«Biodiversität sollte für alle wichtig sein»
Interview Joško Gravner, Grossmeister der Amphorenweine
Text: Christian Eder; Foto: M. Mocilnik
Francesco «Joško» Gravner gilt als der Ahnherr der Vini Naturali – der Natural Wines – in Italien. In den Hügeln des Collio, diesseits und jenseits der italienischslowenischen Grenze, bewirtschaftet er Rebberge streng nach biodynamischen Grundsätzen und lässt seine Weine monatelang in Amphoren aus dem Kaukasus mazerieren. Mit Blick auf Reben, Wälder und kleine Dörfer erzählt er uns bei einem Glas seines Ribolla Gialla aus dem aktuellen Jahrgang 2014, was das Collio und seine Weine so besonders macht.
Joško Gravner, Sie wurden schon als «der grosse Meister der Amphorenweine» bezeichnet. Ist dieser Titel zutreffend?
Ich bin ein Mensch, der die Forschung zum Motor seines Lebens macht, und dies erfordert eine Fähigkeit zum kontinuierlichen Lernen und Verbessern. Nichts ist ein für alle Mal selbstverständlich, und bei Weinen in Amphoren gibt es noch viel zu entdecken. Auch für diejenigen, die sich wie ich schon viel mit dieser Art der Weinbereitung beschäftigt haben.
«Wir sind zu spät geboren, um beim Wein noch etwas Neues zu erfinden.»
Sie haben vor mehr als 20 Jahren begonnen, den Wein in tönernen Amphoren zu mazerieren, wie es in Kakheti im Kaukasus bis heute geschieht. Was hat die Amphore, was andere Behältnisse nicht haben?
Eine natürliche Harmonie. Aber erst die moderne Önologie hat mir geholfen zu verstehen, warum die Alten recht hatten. Wir sind zu spät geboren, um beim Wein noch etwas Neues zu erfinden. Es ist ja nicht möglich, dass die Menschen sich 5000 Jahre lang vertan und den Wein in den falschen Behältnissen – den Amphoren – vergoren haben.
Was sind die Besonderheiten der Weinberge des friulanischen Collio und des slowenischen Brda (der slowenische Teil des Collio, Anm. d. Red.) im Vergleich zu anderen Gebieten?
Collio ist ein hügeliges Gebiet, in dem die Reben und alle anderen Pflanzen mehr Arbeitsaufwand erfordern und keine grossen Erträge liefern. Das bedeutet, dass man an der Qualität der produzierten Früchte – und damit der produzierten Trauben – arbeiten muss. Im Vergleich zu Flachlandgebieten ist es anstrengender, gerade auf Terrassenlagen, aber die Ergebnisse sind die Mühe wert. Was mir allerdings Sorgen macht, ist, dass wahrscheinlich in fünf Jahren der Collio zu 90 Prozent mit Maschinen bewirtschaftet werden wird. Meiner Meinung nach ist das ein Desaster für die Qualität. Schon jetzt kommen auf den terrassierten Lagen zum Teil Maschinen zum Einsatz. Die industrielle Produktion wird auch vor der Ernte nicht haltmachen. Und natürlich wartet dann auch niemand mehr wie wir zehn Jahre, damit sich der Boden vor einer Neupflanzung erholen kann.
Ihr Gut umfasst 18 Hektar Weingärten, eingebunden in 32 Hektar einer hügeligen Landschaft mit Bäumen, kleinen Teichen und Wiesen, die vielen Spezies Unterschlupf bietet: Biodiversität scheint Ihnen sehr wichtig zu sein, wenn man sieht, wie viel Platz Sie der Natur lassen. Warum?
Biodiversität sollte für alle wichtig sein, nicht nur für Joško Gravner und Gravners Weine. Es scheint, dass viele endlich erkennen, wie wichtig sie ist – in allen Bereichen. Nur so ist auch das Ergebnis in der Flasche in Harmonie. Das ist natürlich eng mit der Philosophie Rudolf Steiners verbunden, dem Einfluss des Mondes, der Biodynamik... Auch dabei ist die Harmonie essenziell.
Die Biodynamik prägt auch Ihr Leben, nicht nur Ihre Arbeit?
Ja, es sind Regeln, die überall Gültigkeit haben.
Ein anderer wichtiger Aspekt Ihrer Lebensphilosophie ist die Ehrlichkeit, die Ihnen Ihr Vater beigebracht hat, sagten Sie einmal. Wie drückt sich das im Wein aus?
Indem man ernsthaft tut, wofür man sich entschieden hat, tut, was man sagt, und sagt, was man tut, ohne Ausflüchte und Abkürzungen, die kurzfristig bequem sein können, sich aber früher oder später als das erweisen, was sie sind. In meiner Jugend habe ich viel von meinem Vater gelernt, dann bin ich meinen eigenen Weg gegangen, und das ist gut so: Heute bin ich zufrieden. Natürlich manches Jahr etwas weniger, manches Jahr etwas mehr. Wenn man jedes Jahr völlig zufrieden wäre, weiss man, dass etwas nicht stimmt.
