Verkostung von Chardonnay, Sauvignon Blanc und Co.
Weisswein-Auswahl aus dem Südtirol
Fotos: z.V.g.
Wenn man aus dem deutschsprachigen Raum nach Südtirol schaut, denkt man automatisch an Wärme, an reife Trauben und sicher auch an Rotwein. Mit Blick vom Süden aus sieht man das völlig anders, für Italiener gilt die Region als «Cool Climate». Daran sind Südtirols Weinbaubetriebe nicht ganz unschuldig, ihre Weissweine erfüllen den Wunsch nach Kühle und Mineralik immer besser.
Es gab und gibt in Italien viele renommierte Weissweinanbaugebiete, Namen wie Verdicchio dei Castelli di Jesi, Soave oder Vernaccia di San Gimignano dürften jedem Weintrinker bekannt sein. Trotz dieser namhaften Konkurrenz hat es Südtirol innerhalb der letzten 30 Jahre geschafft, zum Weissweinproduzenten Nummer eins in Italien zu werden. Die Weine aus dem Norden des Stiefels sind zwischen Mailand und Rom überaus gefragt, die Weine aus den Rebsorten Gewürztraminer, Sauvignon Blanc und auch Chardonnay haben dank der kühlen Nächte und der Höhenlage der Region eine spannungsgeladene Säurestruktur und mineralische Frische, die den Weissweinen im Rest Italiens eher schwer fällt. Das ist in einem Land, in dem das Glas Wein zum Essen immer noch deutlich selbstverständlicher ist als in unseren Breiten, kein unwesentlicher Faktor. Im Scherz sprechen Südtirols Weinproduzenten davon, dass Italien für sie der wichtigste Exportmarkt sei, vor den USA oder Deutschland. Vor allem der Gewürztraminer, trocken ausgebaut, erfreut sich in Weinbars und Restaurants gleichermassen allergrösster Beliebtheit. Es mag für Traditionalisten ungewohnt klingen, aber je nach Region wird zur typischen Fischsuppe, etwa zur Cacciucco zur Brodetto oder zur Zuppa di Pesce, trockener Gewürztraminer regelrecht empfohlen. Diese späte Karriere der alteingesessenen Rebsorte ist in doppelter Hinsicht aussergewöhnlich. Denn einerseits stammt sie höchstwahrscheinlich aus dem Ort Tramin, wo sie seit dem 11. Jahrhundert dokumentiert ist. Andererseits sind nur etwa 150 Hektar Rebfläche mit ihr bepflanzt, im Elsass sind es rund 20 Mal so viel. Und doch schaffen es Südtirols Winzerinnen und Winzer, Weine zu keltern, die sich blendend verkaufen und zudem in der Weinwelt für Aufsehen sorgen. Der Epokale der Kellerei Tramin ist dafür ein gutes Beispiel.
Aber auch beim Chardonnay und Sauvignon Blanc ist der Stilwandel deutlich zu schmecken. Beide waren in der Vergangenheit stark vom internationalen Markt geprägt. Der Chardonnay wurde mit viel neuem Holz häufig zu einem schwerfälligen Extraktmonster, beim Sauvignon Blanc wurden die prägenden Noten von grüner Paprika und Stachelbeere überbetont. Vereinzelt sind die genannten Stilistiken auch heute noch zu finden, aber insgesamt sind mineralisch klare, saftige und strukturgeprägte Weine in der Überzahl.
Entwicklung und Qualität
Ein wesentlicher Faktor bei der Entwicklung dieser neuen Weinstile sind die Südtiroler Genossenschaften. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass sich der Weinbau strukturell grundlegend gewandelt hat. Aus der kleinteiligen, bäuerlich geprägten Region ist ein wirtschaftlich starker und überaus dynamischer Gigant geworden, Südtirol gilt als wohlhabendste Region ganz Italiens. Auf der Seite des Weins sind neben den grossen Winzernamen Lageder, Niedrist, Walch oder Manincor vor allem die Genossenschaften verantwortlich. Was im Rest Europas undenkbar scheint, ist in Südtirol Realität. Die elf Genossenschaften sind wesentliche Treiber der Qualitätsentwicklung, das Südtiroler Weinwunder ist mit den Namen Luis Raifer, Hans Terzer oder Willi Stürz untrennbar verbunden.
Sie alle haben als Kellermeister dafür gesorgt, dass nicht nur die Auszahlungsquoten für die organisierten Weinbauern durchschnittlich dreimal (!) höher liegen als etwa in Deutschland. Sie und ihre Kollegen haben es zudem geschafft, Weinlinien im absoluten Premiumbereich zu etablieren, die anderswo undenkbar scheinen, vor allem bei den Weissweinen.
