» Als Endresultat einer landwirtschaftlichen und kulinarischen Tradition Norditaliens, die vor Monaten, manchmal Jahren auf einer Weide am Po oder in den Bergen begonnen hat.