Dossier Bourgogne Auxerrois: Die Verkostung
70 Top Bourgogne-Weine für clevere Geniesser
Text: Barbara Schroeder, Fotos: Rolf Bichsel
Die Verkostung von rund 70 Weinen aus dem Norden des Burgund belegt vorab eines: Gutes muss nicht teuer sein. Die Betonung liegt hier auf Gutes. Die Qualität der präsentierten Weine ist nicht nur über alle Zweifel erhaben, sie ist sogar verblüffend hoch. Spinnwebenromantik und Sätze wie «Nicht ich mache den Wein, sondern der liebe Gott» haben in den Kellern des Grand Auxerrois nichts zu suchen, jedenfalls nicht in den Betrieben, die am Export interessiert sind. Der hohe technische Standard der verkannten Appellations Régionale Bourgogne hat uns schon bei unseren früheren Verkostungen verblüfft und ist einer der Gründe, warum wir den auf den deutschsprachigen Märken (und nicht nur da) so gut wie unbekannten Weinen des Grand Auxerrois unbedingt einen gesonderten Beitrag widmen wollten. Mag sein, dass der erfreuliche Stand der Kellerkunst auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die Yonne lange vor allem als Weissweinecke bekannt war. Weisswein braucht Präzision und zeitgemässe Installationen, und davon profitieren indirekt auch die Roten.
Was das «teuer» anbelangt: Da haben wir uns erst einmal verschluckt. Alle präsentierten Weine liegen im Preisbereich von 8 bis 15 Euro. Das ist schon fast unverschämt preiswert. Man sollte das Interesse an den Weinen des Grand Auxerrois allerdings nicht nur auf diese gewiss willkommene Tatsache stützen und jene schon gar nicht mit dem Etikett «Billig-Bourgogne-Weine für den kleinen Mann» versehen. Selbst die auch von uns ab und wann verwendete Bezeichnung «Alternativen zu den Weinen aus der Côte d’Or» trifft nur bedingt zu. Denn es handelt sich nicht um Ersatz, sondern um vollwertige, durch und durch eigenständige Produkte. Das mag den Weinfreund beim ersten Kontakt sogar etwas verunsichern. Ein Bourgogne Côtes d’Auxerre oder ein Bourgogne Coulanges-la-Vineuse bekennt sich schon aufgrund der verwendeten Sorten klar zur Bourgogne Schule, doch er besitzt auch viel Eigencharakter. Daran sollte man diese Weine messen und nicht daran, wie nah sie einem Volnay oder Meursault kommen – oder eben nicht.
Ein Wort zur Anzahl der bei uns in Bordeaux eingetroffenen Weine: Um termingerecht arbeiten zu können, mussten wir das Anfordern und Einsammeln der Muster in die letzten Tage der Covid-Abschottung legen. Übernommen hat das dankenswerterweise der Burgunder Winzerrat. Sollte der eine oder andere auf dem Markt präsente Wein fehlen, mag das darauf zurückzuführen sein, dass diese Ecke zu den betroffensten Krisengebieten des Landes gehörte.
Bourgogne Côtes d’Auxerre rot
Ein Geständnis vorab: Ich mag Rotweine, die man in ihrem «Fruchtstadium» geniessen kann, wie das so unschön heisst. Das ist einer der Gründe, warum mir die Verkostung der roten Bourgogne Côtes d’Auxerre besondere Freude bereitete. Sie besitzen geschmeidige Tannine und ideale Balance von Gehalt, Struktur und Saftigkeit. Ihnen fehlt eines völlig: übermässiger Alkoholgehalt, der uns seit einigen Jahren in so vielen Weinen den Spass am Nass vergällt. Wer daraus schliesst, es handle sich um vordergründige Kreszenzen ohne viel Gehalt, liegt allerdings daneben. Denn der zweite Pluspunkt dieser Weine ist ihre besondere aromatische Komplexität. Zu den Fruchtnoten (Kirsche, Waldbeeren) gesellen sich fast immer auch mineralische und würzige Nuancen. Ich denke, es gibt mehrere Gründe für diesen besonderen Stil. Die klassischen Lehm-Kalk-Böden mögen dazu beitragen, noch mehr aber die Höhe der mehrheitlich gegen Süden hin ausgerichteten Lagen an Hängen zwischen 120 und knapp 300 Metern über Meer. Unter dem Einfluss des recht ausgewogenen, semikontinentalen Klimas kann der gute alte Pinot Noir in dieser landschaftlich idyllischen Ecke einfach keine schwerfälligen Brocken hervorbringen.