Weine wie der schon erwähnte Epokale, der Nama oder der LR sind in Genossenschaften in anderen Regionen oder Ländern unvorstellbar, in Südtirol gibt es kaum einen Winzerverbund, der keinen Premiumwein im hohen zweistelligen, wenn nicht sogar dreistelligen Preisbereich im Portfolio hat – und auch noch verkaufen kann. Es sind diese Weine, die den Stilwandel im Weissweinbereich eindrucksvoll dokumentieren.
Best of Sauvignon Blanc
Kellerei St. Michael-Eppan
Südtirol DOC Sauvignon Blanc The Wine Collection 2017
94 Punkte | 2022 bis 2032 | 105 Euro | www.stmichael.it
Definitiv ein grosser Wein – wenn auch nicht sofort als Sauvignon Blanc zu erkennen. Viel Stoff in der Nase, dunkel, kühl, Karamell, Toffee, auch Minze. Im Mund mit Präzision, straff, viel Extrakt, dicht, darunter perfekte, geradlinige Säure. Und ein minutenlanger Nachhall. Kann sich mit den Besten der Welt messen.
Weingut Wassererhof, Völs
Südtirol DOC Sauvignon Riserva 2018
92 Punkte | 2022 bis 2030 | 31 Euro | www.wassererhof.com
Typische, aber nicht aufdringliche Nase, Cassisblätter, Matchatee. Im Mund zunächst mit Frucht, Exotik, auch Pfirsich, deutet auf ein warmes Jahr hin. Das verfliegt schnell, dann mineralische Würze, etwas Salz, fokussiert, sehr klar. Hat definitiv Schliff und klare Kante.
Weingut Tiefenbrunner – Schlosskellerei Turmhof, Kurtatsch
Sauvignon Blanc Vigna Rachtl Riserva 2018
92 Punkte | 2022 bis 2032 | 50 Euro | www.tiefenbrunner.com
Schon in der Nase saftig und kraftvoll, herbe Noten von Grüntee. Im Mund sehnig, bissig, packt zu. Deutliche Gerbstoffe, energisches Mundgefühl. Krallt sich im Mundraum regelrecht fest, bleibt haften, fordert mit seiner Würze. Eindrucksvoll. Verträgt weitere Reifung auf der Flasche.
Weingut Manincor, Kaltern
Alto Adige DOC Terlano Sauvignon Tannenberg 2019
91 Punkte | 2022 bis 2030 | 23,90 Euro | www.manincor.com
Ein leiser Vertreter der Rebsorte. In der Nase Zitrusfrucht, Salbei, Matchatee, nasser Stein, kühle Mineralik deutet sich an. Setzt sich im Mund fort, Salzkristalle am Zungenrand, im Aroma tauchen Grapefruit und Granny Smith auf, aber wiederum sehr verhalten. Guter Zug, ein wenig Gerbstoff im Finale, bleibt hängen.
Gump Hof – Markus Prackwieser, Völs
Sauvignon Blanc Renaissance 2018
91 Punkte | 2022 bis 2028 | 34 Euro | www.gumphof.it
In der Nase sortentypisch, grüne Paprika, Cassisblätter. Im Mund deutlich mehr Frucht, reife Trauben, auch Pfirsich. Alles getragen von glasklarer, frischer Säure, wirklich trocken, dennoch zarter Schmelz am Gaumen. Ein überaus gastronomischer Sauvignon, eher leise, anpassungsfähig und doch charaktervoll.
Best of Chardonnay
Weingut Alois Lageder, Margreid
Chardonnay Löwengang 2018
95 Punkte | 2023 bis 2033 | 45 Euro | www.aloislageder.eu
Die Nase delikat, leicht «butterig», Duft von Vanille, neues Holz. Im Mund voll, dicht, beinahe opulent, dabei elegant. Schmelz am Gaumen, sehr dicht, dabei leichtfüssig, sehr präzise, frische Säure, souverän. Langer Abgang, wieder Frische und feiner Bittermandelton. Grosses, klassisches Gaumenkino.
Kellerei Nals Margreid, Nals
Nama Cuvée 2016
94 Punkte | 2022 bis 2032 | 115 Euro | www.nalsmargreid.com
85% Chardonnay plus Pinot Bianco und Sauvignon Blanc von drei Mitgliedsbetrieben. Eleganz in der Nase, Apfel, Ananas, Pfirsich und Mango, auch Nuss. Im Mund lebendig, hell, lebhafte Säure. Deutliche Phenolik, hat Tiefe und Frische zugleich. Knisternde Salzkristalle am Zungenrand, wirklich lang und jederzeit lebendig. Endet würzig, wieder Salz, dazu kommt Süssholz
Weingut Tiefenbrunner – Schlosskellerei Turmhof, Kurtatsch
Chardonnay Vigna Au 2018
93 Punkte | 2022 bis 2034 | 60 Euro | www.tiefenbrunner.com
Schon die Nase deutet auf Kraft hin: dicht, Honig, Vanille, weisse Blüten, generös. Im Mund legt er noch zu: unglaublich kraftvoller, enormer Extrakt, versucht zu überwältigen. Wirkt barock, etwas aus der Zeit gefallen, aber ist perfekt gemacht, ein Wein, dem man sich hingeben möchte. Wird als Speisebegleiter zur klassischen Hochküche ganz gross aufspielen.
