In den Fussstapfen von Pionieren

Neue Winzergeneration in Chablis

Eigentlich müsste es ja Cheblis heissen. Doch irgendwann im Laufe der Geschichte ist womöglich ein Umlaut flöten gegangen und hat sich dabei die Zunge verstaucht oder so ähnlich. Oder spielt in meinem Nachnamen einer falsch? Wie auch immer: Sie haben nicht nur anagrammmässig ganz schön viel gemein, das Ch(e)blische und das Bichs(a)lchen. Sie mögen weite Horizonte, lauschige Sonnenuntergänge, Kuttelwürste und kreidige Ziegenkäse. Sie schätzen abenteuerliche Geschichte(n), kreative Arbeit und schnittige Weisse, die grüngolden schimmern und funkeln wie Bergkristall. Sie hassen Durchschnitt, Beamtenmentalität und Chardonnay, die so üppig und fett ausfallen wie Mayo und süsse Sahne, glauben an lösungsorientierte Dialektik und halten (wenn überhaupt) nur an einer Devise fest: «Panta rhei.»

Alles ist im Fluss – und manchmal an diesem. In Chablis heisst er Serein (was man mit «heiter und gelassen» übersetzen könnte) und hat tatsächlich heiter und gelassen, aber nicht weniger effizient an der Landschaft herumgewerkelt, Geschiebe abgelegt, Täler geformt und Flanken rund geschliffen. Die einen sind so rund und sanft wie ein Pferdepopo, die anderen ganz schön steil: Immer aber tragen sie ganz oben einen Waldschopf und in der Mitte einen Vollbart aus Reben. Auch als Transportweg machte der Serein sich nützlich: Er mündet in die Yonne und diese in die Seine. Die fliesst durch Paris und brachte so die Kapitale in Lastkahnreichweite, wo es noch nie an durstigen Kehlen gemangelt hat.

Erstklassiges Terroir (aus Lehm und Kalk), ideale Lage, was Sonneinstrahlung, natürliche Drainage und Windschutz anbelangt, gute Transportwege und zur richtigen Zeit, das heisst, im angehenden Mittelalter, eine Abtei mit ein paar fleissigen Mönchen, die sich auf die Kunst des Weinbaus verstehen: Der Erfolg kann da nicht ausbleiben!

Leider verfällt die Garantie auf diese Rechnung auch mal. Das Chablis hat mit seinen Weinen tatsächlich schon früh Furore gemacht (verbrieft und belegt spätestens seit dem hohen Mittelalter), aber daraufhin auch besonders unter den Winkelzügen der Geschichte gelitten. Das mag mit seiner strategischen Lage zu tun haben – der Mont du Milieu, (der Berg der Mitte, heute eine bekannte Premier-Cru-Lage) galt als die Grenze zwischen den Herzogtümern des Burgund und der Champagne – oder mit seiner klimatischen Anfälligkeit im Norden des Burgund, die ihn zum Grenzgänger der klassischen Weinbauzone macht. Fakt ist, dass die diversen Krisen des ausgehenden 19. und 20. Jahrhunderts bis hin zum katastrophalen Frost von 1957 (Lästerzungen monieren, mein Geburtsjahr sei damit gleich für zwei Katastrophen verantwortlich) den Weinbau in Chablis praktisch zum Erliegen brachten.

Zwar ist Chablis bereits seit 1938 AOC, mit sieben Grand-Cru-Climats und 79 Premier-Cru-Kleinlagen (Lieux-dits), die in 40 Grosslagen zusammengefasst werden. Doch als ab den 1950er und 1960er Jahren überall in Frankreich die Renaissance des Qualitätsweinbaus eingeläutet wurde, sah sich Chablis mit seinen nur rund 500 Hektar Reben auf eine Worthülse reduziert, die zwar an glorreiche Zeiten erinnerte, aber faktisch kaum mehr existierte. Es gab zwar in Chablis zahlreiche alte Winzergeschlechter (Fèvre, Laroche, Chevallier, Lavantureux und wie sie alle heissen), doch die meisten von ihnen hatten längst auf Polykultur umsatteln müssen und bauten Getreide an statt Wein.

