Die Vielfalt Niederösterreichs • Dossier Österreich 2023

«NÖ» sagt ja zu Veltliner

Text: Andrea Heinzinger; Fotos: ÖWM / Robert Herbst/ WSNA noe

Die Vielfalt Niederösterreichs ist beeindruckend. Berge, sanfte Hügel, Heurigenlokale und nicht zu vergessen das Donautal: «NÖ» bietet Österreichfeeling in a nutshell, auch, was den Wein angeht. Gleich acht spezifische Weinbaugebiete zählt das Bundesland, sieben davon haben einen DAC-Herkunftsschutz, das achte steht kurz davor. Ihr grösster gemeinsamer Nenner? Grüner Veltliner!

Weinviertel

Wollte man Niederösterreichs grösstes Weinanbaugebiet mit einem Wort beschreiben, es wäre «wohltemperiert». Das Tempo hier unweit von Wien ist ein herrlich unaufgeregtes, in dessen entschleunigten Bann man sich auch als Besucher nur allzu gerne ziehen lässt. Man sollte sich aber von der gemütlichen Gangart, den idyllischen Kellergassen und Heurigenlokalen nicht täuschen lassen! Denn was sich hier im Nordosten Österreichs zwischen Donau und tschechischer Grenze einerseits und Manhartsberg sowie slowakischer Grenze andererseits auf 14 000 Hektar Anbaufläche tut, setzt Zeichen. Mit einem Anteil von 49,9 Prozent ist Grüner Veltliner der Star des Gebiets. Seine unverwechselbare, frische und feinfruchtige Stilistik, geprägt vom legendären «Pfefferl» macht ihn zum Inbegriff eines modernen österreichischen Weins. Als solcher ist er ganz klar Botschafter seiner Herkunft. Ganz besonders dann, wenn er die Kapsel des Districtus Austriae Controllatus (DAC) trägt. Sie weist ihn als Weinviertel DAC aus. Dieser hier vor 20 Jahren etablierte österreichische Herkunftsschutz war erfolgreicher Auftakt zu einer herkunftsbasierten Neuordnung des Qualitätssystems und die erste von heute landesweit 17, bald 18 DACs. Grüner Veltliner spielt auch hier die erste Geige: Nur er ist zugelassen für Weinviertel DAC und die kraftvollen, hervorragend reifenden Weinviertel DAC Reserve und Weinviertel DAC Große Reserve. Auch weisse Burgundersorten, Riesling und allen voran Zweigelt (Rotburger) gedeihen bestens auf den vielfältigen Böden des Weinviertels. Sie tragen als Qualitätsweine die Bezeichnung «Herkunft Niederösterreich».

Kamptal

Es gab Zeiten, da stand das Waldviertler Kamptal im Schatten der angrenzenden Wachau. Zu Unrecht, wie man längst weiss! Das am Ufer des Donauzuflusses Kamp gelegene, gut 3574 Hektar grosse, dynamische Anbaugebiet ist auf jeden Fall für geschmackvolle Überraschungen gut. Die Bodenvielfalt rund um das zentrale Langenlois reicht von Löss- und Schotterschichten bis hin zu Konglomeraten vulkanischen Ursprungs. Dies bietet im Einklang mit dem von heissen Tagen und kühlen Nächten geprägten Klima der Flussniederung beste Voraussetzungen für die Erzeugung finessenreicher Weine, die hier zu über 80 Prozent weiss sind. Die besten Rieden liegen auf den Südhängen der über dem Flusslauf sich erhebenden Steilufer – so wie die berühmte Ried Heiligenstein in Zöbing. Sie ist eine der Top-Lagen des Weinanbaugebiets Kamptal. Aber nicht nur dort steht der Herkunftsgedanke an erster Stelle. Mit dem Jahrgang 2008 erhielt auch das Kamptal DAC-Status und erzeugt heute über die gesamte Qualitätspyramide hinweg bis hin zum Kamptal DAC mit Ortsund Riedenangabe Weine, die nicht nur mit Sortentypizität überzeugen, sondern immer auch unverwechselbarer Ausdruck ihrer Herkunft sind. Zugelassen sind Riesling, der an den Steilhängen besonders filigran gelingt und mit elegantem Säurespiel besticht, sowie Grüner Veltliner, der gerade hier im Kamptal eine grosse stilistische Bandbreite auffährt. Als Gebietswein punktet er mit einer fruchtbetonter Frische, je höher es auf der Pyramidenleiter geht, desto kraftvoller, konzentrierter und auch opulenter trumpft er auf.