Es liegt auf der Hand (oder besser, auf der Zunge), diese Weine vorab zu traditionellen regionalen Spezialitäten aufzutischen, die einen belebenden und nicht zu imposanten Tischgefährten schätzen. Zu Terrinen und Wurstwaren, etwa einem gekochten Schinken mit Petersilie (Jambon persillé), gibt es kaum etwas Besseres. Doch selbst zu einer Scheibe knapp rosa gebratenen Thunfischs passen diese Rotweine ausgezeichnet.
Ratings & Notizen der Weine Bourgogne Côtes d’Auxerre rot
Bourgogne Côtes d’Auxerre weiss
Ich muss schmunzeln, wenn Winzer in bekannten Anbaugebieten auf ihre jahrhundertealte Geschichte pochen und mitleidig auf ihre Kollegen in den «jungen» Anbaugebieten schielen. Gewiss, offiziell existiert die Bourgogne Côtes d’Auxerre erst seit 30 Jahren, doch die Weinregion seit Jahrhunderten. Sie ist nicht weniger alt als etwa die ominösen Grand-Cru-Lagen der Côte d’Or. Im Mittelalter galten die Weissweine aus Auxerre gar als besonders elegant und edel. Ihnen wurde nachgesagt, so klar und rein zu sein wie frisches Quellwasser: so ziemlich das grösste Kompliment, das man damals einem Wein machen konnte. Und vor der Reblauskrise, die hier besonders grossen Schaden anrichtete, standen fast 2000 Hektar unter Reben. So viel zur Geschichte.
Die Tatsache, dass in den Bourgogne Côtes d’Auxerre aktuell mehr Rotwein angebaut wird als Weisswein, bringt mich nicht von der Überzeugung ab, dass die Weissweine hier besonders gut gelingen. Wenn man unbedingt einen Vergleich mit Weissen aus der Côte d’Or erzwingen will, gelingt er hier am besten.
Das heisst aber auch, dass man den besten weissen Bourgogne Côtes d’Auxerre etwas Kellerruhe gönnen sollte, besonders, wenn sie ganz oder teilweise im Eichenfass vinifiziert und/oder ausgebaut wurden. Erst nach vier, fünf Jahren entwickeln sie ihre besondere aromatische Komplexität, kommt ihre herrliche Balance von Mineralität, Fülle und seidiger Frische erst richtig zur Geltung. Sie passen dann am besten zu pfiffigen Gerichten mit Meeresfrüchten, Fisch in Sauce etwa oder einem Salat mit Scampi oder Krevetten. Auch leichte Speisen der asiatischen Küche begleiten sie aufs Schönste.
Ratings & Notizen der Weine Bourgogne Côtes d’Auxerre weiss
Irancy AOC (Rotwein)
Irancy ist ein echtes pittoreskes, kleines Burgunder Winzerdorf, umgeben von grünen Hügeln, ein Dorf, in dem die Welt noch in Ordnung scheint. Bei meinem ersten Besuch vor etlichen Jahren erklärte mir der damalige Präsident des Winzerrats, dass der Spitzname Irancy la Rouge nicht nur der Tatsache zu verdanken sei, dass hier ausschliesslich Rotwein angebaut werde, sondern auch der Tatsache, dass es sich bei den Einwohnern des Dorfes um besondere Hitzköpfe handle, die sich von der Obrigkeit nichts vorschreiben liessen. Das wird schon nur durch die Tatsache belegt, dass Irancy der einzige Ort der Welt ist, in der die uralte Sorte César weiter angebaut wird, wenn auch nur mehr in kleiner Menge. Sie soll natürlich dereinst im Handgepäck der guten alten Römer hier angeschleppt worden sein. Und warum nicht von Cäsar selber? Export hätten sie gar nicht nötig, schloss der Präsident stolz: Das Gros der Produktion verputzten sie gleich selber. Viel Charakter haben nicht nur die Einwohner und Winzer des aufmüpfigen Dorfes, sondern auch die Rotweine dieser bereits 1977 gegründeten und 1999 erweiterten AOC. Sie geraten gewiss burgundisch-fruchtig, aber auch besonders würzig. Im Mund besitzen sie Biss, Kraft und besondere Kernigkeit. Zu jung geöffnet, mögen sie schon mal recht abweisend wirken. Darum sollte man sie unbedingt mindestens vier, fünf Jahre reifen lassen. Sie halten je nach Abfüllung, Winzer und Jahrgang aber auch viel, viel länger und gehören damit garantiert zu den langlebigsten Weinen der Region. Bei Tisch wird man sie zu währschaften, ländlichen Speisen wählen. Sie begleiten glücklich Grillspeisen, Braten und Ragouts und sogar kräftige Eintopfgerichte.
