Herrliche Rotweine und frische Weisse

Romanze im Luberon

Text und Fotos: Rolf Bichsel

Wenn es eine Weinregion gibt, die es zu entdecken gilt, ist es diese! Herrliche Rotweine und umwerfend frische Weisse illustrieren eindrücklich, dass Provence nicht gleich Rosé ist.

Im Februar und März gehört die Provence den Provenzalen – und den mutigen Entdeckern, denen kurze Tage, frostige Nächte und geschlossene Souvenirläden egal sind. Darum mag ich Winterreisen. Einen Nachteil hat die Sache allerdings: auch Hotels und Restaurants fallen in den Winterschlaf. Von ein paar Ausnahmen abgesehen. Die gemütliche Herberge «Dame Jeanne» im lauschigen Dörfchen Cucuron zum Beispiel. Hier kocht Thomas Richard mit Leidenschaft und erstklassigen Produkten, und Partnerin Marjorie Charvet hält den passenden Wein bereit. Doch «Dame Jeanne» ist nur ein Grund für einen Abstecher nach Cucuron. Ein paar Kilometer vom Dorf entfernt liegt das Weingut La Cavale im Besitz von Paul Dubrule, seit zwei Jahren geleitet von Schwiegersohn Thierry Mueth.

Begonnen hat alles mit der baufälligen Schäferei, die Paul Dubrule, Mitbegründer der Accor- Hotelgruppe, in den 1970er Jahren erworben hat. Dazu gehörten sieben Hektar Reben: Die Ernte wurde in der Genossenschaftskellerei verarbeitet. Rebland war nicht viel wert: Dubrule baute sein Weingut nach und nach auf 60 Hektar aus. 2008 zog er eine ziemlich ernüchternde Bilanz: Die Domäne war einem Fass ohne Boden. Trotz Produktionskosten von 3,28 Euro pro Liter Wein wurde er mit schäbigen 1,18 pro Liter entschädigt. Die Augen schliessen, den Verlust akzeptieren? Verkaufen? Dubrule ging den dritten Weg. Er holte Alain Graillot mit ins Boot, den legendären Winzer aus Crozes Hermitage, liess von Stararchitekt Jean-Michel Willmotte eine so funktionelle wie ästhetische Kellerei errichten, die nicht nur präzise Arbeit ermöglichte, sondern aus La Cavale einen eigentlichen Besuchermagnet machte. Heute werden über 50 Prozent der Produktion auf dem Gut selber gehandelt. Graillot hat den Weinbau völlig umgekrempelt. Der Rebbestand wurde auf 42 Hektar reduziert, die Böden werden naturnah bestellt und anderes mehr. Mittlerweile jongliert La Cavale geschickt mit Klassik und Moderne, Internationalität und Bodenhaftung und hat das Zeug, in Sachen Wein und Weintourismus zur eigentlichen Lokomotive des Luberon zu werden.

Wenn niemand so recht weiss, wo die Provence beginnt und endet, gilt das für den Luberon erst recht. Eigentlich müsste es «die Luberon » heissen. Da ist einmal das eigentliche Gebirgsmassiv. Es erstreckt sich über rund 60 Kilometer von West nach Ost, das heisst, von Cavaillon bis Manosque, und wird so zum Bindeglied zwischen Vaucluse-Bergen und Voralpen. Im Norden läuft es ins Tal der Durance aus und im Süden ins Tal des Flüsschens Cavalon. Durch die Combe de Lourmarin, die von Bonnieux nach Pertuis oder Lourmarin führt, wird er in den kleinen und grossen Luberon unterteilt. Höchster Punkt ist der Mourre Nègre im Grand Luberon (1125 Meter). Dann ist da das Naturschutzgebiet des Parc Naturel Régional du Luberon (Biosphäre der Unesco), der weit über das eigentliche Gebirgsmassiv hinausreicht. Dörfer wie Gordes oder Roussillon (genau genommen auf den Ausläufern der Monts du Vaucluse gelegen), Manosque oder Forcalcier (Alpes-de-Haute-Provence) gehören diesem Park an und werden daher etwas gar oberflächlich in den Luberon versetzt. Und last, but not least gibt es die Weinbauzone des Luberon, zwischen Coteaux d’Aix und der AOC Ventoux eingezwängt. Sie wenigstens ist weitgehend mit dem Verlauf des ominösen Gebirgsmassivs identisch.