Nun sind Burgunder als tüchtige und tatkräftige Menschen bekannt und an solche Anstrengungen gewöhnt. In Chablis belegen das Pioniere wie Jean-Marc Brocard, Jean-Paul Droin oder Alain Geoffroy. Wenn hier heute wieder fast 6000 Hektar Reben stehen und selbst die «einfacheren» Chablis und Petit Chablis, die den Grossteil der Neupflanzungen ausmachen, dennoch Mangelware bleiben, ist das massgeblich diesen Pionieren zu verdanken, die a) ihre Anbau- und Kelterarbeit klar auf Qualität ausrichteten und b) kommerziell und vertriebsmässig dafür sorgten, dass Chablis wieder die Welt erobern konnte.

Die neue Winzergeneration

Die meisten Pioniere legten den Grundstein für den Wiederaufbau in den 1970er und 1980er Jahren, entweder, indem sie einen unabhängigen Domänenbetrieb aufbauten, wo sie von Anbau bis Vertrieb alles eigenhändig meisterten, oder als Mitglieder der ausgezeichneten Genossenschaft, die es ermöglichte, dass ein Wiederwinzer sich zuerst voll und ganz auf den Rebbau konzentrieren konnte, bevor er in einen eigenen Keller investierte. In den letzten Jahren ist es daher besonders in Chablis fast automatisch zu einer Wachablösung gekommen. Wir erwarteten drei, vier Rückmeldungen, als wir zur Vorbereitung dieses Beitrags nach ein paar erfolgreich arbeitenden jungen Winzern fahndeten – und fanden uns postwendend mit einer Liste von 20 Namen wieder. Von den meisten haben Sie (und wir) wohl noch nie gehört – doch das wird sich schlagartig ändern!

Wir interessierten uns anschliessend für die Weine dieser jungen Frau- und Mannschaft und genossen vergnügt eine bunte Palette von Weinen sowohl aus bekannten grossen, aber auch einfacheren Lagen, viele preiswert und nur wenige nicht ganz billig. Dabei notierten wir erfreut den beispielhaft hohen technischen Stand. Erstaunlich ist das nicht. Viele Vertreter der neuen Winzergeneration haben ein Diplom als Agraringenieur oder Önologe in der Tasche, Lehr- und Wanderjahre im Ausland absolviert oder in Spitzenunternehmen der Côte d’Or gejobbt. Sie wurden nicht nur mit Weinbau gross, sie bildeten sich aus und weiter und lernten seriös und von der Pike auf ihr Handwerk. Was nicht heissen soll, dass es deren Müttern und Vätern am nötigen Rüstzeug gefehlt hätte. Natürlich gibt es unter diesen auch Autodidakten, die nach und nach die Umstellung vom Landwirt zum Winzer meisterten, doch viele haben ebenfalls ein Weinfachdiplom in der Tasche wie Nathalie und Gilles Fèvre oder Clotilde Davenne, die nach ihrem Önologiestudium als Weinmacherin bei Jean-Marc Brocard einstieg und erst nach und nach ihre eigene Domäne aufbauen konnte. Doch die Ansprüche an die neue Winzergeneration sind gewaltig gestiegen. Die Pioniere profitierten von Jahren, in denen vieles lief wie am Schnürchen. Die weltpolitische und wirtschaftliche Lage war relativ stabil und die Nachfrage beständig. Sie konnten nicht nur in Neupflanzungen investieren, sondern auch in modern eingerichtete Keller, wie sie unerlässlich sind zum präzisen Keltern weisser Weine. Sie brachten Mittel zum Schutz vor Spätfrösten auf und schienen auch dieses Problem in den Griff zu kriegen. Denn das Wetter schien gnädig gestimmt und der Klimawandel sogar willkommen, weil er auch und gerade in den etwas kühleren Lagen der AOCs Chablis und Petit Chablis für interessante Weine sorgte.

Doch das alles nahm ein jähes Ende. 2017, 2019, 2020 und 2021 wurde die Erntemenge trotz aller Hilfsmittel durch Frost oder Hagel stark beeinträchtigt. Einzig 2018 konnte eine mengenmässig normale Ernte eingebracht werden. Resultat sind gähnend leere Keller und unzufriedene Kunden, die nur ungern auf ihren Chablis verzichten. Alle hoffen auf 2022, das wenigstens gut begonnen hat.