Wagram

Bis vor nicht einmal 20 Jahren sprach man hier noch vom sogenannten «Donauland». Erst seit dem Jahr 2007 trägt das gut 2460 Hektar Rebfläche umfassende Anbaugebiet den Namen jener markanten, auf eine urzeitliche Küstenlinie zurückgehenden Erhebung, die keine Autostunde von Wien entfernt liegt. Der Weinbau hat hier zwischen Krems und Wien eine sehr lange Tradition, mit Klosterneuburg ist hier sogar die nach eigenem Bekunden älteste Weinbauschule der Welt zu Hause. Das grosse Potenzial der fruchtbaren, schotterbedeckten Lössböden aber wurde dennoch erst nach und nach so richtiggehend gewürdigt. Heute besteht kein Zweifel mehr daran, dass die hocharomatischen Weine, die hier links und rechts der Donau aus einer Vielzahl von Rebsorten entstehen, zu Österreichs absoluter Spitze zählen. Die besten Rieden liegen auf Scheitel und Hängen des Wagram mit zahlreichen Spitzenlagen. Der kontinuierlich steigenden Qualität trägt auch der seit dem Jahrgang 2021 geltende DAC-Status Rechnung. Und auch wenn Grüner Veltliner die am häufigsten angepflanzte Rebsorte im Wagram ist: Für die Gebietsweine hat man hier gleich 13 weisse und rote Rebsorten zugelassen, für die Ortsweine sind es immerhin noch sieben. Anders an der Spitze der Herkunftspyramide: Nur die Rebsorten Grüner Veltliner, Riesling und der autochthone Rote Veltliner sind für Riedenweine zugelassen. Bei aller Vielfalt verbindet die Herkunft vom Lössboden die Wagramer Weine. Dieser macht sie ausserordentlich gehaltvoll und verleiht ihnen den charakteristischen Wagram-Schmelz.

Kremstal

Die traditionsreiche Weinbaustadt Krems und das barocke Benediktinerstift Göttweig sind die beiden Pole, zwischen denen sich die insgesamt 2250 Hektar messende Rebfläche des östlich der Wachau gelegenen Kremstals entfaltet. Die Weingärten liegen an den Ufern der Krems (die unmittelbar hinter Krems in die Donau mündet) sowie links und rechts der Donau. Auch wenn Burgundersorten, Sauvignon Blanc und Zweigelt hier durchaus von sich reden machen: Grüner Veltliner und Riesling sind einmal mehr die Protagonisten. Dies spiegelt auch der mit dem Jahrgang 2007 erfolgte Herkunftsschutz wider: Nur diese beidenRebsorten dürfen für einen Kremstal DAC verwendet werden. Würziger Grüner Veltliner und eleganter Riesling bringen das Kremstal-Terroir am besten zur Geltung, und das von den fruchtbetonten Gebietsweinen über die würzig-aromatischen Ortsweine bis hin zu den sehr komplexen Riedenweinen. Hinter ihrer auch ungemein stilistischen Vielfalt steht eine äusserst bemerkenswerte geologische Palette, die von Lössböden über karge Felsen und kalkhaltige Parzellen bis hin zu mineralienreichen Schieferterrassen reicht. Dies mag auch die Fülle sehr guter Einzellagen in diesem doch kleinteiligen Anbaugebiet erklären. Das Kremstal beherbergt in der Tat mehr Top-Lagen als jedes andere Anbaugebiet. Eine der berühmtesten Lagen des Gebietes aber dürfte die legendäre, bereits seit dem Mittelalter bekannte Sandgrube sein. Heute allerdings bezeichnet dieser Name Unterschiedliches. Aus der Ried Obere Sandgrube kommen DAC-Riedenweine, während eine «Kremser Sandgrube» ein aus der gleichnamigen Grosslage stammender Gebietswein ist.