Kellerei Terlan, Terlan
Terlaner Rarity 2008
92 Punkte | 2022 bis 2030 | 100 Euro | www.cantina-terlano.com
Älteren Herrschaften muss man etwas Zeit geben, unbedingt dekantieren! Dann schöne Reife ohne echten Alterston, Dörrobst, heller Karamell, einladend, dicht, gibt kontinuierlich neue Nuancen frei. Im Mund komplett entspannt, gelassen, mit feiner Extraktsüsse, auch ein wenig Gerbstoff, engmaschig, mehr auf der Zunge als am Gaumen haftend, sehr langanhaltend.
Weingut Ignaz Niedrist, Girlan
Südtirol DOC Chardonnay Selection vom Kalk 2018
91 Punkte | 2022 bis 2032 | 39 Euro | www.ignazniedrist.com
In der Nase gelbfruchtig, Pfirsich, Cox Orange, Zitrusfruchtzeste, auch Vanille. Im Mund mit Kraft und sanfter Fülle, wieder Pfirsich, etwas Süsse der Vanille, dabei saubere und frische Säure, sehr schöne Animation. Leichte Salzigkeit am Zungenrand, trotz der zarten Extraktsüsse sehr schlank und fokussiert in der Mundmitte. Gekonnte Klassik im Hier und Jetzt.
Best of Gewürztraminer
Kellerei Tramin, Tramin
Gewürztraminer Epokale 2013
95 Punkte | 2022 bis 2040 | 95 Euro | www.cantinatramin.it
Legendärer Wein, ist in der Tat aussergewöhnlich. Duftet zunächst wie erwartet, zarte Rosenblüten, Lavendel, leicht ätherisch, Salbei, Muskat, auch gelbes, reifes Steinobst. Im Mund dann enorme Präsenz, viel Körper, dicht, extraktreich. Hat Saft, Frucht, aber auch Salz, irre komplex, vielschichtig. Endet mit ganz zarter Restsüsse, nicht vordergründig, charmant. Finale endet erst nach Minuten.
Weingut Pranzegg – Martin Gojer, Bozen
Gewürztraminer GT 2019
92 Punkte | 2022 bis 2032 | 34 Euro | www.pranzegg.com
Einer wie keiner: intensive Nase, Veilchen, Kumquat, Blutorange, rosa Pfeffer und Kaffee. Am Gaumen anders, schlanker, kühl, wird würzig, Stangensellerie, Salz, aber alles sehr dezent, zurückhaltend. Es geht um Struktur, um die animierend saftigen Gerbstoffe, um den unbändigen Wunsch nach dem nächsten Schluck.
Weingut Loacker, Bozen
IGT Mitterberg Gewürztraminer Atagis 2020
91 Punkte | 2022 bis 2036 | 21,80 Euro | www.loacker.bio
Steht satt goldgelb im Glas. Kräftige Nase, Rosen, Litschi, weisser Pfeffer, aromatisch und floral zugleich, ein typischer Traminer. Im Mund lebendige Säure, vital, wirkt straff, packend, dabei leichter Schmelz am Gaumen. Im Finale mit einer zartherben, leicht bitteren Amaro-Note. Ein delikater Wein.
Weingut Pfitscher, Bozen
Gewürztraminer Riserva Rutter 2019
91 Punkte | 2022 bis 2034 | 21,60 Euro | www.pfitscher.it
In der Nase wenig der typischen Blütenaromatik, dafür, reifer, weisser Pfirsich, etwas weisser Pfeffer. Im Mund schlank, präzise in der Mundmitte, frische Säure, die Rebsorte ist kaum zu erkennen, hier höchstens an der zarten Bitternote am Zungenrand. Zeigt sich tänzelnd leicht, fast belebend, erfrischend. Ungewöhnlich und wegweisend.
Weingut Hans Rottensteiner, Bozen
Gewürztraminer Passito Cresta 2019
91 Punkte| 2022 bis 2038 | 27,50 Euro | www.rottensteiner.wine
Die Gewürztraminertrauben werden nach der Ernte rund fünf Monate lang getrocknet und dann erst gepresst. Im Glas edles Goldgelb, deutliche Kirchenfenster am Glas. Duftet nach Orangenschale, hellem Honig, getrockneten Früchten. Im Mund mit endlos wirkender Kraft, enorm dicht, schier unendliche Tiefe, hat Säure, deshalb niemals überladen oder fett wirkend.