Heisse Tage in...
Les Baux-de-Provence
Text und Fotos: Rolf Bichsel
In der Hauptsaison wird das Dorf oben auf seinem Felsen von Touristen geradezu belagert, und zum Besuch braucht es starke Ellenbogen. Weit stiller ist es unten in den naturnah bestellten Rebparzellen und Olivenhainen.
Meine erste Begegnung mit Les Baux geht Jahrzehnte zurück. Wie ich es geschafft habe, mir trotz Musiker- Hungerlohn einen Abend im legendären Drei-Sterne-Tempel «Oustau de Baumanière» zu leisten, ist eine lange Geschichte, die nicht hierher gehört.
Das Mahl wurde zum unvergesslichen Erlebnis, nicht zuletzt, weil es mich mit einem Wein bekannt machte, den ich seither nur mehr mit feuchten Augen geniesse: Domaine de Trevallon von Eloi Dürrbach. Der charaktervolle Winzer und Querkopf galt als Motor der Appellation, die damals noch als Enklave der Coteaux d’Aix gehandelt wurde. Dürrbach ist bis heute eng mit der Geschichte von Les Baux verbunden, auch wenn er 1995 beim Schaffen der neuen, unabhängigen und eigenständigen Anbauzone, von der nationalen Winzerbehörde so quasi vor die Türe gesetzt wurde. Denn er weigerte sich, von seinem Rebsatz (je zur Hälfte Syrah und Cabernet Sauvignon, eine Sorte, von der er nicht zu Unrecht sagt, sie werde seit langem in der Provence angebaut) abzuweichen. Die neue Appellation gab den «traditionellen» Sorten Grenache, Cinsault und Carignan den Vorrang und schränkte den Anteil von Mourvèdre, Syrah, Cabernet Sauvignon und Counoise ein. Trevallon kommt seither als «einfacher» IGP Alpilles auf den Markt. Wenn ich ehrlich sein soll: Irgendwie passt die Sonderrolle ganz gut zum revolutionären Vordenker Dürrbach. Trevallon ist eine Appellation für sich und hat eine solche darum gar nicht nötig.
Ich habe das Dorf Les Baux später noch mehrmals besucht, einmal während eines sintflutartigen Sommergewitters. Ich konnte mich noch gerade rechtzeitig in unseren nicht gerade niet- und nagelfesten, safrangelben 2CV flüchten, der am Dorfeingang am Strassenrand parkte (ja, vor 30 Jahren war das noch möglich) und verfolgte wie hypnotisiert mit, wie das steile Strässchen in Minutenschnelle zum reissenden Strom anschwoll, der an meinem Schlupfwinkel rüttelte und schüttelte, und ich kam mir vor wie das kleine Schweinchen im Strohhaus, das vom bösen Wolf umgepustet wird. So richtig mulmig wurde mir, als plötzlich ein alter Peugeot, von den Wassermassen mitgerissen und ganz ohne Steuermann, schlingernd und ratternd an mir vorbei rauschte und ein paar Meter weiter unten lautlos ins Leere stürzte. Dieses böse Erlebnis und der einsetzende Massentourismus haben dazu geführt, dass ich seither nie mehr einen Schritt ins Zentrum von Les Baux gesetzt habe. Den Weinen und Winzern von Les Baux – Mas de la Dame, Mas Gourgonnier, Domaine de Lauzières und wie sie alle heissen – bin ich trotzdem über all die Jahre hinweg treu geblieben, auch wenn ihre würzigen, vollmundigen Weine von Jahr zu Jahr alkoholschwerer ausfallen. Vielleicht hatte Dürrbach mit seiner Sortenwahl doch nicht so ganz Unrecht. Als echte Entdeckung werte ich deshalb die Weine von Château d’Estoublon in Fontvieille. Sie sind nicht nur technisch hervorragend gemacht, sondern stellen auch eine besonders gelungene Mischung aus Tradition und Moderne dar.
Sie verleugnen ihre Herkunft nicht und wirken trotzdem nicht schwerfällig, sondern besitzen auch Saft und Frische. Die 20 Hektar Reben auf Böden aus Lehm und Kalk werden nach den Richtlinien des biologischen Anbaus bestellt.
Eigentliche Spezialität des besuchenswerten Gutes mit regelrechtem Palast, Park, Lehrpfad, Wein- und Spezereienladen sowie Restaurant ist aber das Olivenöl, ebenfalls aus biologischem Anbau. 105 Hektar sind mit den traditionellen Sorten Grossane, Bouteillan, Salonenque, Béruguette und Picholine bestockt und werden in der eigenen Mühle nach Sorten getrennt gepresst. Resultat ist ein besonders delikates, nach grünen Haselnüssen und Artischocke duftendes Öl, das zu den besten der AOP Vallée des Baux-de-Provence gehört.
Der Olivenbaum hat in Les Baux nicht weniger Tradition als der Weinbau. Fast alle Weingüter und mehrere Produzenten bieten Olivenöl oder eingemachte Oliven an. Nicht alle sind vom gleichen Charakter. Traditionell wurde die Ölfrucht hier recht spät geerntet und ergab dann ein besonders würziges, dickflüssiges, goldenes, ab und zu schon etwas an Heu und ranzige Butter erinnerndes Öl. Das typischste stammt aus der Ölmühle Jean-Marie Cornille der Genossenschaft von Maussane-les-Alpilles.