Umweltbewusstsein im Weinbau
Die Umwelt fest im Blick
Text: Paul Kern, Fotos: © ÖWM / WSNA (Weinstock), © ÖWM / WSNA (Schloss Gumpoldskirchen), © ÖWM / WSNA (Weingarten bei Pfaffstätten)
Der österreichische Weinbau hat seine Hausaufgaben gemacht und gehört zu den Vorreitern im Bio-Weinbau. Und auch ohne Öko-Siegel setzen sich immer mehr Winzer mit Umweltbewusstsein im Weinbau auseinander.
Zu Beginn ein ganz nüchterner Blick auf die 2024 von der International Federation of Organic Agriculture Movements (IFOAM) veröffentlichten Zahlen: Rund 22 Prozent seiner Weinbaufläche bewirtschaftet Österreich biologisch, so viel wie kaum eine andere Weinbaunation. Vor Österreich liegen zwar Belgien und Polen, deren aufsummierte 386 Hektar Biofläche aber zu vernachlässigen sind, bei fast 10 000 Hektar in Österreich. Nach Quote gleich auf ist Frankreich, der grösste Teil des Bioweinbaus entfällt dort aber auf den Süden, wo es ganze Landstriche solch trockener Terroirs gibt, dass Pilzkrankheiten keine nennenswerte Gefahr darstellen. Eine Bio-Quote von 24 Prozent erreicht beispielsweise die Provence; auf gerade mal acht Prozent kommt die Champagne. In Deutschland, wo das Klima dem von Österreich am ehesten ähnelt, kommt man nicht über 14 Prozent. Wie kommt es zur Vorreiterrolle Österreichs? Spricht man mit Winzern und Verbandsvertretern, stösst man immer wieder auf den Glykol-Skandal von 1985. Österreich musste sein Gesicht einfach radikal ändern, so das einhellige Credo. Aber das erklärt den Bio-Boom nicht vollständig. Seine stärkste Wachstumsphase hatte der österreichische Bio-Weinbau nach der Jahrtausendwende als das Glykol-Trauma schon weitestgehend überwunden war. Für Siegfried Pöchtrager, Professor am Institut für Marketing und Innovation an der Wiener Universität für Bodenkunde, hängt das auch mit einem besonderen Bewusstsein der österreichischen Verbraucher und Produzenten zusammen, nicht nur beim Weinbau, sondern in der gesamten Lebensmittelproduktion. Der Agrarökonom ist sich sicher: «Das Bewusstsein, dass Eigenwohl, Nachhaltigkeit und Gesundheit zusammenhängen, ist bei österreichischen Verbrauchern sehr verbreitet. Vermutlich verbreiteter als in den meisten anderen Ländern.» Darauf hätten, so Pöchtrager, die Supermärkte schon in den 1990er-Jahren mit Bio-Handelsmarken reagiert und so dem Thema Nachhaltigkeit eine Sichtbarkeit am Point of Sale verschafft, als dies in anderen Ländern kaum ein Thema gewesen sei. Betrachtet man die gesamte Landwirtschaft, liegt die Bio-Quote mit 28 Prozent noch höher als im Weinbau – weltweit nur übertroffen vom ebenfalls vernachlässigbaren Fürstentum Liechtenstein.
Bio-Boom in Wellen
Zurück zum Weinbau: Die grösste Welle der Bio-Umstellungen rollte in den Jahren 2005 bis 2015. In dieser Zeit hat sich die biologisch bzw. biodynamisch bewirtschaftete Fläche mehr als verdreifacht. Beispiele für diesen Prozess sind das Weingut Kollwentz, das Weingut Gernot und Heike Heinrich oder der Weinhof Pichler sowie das Weingut Lackner-Tinnacher in der Südsteiermark. Winzerin Katharina Tinnacher begann 2013, ihre Weinberge biologisch zu bewirtschaften. Kein einfaches, für viele ein gar waghalsiges Unterfangen in der Steiermark, die mit 1000 bis 1500 mm Niederschlag pro Jahr zu den feuchtesten Weinbaugebieten der Welt gehört. Fünfzehn bis zwanzig Prozent weniger Ertrag werfen ihre ohne chemische Spritzmittel behandelten Weingärten ab. Dafür steigt der Arbeitsaufwand mindestens im selben Mass. Die Subventionen, die Bio-Winzer erhalten – etwa 700 Euro pro Hektar – federn das ein wenig ab, können den Mengenverlust und die gestiegenen Kosten in der schwierig zu bewirtschaftenden Steiermark aber bei Weitem nicht aufwiegen. Für Katharina Tinnacher ist es trotzdem eine doppelte Überzeugung: Einmal umweltbewusst motiviert, aber auch getrieben vom Wunsch nach dem bestmöglichen Wein. «Die Trauben sind viel aromatischer und intensiver, wir haben immer eine gute Säure und Lebendigkeit.