Warum diese langatmigen und unsinnlichen Erläuterungen? Weil administrative Zuordnungen, die nicht immer sanft mit Geografie und Geschichte umgehen, in dieser Ecke einige Verwirrung stiften und ich nicht möchte, dass wegen solcher Spitzfindigkeiten der geplant stressfreie Ferientrip zum Spiessrutenlauf der Irrungen und Wirrungen ausartet. Zwei Beispiele nur: Die kleine AOC Pierrevert bei Manosque, genau genommen auf den Ausläufern des östlichen Luberon gelegen, wird weinmässig einmal zur Provence, dann wieder zum südlichen Rhônetal gezählt. Die Coteaux d’Aix sind Teil der Organisation der Provenceweine, Luberon und Ventoux gehören zu den Côtes du Rhône. Das Dorf Goult über dem Tal des Cavalon auf den Ausläufern der Monts du Vaucluse ist Teil des Regionalparks des Luberon, zählt folgerichtig und wie Gordes touristisch zu den Dörfern des Luberon, produziert aber Weine der AOC Ventoux. Womit wir wenigstens trotz Umwegen (aber die bereichern das Leben) wieder beim eigentlichen Thema wären. Wein keltert man im Luberon, seit man überhaupt Wein keltern kann. Es gibt nur wenige Gebiete, in denen die Dreifaltigkeit der Agrarböden so klar zur Geltung kommt und seit dem Mittelalter und bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts so eindeutig gelebt wurde (und teils weiter wird) wie am Luberon: Die fetten Böden der Talsohle sind Kornfeldern und Gemüsegärten vorbehalten, die kargen Hänge zwischen 200 und 450 Metern Höhe Weinbergen und Olivenhainen, im unteren Teil manchmal von Lavendelfeldern umgeben, die Waldzone darüber dient dem Einbringen von Brenn- und Bauholz und für die Jagd.

In den Dörfern des Luberon scheint die Zeit stillzustehen. Daran ändern auch die immer zahlreicher werdenden Besucher nichts.

Wein gehört seit ewigen Zeiten zum Alltag, als Teil einer praktisch autarken Landwirtschaft auf oft abgelegenen Höfen, betrieben von Kleinbauern, die stolz waren auf ihre Unabhängigkeit. Von einigen Perioden abgesehen, etwa die Zeit der Päpste und Prälaten in Avignon mit ihrem unersättlichen Durst, war er nur selten überregionales Handelsgut. Dies mag zumindest teilweise erklären, warum der Luberon trotz seiner ellenlangen Weinbautradition erst 1988 zu AOC-Würden kam. Kein Wunder auch, dass der Luberon heute, wie ein Grossteil Südfrankreichs, mehrheitlich Rosé produziert. So lange er weiter boomt, ist er ein sicherer und schneller Devisenbringer. Das ist schon okay, jeder muss irgendwie beginnen. Doch ich bin überzeugt, dass auf den kargen, doch selten trockenen Böden in Höhenlage (magerer Sand, Geröll, Kalksplitter, roter Lehm) vor allem hervorragende Rot- und Weissweine eingebracht werden. Mehr und mehr Güter liefern den Beweis dafür, dass die AOC zum eigentlichen Star der Regionen der südlichen Rhône aufsteigen könnte. Aufgrund der vielfältigen Ausrichtungen, Böden und des zwar sonnigen, aber auch den aus Richtung Alpen wehenden Winden ausgesetzten Klimas kommen die besten Luberon-Roten bereits heute einem grossen Barolo gleich. Die grossen Temperaturunterschiede sorgen nicht nur für eine besonders gute Entwicklung der Aroma-Vorläufer, sie helfen auch bei der Entwicklung und Reife der Gerbstoffe mit, verhindern einen zu raschen Abbau der Säure und bremsen etwas die Zuckeranreicherung, ein klarer Vorteil in der Epoche der Klimaerwärmung. Luberon-Rote bleiben oft unter der Schmerzgrenze der 14 Volumenprozent Alkohol. Und die Tendenz, zu bombastische, womöglich zusätzlich durch übertriebenen Barriqueeinsatz aufgedonnerte Weltweine abzufüllen, wird dann endgültig auslaufen, wenn der letzte professionelle Spucker und Freizeitwasserschlucker gemerkt hat, dass diese Mode längst überholt ist. Die Konsumenten haben das längst geschnallt. Ich habe in meinem Keller ein paar letzte Flaschen eines in grossen Eichenfundern ausgebauten Luberonroten, der bis heute so schmeckt wie vor 30 Jahren der traditionellste Brunello die Montalcino: zartbitter, abgerundet, mit betörender Rancio-Würze. Damit meine ich freilich nicht, dass alle wieder bei grossen Holzfudern landen sollen, die nicht nur Vorteile haben. Ausbau-Alternativen gibt es genug.

Nicht weniger wichtig scheint mir der geeignete Sortenmix. Das AOC-Dekret pocht auf einen Mindestanteil von 60 Prozent Grenache und Syrah, einen Mindestanteil von 10 Prozent Syrah und einen Maximalanteil von Cinsault und Carignan von je 20 Prozent. Als die AOC geschaffen wurde, war das eine gute Sache. Heute könnte ein etwas höherer Anteil von Carignan mithelfen, den Alkoholgehalt im Zaun zu halten (unter der Voraussetzung allerdings, den Carignan auf die für ihn geeignetsten Böden zu pflanzen und auf natürliche Art die Menge im Griff zu halten.) Die Klippe der Tatsache, dass Carignan interessante Weine erst ab einem bestimmten Alter ergibt, kann man problemlos umschiffen, indem man die Sorte in den ersten Jahren für Rosé verwendet.

