Frischer Wind am...
Mont Ventoux
Text und Fotos: Rolf Bichsel
Feurig, mineralisch, würzig, voller Charakter – Ventoux ist die andere unumgängliche Region der Provence, die seit einigen Jahren mit immer interessanteren Rot- und Weissweinen aufwartet.
Meine ersten Provence-Weinkaufstrips folgten einem untrüglichen, eigentlich ganz logischen Schema: Wenig Châteauneuf du Pape für den Sonntag, etwas Gigondas für den Samstag und genügend Côtes du Ventoux für den Rest der Woche. Letzteren besorgte ich mir in der Genossenschaftskellerei der 1924 gegründeten «Vignerons du Mont Ventoux» im einsam mitten im Grünen gelegenen, hübschen Dörfchen Bedoin am Fusse des südfranzösischen Niesens, im Zeitalter der Akronyme (in Frankreich sind die geradezu Staatsreligion) kurz und bündig VMV genannt. Apropos Niesen: Weil ich im Schlagschatten des echten aufgewachsen bin, kann ich den provenzalischen Berg der Berge nie ganz ohne Emotionen angehen und skandiere jedes Mal: «Hat der Ventoux einen Hut, wird das Wetter morgen gut», wie das für den Niesen sprichwörtlich ist. Ich habe allerdings Jahre gebraucht, mich davon zu überzeugen. Irgendwie habe ich es fertiggebracht, immer gerade dann durch den Ventoux zu pilgern, wenn dessen Degen auf Regen reimte, was gemäss verlässlicher Quellen nur ein paar Tage im Jahr der Fall ist.
An den Preis einer Flasche Côtes du Ventoux kann ich mich noch genau erinnern. Umgerechnet 2.50 Franken. Da konnte nicht einmal Coop mit seinem preiswerten Côtes du Rhone Grand Palais mithalten, der ein paar Rappen mehr kostete. Dieser Tatsache verdanke ich, dass ich Jahr für Jahr den einen oder anderen autofahrenden Kumpel oder die mit Führerschein bewaffnete Freundin zu einem Trip Richtung Mittelmeer überreden konnte.
Preiswert sind die Ventoux bis heute geblieben. Für fünf bis zehn Euro gibt es bereits einiges zu haben, und was mehr kostet, ist das auch wert. Stilmässig haben die (Rot)weine sich hingegen beträchtlich geändert. Mit ihren höchstens 12,5 Volumenprozent Alkohol und ihrer schlanken, würzig-fruchtigen Art galten die «Côtes du Ventoux» als besonders trinkig. Heute gleichen die feurigsten schon mal einem Amarone. Das hat nicht nur mit der langsam zur fixen Idee werdenden Klimaerwärmung zu tun. Ertragsbeschränkung, Anpassen des Sortenspiegels zugunsten von Grenache und Syrah und bessere Arbeit im Weinberg wie im Keller haben dazu ebenfalls beigetragen. Nun soll das nicht heissen, dass die Ventoux- Roten sich zu klotzigen Alkoholbomben ausgewachsen haben. Auch wenn die Rebberge (zwischen 200 und 500 Metern gelegen) kaum dem Einfluss der Alpenwinde und des Mistrals ausgesetzt sind, gehören sie zu den kühleren Lagen des Rhônetals. Vaucluse-Berge und Ventoux temperieren das vorherrschende Mittelmeerklima. Auch die exzellenten, kargen, meist kalkhaltigen Böden, versetzt mit Rollkieseln, Sand und Lehm fördern den gemächlichen Reifeprozess. An unserer jüngsten Verkostung bildeten die Weine des Ventoux die eigentliche Überraschung. Wenn ich ganz ehrlich sein soll: Ich schätze die AOC Ventoux heute in ihrer Gesamtheit und Vielfalt sogar höher ein als die anderen Crus der südlichen Rhône (Gigondas, Vacqueyras, Rasteau und wie sie alle heissen.)
Weg mit den Côtes
2008 wurde die Côtes du Ventoux kurz und bündig zur AOC Ventoux. Nun machen Kleider nicht immer Leute und Namen allein keine Spitzenweine. Doch das Schnipseln an der Kennung ergab Sinn. Ventoux symbolisiert: Wir sind ein Cru und gehören zur Spitze des Eisbergs Rhône. «Die Unterscheidung von der Basisappellation Côtes du Rhone hat uns Winzern mehr Selbstvertrauen gegeben», sagt Fréderic Chaudière, der heute gemeinsam mit Bruder Alexandre Château Pesquié in Mormoiron leitet, ein Gut, das zu den Qualitätspionieren der Appellation gehört. Als die Familie Chaudière 1989 den mutigen Entschluss fasste, der Genossenschaftskellerei Adieu zu sagen, zählte die Appellation gerade mal zehn unabhängige Winzerbetriebe. Heute sind es über 150. «Der kürzere Name war ein Zünder: Er hat das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Winzern verstärkt», ergänzt Alexandre Chaudière.