Traisental

Das Weinbaugebiet Traisental erstreckt sich zwischen der Donau imNorden und der Landeshauptstadt St.Pölten im Süden. Das Tal der von Norden nach Süden fliessenden Traisen macht als Weinbaugebiet von sich reden. Das 848 Hektar Rebfläche umfassende, erst seit 1995 eigenständige Anbaugebiet zwischen Donau und Voralpen ist ganz klar Weissweinland. Neben Grünem Veltliner, dem unangefochtenen Star des kleinteiligen, hügeligen Gebiets brilliert hier Riesling. Die beiden Sorten sind auch die Hauptdarsteller des Traisental DAC, der mitsamt seiner Herkunftspyramide mit dem Jahrgang 2006 an der Traisen Einzug hielt. Die besten Riedenweine, die neben dem DAC-Siegel auch Ort und Lagenname auf dem Etikett tragen, kommen aus den bis zu 400 Meter hohen Hügeln, die das Traisental nach Westen hin abgrenzen. Die Bandbreite der Böden hier ist bemerkenswert: Sie reicht von Kalkböden, die im Traisental eine wichtige Rolle spielen, über Sand und Lehm sowie über Schotter bis hin zu tiefroten eisen- und manganhaltigen Sedimenten. Diese Vielfalt bietet im Einklang mit dem charakteristischen Klima hier an der Schnittstelle von Voralpen und pannonischer Tiefebene beste Voraussetzung für die klar definierten, kristallinen und mineralischen Spitzenweine des Traisentals, die ihre besondere Frische und ausgeprägte Aromatik den hier äusserst grossen Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht verdanken. Aber auch aromatische Sorten wie Muskateller und SauvignonBlanc sind hier zu Hause, ebenso wie der Zweigelt – sie kommen unter der geschützten Ursprungsbezeichnung «Niederösterreich» auf den Markt.

Wachau

Sie dürfte Niederösterreichs wohl bekanntestes Weinbaugebiet sein: die sich zwischen Melk und Krems gut 30 Kilometer entlang der Donau erstreckende Wachau. Ob es an der im Jahr 2000 erfolgten Ernennung zum UNESCO-Weltkulturerbe liegt? An den unzähligen Marillenbäumen, deren Blüte Besucher aus aller Welt lockt? Oder an den über 150 eingetragenen Einzellagen? Oder verdankt das Gebiet ihre Poleposition am Ende doch den charakterstarken Weissweinen, die aus den terrassierten, sich am rechten Ufer steil über dem Flusslauf der Donau erhebenden Steillagen stammen? In diesen nach Süd-Südost hin ausgerichteten Weingärten finden auf verwitterten Urgesteinsböden allen voran Riesling und Grüner Veltliner ideale Bedingungen. Kein Wunder, dass in dieser Wohlfühllandschaft mit den besten Lagen einige der grössten Weissweine der Welt mit jahrzehntelangem Entwicklungspotenzial entstehen, die sich durch eine vielschichtige Aromatik auszeichnen. Das Zusammenspiel von heissen Tagen, kühlen Nächten und der über die sogenannten Wachauer Gräben ins Haupttal einströmenden feuchten Luft macht das Mikroklima der 1323 Hektar grossen Wachau einzigartig. Ein wahrer Aromabooster, der die Wachauer Weine unverwechselbar frisch macht und ihnen die typische Frucht-Säure-Balance und Klarheit verleiht. Mit dem Jahrgang 2020 erhielt die Wachau zudem den DAC-Status, die der spezifischen Kombination aus Boden, Klima und Winzerhandwerk Rechnung trägt. Während für DAC-Riedenweine ausschliesslich Grüner Veltliner und Riesling zugelassen sind, spiegeln die zahlreichen für Gebiets- und Ortsweine erlaubten Sorten die Vielfalt des Gebiets wider.