Und weniger Ertrag heisst ja auch mehr Extrakt», so die Winzerin. Der Bio-Weinbau rechnet sich für ihr Weingut, weil sie hohe Preise auf dem Markt abrufen kann. Ihr Sauvignon Blanc Welles kostet derzeit 47 Euro und ist dennoch gefragt. Ein Preisniveau, das sie mit konventionellen Anbaumethoden nie erreichen könnte, so die Einschätzung der Winzerin. Wie so oft in der Weinwelt fungiert die qualitative Spitze auch im Hinblick auf Umweltverträglichkeit als Tempomacher. Unter den Steirischen Terroir- und Klassik-Weingütern STK, einem privaten Verband von zwölf der besten Steirischen Weingütern, darunter Lackner-Tinnacher, ist bereits jeder zweite bio-zertifiziert. Und das, obwohl die feuchte, pilzanfällige Steiermark in ihrer Gesamtheit mit 17 Prozent die niedrigste Bio-Quote aller Bundesländer aufweist. Den höchsten Anteil hat mit 47 Prozent Wien, wenn auch mit der mit Abstand kleinsten Gesamtfläche. Das Anbaugebiet mit dem höchsten Anteil ist mit 24 Prozent das Burgenland, Niederösterreich liegt mit 22 Prozent in der Mitte. Neben dem Bio-Siegel, das EU-Standards erfüllt und einen vollständigen Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel verlangt, ist eine wachsende Zahl an Weingütern mit dem vom Österreichischen Weinbauverband herausgegebenen Siegel «Nachhaltig Austria» zertifiziert. Aktuell gehen vermehrt ganze Verbände dazu über, eine Zertifizierung zur Bedingung der Mitgliedschaft zu erklären. Und um das Bild abzurunden: 3 Prozent der Gesamtweinbaufläche Österreichs werden zertifiziert biodynamisch bewirtschaftet, deren Grundlagen vom österreichischen Anthroposophen Rudolf Steiner gelegt wurden.
Addiert man alle Flächen, die biologisch, biodynamisch oder gemäss «Nachhaltig Austria» bewirtschaftet werden, ergibt sich ein mehr als beachtlicher Anteil von rund 40 Prozent der österreichischen Weinbaufläche, die kontrolliert umweltbewusst bewirtschaftet wird. Rechnet man die traditionelle Kleinstrukturiertheit der österreichischen Weinlandschaft dazu, bei der Familienbetriebe seit jeher die Arbeit Hand in Hand mit der Natur als selbstverständlich ansehen, wird das Bild noch umfassender. Durchschnittlich bewirtschaften die Weinbaubetrieb etwa 4 Hektar Rebfläche, teils geprägt durch Steil- und Terrassenlagen. Und hier ist Handarbeit im Einklang mit den vorhandenen Ressourcen üblich. Es wird auf ganz natürliche Weise die Biodiversität in kleinen Weingärten gefördert, im deutlichen Kontrast zu Monokulturen auf Grossflächen in anderen Weinbauländern.
Zurück zu «Nachhaltig Austria». Das 2015 eingeführte Gütesiegel steht für nachhaltige Weine und setzt auf «ökonomische, ökologische und soziale Kriterien». Von Anbau und Ernte, über den Ausbau der Weine bis hin zur Flaschenfüllung werde der gesamte Herstellungsprozess anhand von 360 Parametern auf seinen Beitrag zur Nachhaltigkeit bewertet, nicht nur in Bezug auf sorgsamen Umgang mit der Rebe und dem Boden, sondern auch in Bezug auf Treibhausgasemissionen, so der Österreichische Weinbauverband. Damit ist das Siegel ziemlich umfassend aufgestellt. Kritik gibt es – wie auch anders sollte es sein – dennoch. Ist die Energieeffizienz der Betriebe ausreichend berücksichtigt oder nicht, lässt sich der Einsatz bestimmter Mittel zum Pflanzenschutz gegen andere Massnahmen aufrechnen oder nicht? Da würde ein pragmatischer Blick auf das Ganze helfen, finden auch die Weinbaubetriebe selber. «Wenn ein Betrieb in einem Bereich nicht so gut aufgestellt ist, kann er das durch Bemühungen in den anderen wettmachen. Was zählt, ist der Gesamteindruck», hat Winzer Franz Hirtzberger jun. schon 2021 die Lage zusammengefasst. Es ist wie so oft: Kritik muss man sich hart erarbeiten.
Im besten Fall gehen «Nachhaltig Austria» und das Bio-Siegel Hand in Hand. Bei der Domäne Wachau ist man gerade dabei, genau diesen Weg zu gehen. Seit dem Jahrgang 2018 ist die ganze Genossenschaft nachhaltig zertifiziert und zudem ist die biologisch bewirtschaftete Fläche auf 150 Hektar angewachsen. Der Grossbetrieb steht mit seinen über 200 Mitgliedern natürlich auch logistisch vor ganz anderen Herausforderungen als kleine Winzer wie Katharina Tinnacher. «Nachhaltig Austria war für uns ein sehr wichtiger Lernprozess, weil wir erstmal eine Infrastruktur aufbauen mussten, mit der wir und unsere Mitglieder überhaupt standardisiert protokollieren, was wir im Weingarten machen. Im Rahmen der Zertifizierung haben wir zum Beispiel auch unsere IT umgerüstet. Wir haben mehr als 3000 Parzellen, die wir jetzt alle erfassen können. Das wäre davor nicht so einfach gegangen», sagt Roman Horvath, Geschäftsführer der Domäne.
Wie Forschung und moderne Technik die nachhaltige Transformation unterstützen können, demonstrieren gerade viele STK-Winzer, die in ihren Weingärten Wetterstationen aufgebaut haben, teilweise mehrere pro Lage. Die Stationen messen neben Temperatur und Niederschlag auch Wind, Blattfeuchte und Bodenfeuchte, um jedes noch so kleine Mikroklima ausfindig zu machen. In der Praxis heisst das für Winzer wie Katharina Tinnacher: «Ich weiss genau, wo ich einmal die Woche spritzen muss, und wo es vielleicht alle zehn Tage reicht.» Denn fest steht: Nicht notwendige Spritzgänge zu vermeiden, ist immer vorteilhaft für die Umwelt. Das gilt für biologische genauso wie für konventionelle Betriebe.