Doch mit Hoffen und Beten kommt man nicht weiter. Es braucht neues Know-how und viel praktischen Einsatz. Spätfrost etwa kann man durch möglichst lang herausgezögerten Rebschnitt bekämpfen, durch Windmühlen und elektrische oder andere Heizeinrichtungen. Zwar gibt es auch Mittel zur Verminderung der Hagelschäden, doch ein einzelner Winzer kann sich die kaum leisten. Da ist Kollektivdenken angesagt. Eine weitere Herausforderung ist die Umstellung auf naturnahen Anbau, wie sie von Konsumenten gefordert wird, aber auch von der Vernunft. Doch Chablis ist nicht der Süden. Die oft steilen und mitunter stark lehmhaltigen Böden erschweren mechanische Rebarbeit, und trotz (oder gerade wegen) des Klimawandels mit seinen launischen Wetterjojos sind Bio und Biodynamie hier alles andere als selbstverständlich. Winzer der älteren Generation geben sich mit dem HVE-Zertifikat für hohe Umweltverträglichkeit zufrieden. Mit 14 Prozent Biofläche entspricht Chablis dem nationalen Schnitt. Jungwinzer wie die Brüder Lavantureux oder Julie Fèvre geben sich damit nicht zufrieden. Sie sind mit der Bio-Idee gross geworden und setzen sie mutig um. Julien Brocard zählt gar zu den grünen Pionieren des Burgund: Er arbeitet heute voll biodynamisch und biologisch. Die neue Winzergeneration (einige Vertreter porträtieren wir auf den nächsten Seiten, gefolgt von einer kleinen Selektion ihrer Weine) hat eine ganze Anzahl heisse Eisen im Feuer. Doch auch die besten Voraussetzungen, sich daran nicht die Finger zu verbrennen. 

David und Arnaud Lavantureux
Domaine Roland Lavantureux, Lignorelles

Die Lavantureux bestellen heute 21 Hektar in Chablis - Petit Chablis, Chablis, Premiers Crus wie Vau de Vey oder Vaudésir und eine Parzelle in der Grand-Cru-Lage Bougros. Nach seinem Weinbaustudium in Baune übernahm Arnaud (oben rechts) 2010 die Leitung des von Vater Roland 1979 gegründeten Weinbaubetriebs im stillen Dörfchen Lignorelles. Ein Jahr später, nach absolvierter Handelsschule und drei Jahren praktischer Arbeit im Wein stieg auch Bruder David in den Familienbetrieb ein. Die beiden Brüder verkörpern damit perfekt den erfolgten Generationenwechsel in Chablis.

Arnaud Davenne
Domaine Clotilde Davenne, Préhy

«Arnaud hat anderswo gearbeitet, doch vor zehn Jahren ist er hier eingestiegen und trägt sich mit dem Gedanken, die Domäne zu übernehmen», sagt Clotilde. Zu tun gibt es genug! Besucher empfangen, zwei Ferienwohnungen und ein Studio verwalten und die Um- und Ausbauarbeiten überwachen, die Mutter Clotilde in die Wege geleitet hat. «Meine Mutter hat Hausecke um Hausecke erworben und auch den Keller schrittweise ausgebaut, zur Ruhe kommt sie noch lange nicht», bestätigt Arnaud lächelnd. 

Claire und Marine Race
Domaine Denis Race, Chablis

Claire (oben links) und Marine Race zeigen stolz, wo überall in der weiten Welt heute die Weine ihrer 18 Hektar Chablis, Petit Chablis, Premiers und Grands Crus fassenden Domäne genossen werden! Sie haben die Gutsleitung 2021 übernommen, auch wenn die Eltern Laurence und Denis weiter im Hintergrund mitwirken. Claire arbeitet seit 2005 auf dem Gut und kümmert sich heute vor allem um den Weinbau und die eigentliche Weinbereitung. Marine, die ein paar Jahre lang als Musiklehrerin arbeitete, hat die administrative Arbeit übernommen und kümmert sich auch um den Verkauf und den Vertrieb.

Céline Chevallier
Domaine Chevallier, Venoy

Die Chevalliers entstammen einer alteingesessenen Familie von Winzern und Landwirten. Diese Tradition führten die Brüder Claude und Jean-Louis 1986 fort, Jean-Louis als Getreidebauer, Claude als Winzer. Der Weinbaubetrieb wird 1992 gegründet. 2018 treten sie die Gutsleitung an ihre beiden Kinder ab. Céline Chevallier ist die tüchtige Weinfachfrau, die sich heute mit viel Einsatz und Energie um die rund 16 Hektar Reben in Chablis kümmert. Unser Geheimtipp: ihr «einfacher» Chablis mit der Klasse eines Crus!

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