Ratings & Notizen der Weine Irancy AOC (Rotwein)
Saint-Bris AOC (Weisswein)
Sauvignon Blanc in der Bourgogne? Der gehört doch eigentlich an die Loire oder nach Bordeaux, habe ich mir vor vielen Jahren beim ersten Winzerbesuch in Saint-Bris gesagt. Noch verblüffter war ich, nachdem ich am Glas genippt hatte. Nichts von der öligen Textur und der Pomelo-Aromatik, die ich erwartet hatte. Der Wein schien ungemein schlank und trinkig, eher blumig und mineralisch denn üppig-zitrusfruchtig, ebenso nach den nicht gerade angenehmen Tomatenkraut-Noten des knapp reifen Sauvignon suchte ich vergeblich. Trotz (oder gerade wegen) seiner «nur» knapp 12 Volumenprozent Alkohol wirkte der Wein durch und durch stimmig. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Die Weine dieser originellen Ecke vor der Toren von Auxerre sind höchstens etwas fruchtiger geworden, mit Noten, die von grüner Zitrone bis Litschi und weissem Pfirsich reichen, ohne ihre blumig mineralische Seite abzustreifen. Mässig im Alkohol sind sie weiter und suggerieren doch festen Bau, eine gute Dichte, Ausdauer und betörende Frische.
Der besondere Schliff der Saint-Bris ist nicht zuletzt auf die erstklassigen Muschelkalk-Böden zurückzuführen, auf denen die Rebe wächst, die in mittlerer Hanglage die besten Resultate zeitigt, wie fast überall im Burgund.
Aufgrund seiner einmaligen Harmonie und Seidigkeit gehört ein Saint-Bris zu den wenigen Weinen, die wirklich ausgezeichnet zu Meeresfrüchten wie Muscheln und Austern schmecken. Doch er mundet auch sehr gut zu asiatischen Speisen oder einem bunten Aperitifteller. Besonders ideal begleitet ein Saint-Bris, der schon jung schmeckt und doch etwas reifen kann, ausserdem einen frischen Ziegenkäse.
Ratings & Notizen der Weine Saint-Bris AOC (Weisswein)
Bourgogne Coulanges-la-Vineuse
Der Spitzname la Vineuse, «die Weinige», soll unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass es im Dorf schon in alten Zeiten nicht an Wein fehlte, wohl aber an Wasser. Als im Jahre 1676 eine grosse Feuersbrunst 170 Häuser und 22 Pressen zerstörte, zögerten einige Winzer nicht, ihre Fässer aufzuschlagen und das Feuer mit Wein zu löschen. Si non e vero...
Wie überall in der Nordbourgogne hat auch hier im alten Winzerdorf ganz oben auf einem runden, südlich von Auxerre gelegenen Hügel die Reblauskrise dem florierenden Weinbau (die ältesten Zeugen für Weinbau stammen aus dem frühen 1. Jahrhundert nach Christus) ein jähes und brutales Ende bereitet. Auch hier hat eine Handvoll mutiger Winzer in den Nachkriegsjahren das Schiff gehoben und wieder flottgemacht, was 1993 zur Anerkennung als Appellation Régionale Bourgogne geführt hat. Heute produziert Coulanges wieder etwas mehr als eine halbe Million Flaschen Wein vorwiegend roter Farbe. Viele Rotweine sind von angenehm zurückhaltender Art. Delikat fruchtig und angenehm würzig, mit Tanninen, die schon im Jungwein Schliff besitzen, schmecken sie zu einfachen Gerichten, die einen unaufdringlichen Begleiter schätzen. Geraten sie konzentrierter und kantiger, kann man sie auch drei, vier Jahre ruhen lassen. Sie passen dann auch zu kräftigeren Speisen. Delikatesse und Sämigkeit verraten die blumig-mineralischen, ideal strukturierten Weissweine, die jung oder leicht zu Fisch und Geflügel in Sauce munden, aber auch zu Hartkäse, etwa einem leicht gereiften Comté.
Bourgogne Épineuil
Mit seinen nur knapp 75 Hektar Anbaufläche hätte diese kleine Regionalappellation, vor den Toren der Stadt Tonnerre gelegen, bequem in einem Bordelaiser Grand Cru Platz! Die Appellation gilt ausschliesslich für die innerhalb dieser Gemeinde geernteten Weine roter und rosa Farbe. Zwar wird in Épineuil neben Pinot Noir auch Chardonnay angebaut, doch die daraus resultierenden Weissweine werden zur Appellation Tonnerre geschlagen. Auch «Le Bon Vin de Tonnerre», der gute Wein aus Tonnerre, wurde schon im Mittelalter nach Paris verfrachtet und dort von gekrönten Häuptern geschätzt. Als Burgunder Weinbaugemeinde anerkannt wurde Épineuil durch einen Gerichtsentscheid bereits 1930, also noch vor der Schaffung des AOC-Systems. Zur Appellation Régionale ernannt wurde das Dorf allerdings erst 1993.