Thermenregion

Warme Schwefelquellen, das trockenheisse pannonische Klima mit vielen Sonnenstunden und dazu die sanften Hügelausläufer des Wienerwalds: Die Reize der gut 1900 Hektar Rebfläche umfassenden Thermenregion südlich von Wien sind vielfältig und ziehen nicht erst heute Besucher an. Hier, wo sich einst römische Legionäre dem Spa-Vergnügen hingaben und später Zisterziensermönche die ersten Reben pflanzten, trifft man heutzutage auf eine lebendige Weinszene. Die vielen Heurigen sind direkt von der Wiener Innenstadt aus mit der Südbahn erreichbar – und das seit über 150 Jahren! Heute ist man auf diesem Weg in einer guten halben Stunde im Weinort Gumpoldskirchen, der sich nicht zuletzt als Heimat des Gumpoldskirchners – dieser viel besungenen Cuvée aus den autochthonen Weissweinsorten Rotgipfler und Zierfandler, die auch reinsortig ausgebaut werden – einen Platz im Weinhimmel gesichert hat. Die Cuvée, auch Spätrot-Rotgipfler genannt, der beiden «Südbahnsorten» gilt bis heute als Spezialität des Gebiets und besticht mit exotischer Fruchtfülle und frischer Säurebalance. Die meistangebaute Sorte des Gebiets aber ist Zweigelt, gefolgt von Grünem Veltliner. Die kargen Schotterböden im Süden kommen aber auch Sorten wie Sankt Laurent, Blauem Burgunder und Portugieser entgegen, aus denen hier sehr charakteristische, ihre Herkunft widerspiegelnde Weine entstehen. Kein Wunder also, dass diese Sorten bei der aktuell entstehenden, vielleicht schon mit dem Jahrgang 2023 greifenden Thermenregion DAC berücksichtigt werden. Gleichwohl stehen Burgundersorten und autochthone Spezialitäten wie Zierfandler und Rotgipfler weiterhin an der Spitze.

Carnuntum

Das Land, wo Blaufränkisch und Zweigelt blühen! Mit 830 Hektar ist das östlich von Wien, nahe der slowakischen Grenze gelegene Carnuntum Niederösterreichs kleinstes Anbaugebiet – und eine wahre Wundertüte, wenn es um langlebige Weine mit Charakter und Potenzial geht. Es ist hier sehr trocken, das pannonische Klima bringt zudem heisse Sommer und kalte Winter. Die Donau und der nicht weit entfernte Neusiedler See aber sorgen für Ausgleich. Die Weingärten Carnuntums liegen zwischen den Hügelformationen in Hainburg, Arbesthal und dem zum Burgenland hin abgrenzenden Leithagebirge. Der sich solitär unweit von Prellenkirchen erhebende Spitzerberg, der Überrest eines urzeitlichen Riffs, ist kalkig-sandiges, windiges Ausnahmeterroir und Ursprung einiger der grössten Blaufränkisch Österreichs. Der zweite Star Carnuntums ist Zweigelt, der hier sein ganzes stilistisches Repertoire von kirschfruchtig-leicht bis hin zu tanninstark und dunkelfruchtig ausspielt. Die junge Winzergeneration war und ist sich des grossen Potenzials des hier herrschenden Klimas bewusst und nutzt diesen natürlichen Vorteil, um das Gebiet mit fruchtigen und eleganten Rotweinen in kürzester Zeit an die Spitze zu führen. Herkunft aber punktet auch hier immer stärker als allein die Rebsorte – insbesondere, seit das Carnuntum mit dem Jahrgang 2019 DAC-Status erlangte. Für weissen Carnuntum DAC sind Weissburgunder, Chardonnay und Grüner Veltliner zugelassen, für roten Blaufränkisch und Zweigelt (auch als Cuvées, wenn sie mindestens zwei Drittel dieser Sorten enthalten). Neben dem Spitzerberg konzentrieren sich die besten Weinbaulagen alle rund um Göttlesbrunn.