Vom frischen Wind, der wenigstens im übertragenen Sinn über die Hänge des Ventoux bläst, haben sich Anfang der 1990er Jahre auch Anne-Marie und Jean-Luc Isnard anstecken lassen. Ihre heute 14 Hektar grosse Domäne Solence in der Nähe von Carpentras stampften der diplomierte Önologe und seine Lebensgefährtin buchstäblich aus dem Boden. Von ihrem Pioniergeist zeugt die Tatsache, dass sie von Beginn an biologisch arbeiteten, lange bevor das Mode wurde. «Auch wenn der Anfang nicht eben einfach war: Es hat sich gelohnt. Unsere erstklassigen Böden leben, und der arg strapazierte Ausdruck Terroir ist hier keine leere Floskel», sagt Jean-Luc, Mitbegründer der nationalen Bio-Vereinigung FNIVAB und Präsident der Organisation Bios Ventoux, der heute ein Dutzend Winzer angehören. Parzellenweise Vinifikation und ein breiter Sortenspiegel von zwölf Varietäten, darunter Klassiker wie Grenache, Syrah, Cinsault oder Roussane, aber auch etwa Marselan (Cabernet Sauvignon x Grenache) ergeben mehrere Rotweincuvées mit grossem Eigencharakter, aber auch besonders mineralische und frische Weissweine und verführerische Rosés.
Dass auch die AOC Ventoux auf den Rosé-Zug aufgesprungen ist, schadet nichts und kommt im Endeffekt direkt den Rotweinen zugute. Doch wie im Luberon gehört die Zukunft hier der dritten Farbe. Besonders kalkhaltige Parzellen in Höhenlage gibt es einige am Ventoux und idealere Bedingungen zum Keltern grosser, mineralischer Weissweine kaum. Winzer wie Sebastien Vincenti auf Domaine de Fonderèche in Mazan, der auch in Sachen Rotwein hervorragend arbeitet und aus Fondrèche, seit langem ebenfalls naturnah bestellt, eine eigentliche Vorzeigedomäne gemacht hat, demonstriert dies seit Jahren vorzüglich. Hervorragende Weissweine produzieren neben den oben genannten auch etwa Domaine Champ-Long oder Domaine de la Verrière, um nur einige zu nennen. Ich bin sicher, dass der Anteil an Weissweinen, der heute erst bescheidene sechs Prozent ausmacht, in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird.
Nur eines fehlt auch den Weinen des Ventoux: der höhere Bekanntheitsgrad gerade auf den deutschsprachigen Märkten. Sie sind nicht nur der Konkurrenz der anderen Rhôneweine ausgesetzt und der Phalanx der Weine aus dem Languedoc, sondern auch der fast unüberschaubaren Palette an Weinen aus Italien, Spanien oder Portugal. Dem Weinfreund bleibt da oft gar nichts anderes übrig, als sich vor Ort mit ein paar Flaschen einzudecken. Schwer fällt das allerdings nicht. Fast alle Güter führen einen Caveau und verkaufen direkt ab Gut. Ein Abstecher in die Gegend lohnt sich allemal: Die Dörfer des Ventoux – Pernès les Fontaines, Mazan, Flessan, Bedoin, Venasque – mögen weniger bekannt sein als die des Luberon, doch sie sind nicht weniger hübsch und romantisch. Die Fahrt über einsame Strässchen, von Weiler zu Weiler und von Gut zu Gut, durch ein eindrückliches Mosaik aus Rebbergen, Olivenhainen, Obstgärten, Wäldern und Heide, am besten in einem gemütlich tuckernden 2CV mit zurückgeschlagenem Verdeck (Adresse zum Mieten Seite 49) wird hier zum echten Abenteuer.
Château Pesquié
Das heute stolze hundert Hektar Reben fassende Gut mit dem beeindruckenden Herrensitz aus dem 18. Jahrhundert gehört ganz unbestritten zu den Qualitätspionieren der Appellation. Es wird heute von den Brüdern Frédéric und Alexandre Chaudière geleitet.
Domaine Solence
Den Traum vom eigenen Bioweingut erfüllten sich Anne-Marie und Jean-Luc Isnard Anfang der 1990er Jahre. Ihre 14 Hektar Reben ergeben vorzügliche Rot-, Rosé- und Weissweine mit ausgesprochenem Terroircharakter.