Die Rebberge der Appellation liegen besonders windgeschützt. Sie profitieren von einem echten Mikroklima. Das erklärt, warum hier auf den kalkhaltigen, mit weissen Steinen übersäten Böden, die denen des benachbarten Chablis aufs Haar gleichen, nicht Chardonnay, sondern Pinot Noir angebaut wird, ergänzt durch wenig Pinot Gris zur Rosé-Produktion. Die roten Bourgogne-Épineuil, von verführerisch fruchtiger, liebenswürdiger Art, passen gut zu Wurstwaren und mildem Hartkäse.
Vézelay AOC (Weiss)
Auf älteren Flaschen wird Vézelay noch als Regionalappellation bezeichnet. Das hat seinen Grund: Zur Dorflage ernannt wurde Vézelay erst 2017 und illustriert damit, was Regionalappellationen eigentlich sind: Stufe und Prüfstein für eine unabhängige AOC, von der wohl die meisten dieser historischen Anbauzonen träumen – mit Recht. Geschichtsliebhaber kennen Vézelay, das seit langem zu den schönsten und besuchenswertesten Dörfern Frankreichs gezählt wird, vor allem als Ausgangsort des Sankt-Jakob-Pilgerwegs. Seit Vézelay mit seiner von weit her sichtbaren, charakteristischen Basilika zum Kulturgut der Menschheit erklärt wurde, nimmt der Besucherstrom kein Ende, was sich positiv auf den Weinabsatz auswirkt. Aktuell sind erst rund 75 Hektar bepflanzt, ausschliesslich mit Chardonnay. Doch die eingezonte Anbaufläche, einst über 500 Hektar gross, beträgt heute rund 250 Hektar. Vézelay dürfte daher in den nächsten Jahren weiter wachsen. Die Trauben reifen an Hängen aus kalkhaltigen Böden in südsüdöstlicher Ausrichtung, in einer Höhe von knapp 200 bis 330 Metern über Meer.
Dass die AOC Vézeley nicht nur historische Berechtigung hat, sondern alles besitzt, was es zum Erfolg braucht, illustrieren ihre herrlich belebenden, schlanken und doch saftigen, unbeschwert fruchtigen Weine. Werden sie im Holz vinifiziert, lässt man sie zwei, drei Jahre reifen und wählt sie dann etwa zu einer gebratenen Poularde in Pilzsauce. Jung und im Tank ausgebaut, munden sie ideal zu Meeresfrüchten wie gebratenen Jakobsmuscheln.
Bourgogne Chitry
Auch Chitry-le-Fort mit seiner charakteristischen Wehrkirche aus dem 13.Jahrhundert, in direkter Nähe von Chablis gelegen, ist eine uralte Anbauzone Frankreichs, die durch die Reblauskrise um ihre Existenz gebracht wurde und sich danach nur mit viel Mühe wieder aufrichtete. Die Anstrengungen der lokalen Winzer fanden 1993 mit der Anerkennung als Appellation Régionale ihre Krönung. Angebaut werden Chardonnay (knapp zwei Drittel der Anbaufläche) für die Weissweinproduktion und Pinot Noir für Rotwein und Rosé. Auch die Sorte Aligoté findet hier ausgezeichnete Bedingungen. Sie wird allerdings unter der Kennung Bourgogne Aligoté vertrieben. Die Rebe profitiert von ausgezeichneten Böden aus Lehm und Kalk in Hanglage in nordwestlicher und südöstlicher Ausrichtung.
Die Weissweine, angenehm blumig und fruchtig, mit Akzenten von weissen Blüten, Zitrusfrüchten und delikater mineralischer Note wirken harmonisch und transparent. Dank eines tragenden Säuregerüsts können sie einige Jahre reifen, munden aber schon in ihrer Jugend, zum Aperitif, zu Burgunderschnecken mit Kräuterbutter, aber auch zu nicht einfach zu vermählendem Gemüse wie Spargel oder Artischocke. Die fruchtigen und geschmeidigen Rotweine schmecken jung am besten, etwa zu Eintopf oder Zwiebelkuchen.
Ratings & Notizen aller Weine