Weil im Zeitalter der Nespressokapseln auch ich nicht im Kaffeesatz lesen kann, wage ich nicht vorherzusagen, wann die Roséwelle ausgeschwappt hat. Um den Luberon mache ich mir deswegen am wenigsten Sorgen. Seine heimliche Stärke und damit seine Zukunft liegt wie in so vielen höher gelegenen Ecken des Südens in Weinen weisser Farbe. Ich kenne nur wenig Weisse, die gleichzeitig so unkompliziert und verführerisch blumig-fruchtig ausfallen, erfrischend bleiben und doch Fülle besitzen und dank ihrer ausgesprochenen Mineralität so gut wie immer passen. Als Reisedestination ist der Luberon weltbekannt. Davon profitiert auch der Weinbau. Doch die AOC bleibt eine Insiderecke. Ein Gutteil der Produktion wird vor Ort getrunken. Es fehlt der Austausch und der Zusammenhalt unter den Weinbaubetrieben. Die (14) Genossenschaften dominieren klar. Der Luberon zählt nur 40 unabhängige Kellereien. Gewiss, Genossenschaften sind wichtig und sorgen für gute Basisqualität. Doch zügiges Marketing ist nicht immer ihre Stärke. Doch hinter den Kulissen rührt sich einiges. La Cavale hat Pionierarbeit geleistet, Winzer wie Romain Dol von Le Novi rollen das Feld buchstäblich von hinten auf, und auf den alteingesessenen Gütern Château de Milles und Isolette haben neue Besitzer Grosses vor und sind bereit, dazu die nötigen Investitionen zu tragen. Wie überall im Süden der Rhône hat auch im Luberon die Evolution erst begonnen.

Château Isolette

Route de Bonnieux
84400 Apt

Seit zwei Jahren steht dieses bekannte Weingut, ideal zwischen Bonnieux und Apt gelegen, im Besitz polnischer Investoren, die einiges vorhaben: Rehabilitierung der 45 Hektar Reben mit dem mittelfristigen Ziel einer Umstellung auf biologischen Anbau, Renovierung von Kellerei und Schloss, Verbesserung der weintouristischen Infrastruktur. Für Kontinuität in Stil und Qualität sorgt der technische Direktor Olivier Rouquet (Bild oben), der seit 1985 auf dem Gut arbeitet.

Domaine Le Novi

Route de Cabrières
84240 La Tour-d’Aigues

«Ich bin der erste Winzer der Familie», sagt Romain Dol (links). Sein Vater betrieb noch Polykultur und brachte die Ernte in die Genossenschaft. Nach seinen Lehr- und Wanderjahren beschloss Romain 2013, sich ganz auf den Weinbau zu konzentrieren und seine eigene Kellerei aufzubauen. Seine 28 Hektar biologisch bestellte Reben liegen in der kühlsten Zone des Luberon auf Böden von Lehm und Kalk. Kein Wunder, haben uns doch seine charaktervollen Weissweine besonders begeistert. Viel Potenzial besitzen auch seine kernigen Roten.

Marrenon

Boulevard Saint-Roch
84240 La Tour-d’Aigues

Im Luberon sind die Genossenschaftskellereien besonders zahlreich. Marrenon ist die Qualitätsmarke eines Zusammenschlusses von Kooperativen des Luberon und des Ventoux. Verarbeitet werden hier die Trauben von 650 Winzern und über 4000 Hektar Reben. Julien Sanchez (rechts), der Exportleiter der Marke, weiss, was er seinen Kunden schuldig ist: untadelige Weine aus naturnahem Anbau, sorgfältig gekeltert und ausgebaut, zum bestmöglichen Preis.

La Cavale

Route de Lourmarin
84160 Cucuron

Thierry Mueth, Spezialist für nachhaltige Entwicklung, hat die Leitung von La Cavale 2018 übernommen und setzt damit lückenlos die Pionierarbeit seines Schwiegervaters Paul Dubrule fort, der dieses biologisch bestellte Mustergut mit dem von Stararchitekt Jean-Michel Wilmotte entworfenen, sehenswerten Keller ab den 1970er Jahren geschaffen hat. Mit seinem breiten weintouristischen Angebot, aber auch mit der weiter steigenden Qualität der unter der Aufsicht von Winzer Alain Graillot aus Crozes Hermitage gekelterten Weine hat La Cavale das Zeug, zur eigentlichen Lokomotive des Weinbaus im Luberon zu werden.

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