Ihr Heimatort Oslavia gilt als Herzstück der weissen Ribolla Gialla, die im Collio und im slowenischen Brda gerne für lange mazerierte Weine verwendet wird. Wie sehen Sie das Entwicklungs- und Alterungspotenzial eines Weins mit langer Mazeration?
Diese Weine sind in ihrer Entwicklung etwas langsamere Weine, sie brauchen Zeit für die Verfeinerung und dann natürlich auch eine sehr lange Reifung. Aber durch den Prozess der langen Mazeration extrahieren sie auch die Inhaltsstoffe der Traube. Dafür muss diese perfekt und gesund sein. Deshalb sind die sorgfältige Arbeit im Rebberg und die Gesundheit der Pflanzen die wichtigsten Aspekte. Dazu kommen der Respekt vor der Natur und die Biodiversität.
Das Wort Orange Wine als Bezeichnung für Ihre lange mazerierten Weine aus weissen Trauben schätzen Sie aber nicht...
Orange bedeutet für mich oxydiert, und das sind meine Weine nicht. Ihre Farbe ist ganz klar «Ambrato», bernsteinfarben. Es sind natürliche Weine – Natural Wines, wenn man so will. Auch wenn eigentlich alle Weine und sonstigen Lebensmittel «natural» sein müssten. Aber um natürliche, gesunde Weine zu machen, braucht man zum Beispiel auch Schwefel: Jede Frucht, die Zucker hat und fermentiert, entwickelt Schwefel. Daher ist Schwefel, in einem natürlichen Rahmen und in natürlichen Dosen verwendet, etwas Gutes, auch in unseren Weinen. Aber generell gilt: Der Wein muss so einfach wie möglich sein, ohne grosse Maskerade.
Der rote Gegenpart zur Ribolla Gialla in Ihren Rebbergen soll in Zukunft Pignolo sein. Warum?
Weil beides Sorten sind, die hier seit Jahrhunderten heimisch und naürlich sind. Ribolla Gialla ist die Traube, mit der ich aufgewachsen bin, und die auf diese Hügel an der Grenze zwischen Italien und Slowenien gehört. Ribolla Gialla, die gelbe Ribolla, heisst sie wegen ihrer goldgelben Schale, die sie gegen September, Oktober, wenn sie vollreif ist, erreicht. Pignolo ist eine der vier roten autochthonen Trauben des Friaul: Sie vereint die Tannine des Nebbiolo mit der Finesse des Pinot Nero. 1998 haben wir sie ausgepflanzt und seitdem bringt sie von Jahr zu Jahr bessere Ergebnisse. Pignolo ist eine einzigartige Traube: Bei anderen Rebsorten nimmt die Qualität ab, je mehr man produziert, bei Pignolo nicht. Die Qualität ist immer hervorragend – bei wenig Erntemenge ebenso wie bei viel.
Ihr Pignolo – der Rosso Breg – kommt allerdings erst nach 15 Jahren auf den Markt.
Der erste Jahrgang unseres Rosso Breg (reinsortig aus Pignolo, Anm. d. Red.) war 2003. Damals war es noch ein Vino da Tavola ohne Jahrgang. Erst ab 2009 durften wir den Jahrgang aufs Etikett schreiben. Pignolo braucht lange Zeit – wie alle meine Weine –, um Balance zu erlangen.
Der Rosso Breg ist aber nicht Ihr einziger Rotwein. Es gibt immer noch den Rosso Rujno, das heisst Merlot mit etwas Cabernet Sauvignon, einst Ihr rotes Flaggschiff.
Ja, 1400 bis 1500 Flaschen produzieren wir davon, aber die Reben wurden in den 1960er Jahren gepflanzt, sind also am Ende ihres Lebens. Wir werden sie durch Pignolo ersetzen. Bei uns heisst das allerdings, dass wir, nachdem wir die alten Reben entfernt haben, den Boden erst zehn Jahre ruhen lassen, bevor wir neu pflanzen. Alles braucht seine Zeit.
Mateja Gravner: Wenn wir sagen, dass wir den Rujno nicht mehr produzieren, heisst das nicht, dass es ihn ab nächstem Jahr nicht mehr gibt: Wir sind nur sehr langsam. 2022 wurde gelesen, und wenn mit der Mazeration und Reife alles passt, wird er ab 2036 oder 2037 verkauft.
Apropos 2022: Wie wird der Jahrgang, der bereits in Ihren Amphoren mazeriert?
2022 war ein ganz besonderes Jahr: Wir hatten Probleme mit der grossen Hitze und dem völligen Fehlen von Regen im Juli, aber was uns wirklich in Schwierigkeiten brachte, waren die intensiven und starken Herbstregen, die den letzten Teil der Reifung beeinträchtigten. Wir haben es jedoch geschafft, eine Portion sehr schöner Trauben nach Hause zu bringen, mal sehen, wie sie sich entwickeln. Aber das ist ein Trend: Die jüngsten Jahrgänge sind alle unterschiedlich und erfordern viel Aufmerksamkeit ohne jegliche Möglichkeit der Prognose des Arbeitsaufwandes, geschweige denn der Qualität.
Und auch der Quantität?
2011 war der letzte Jahrgang, in welchem wir unsere bis dahin übliche Menge von 32 000 Flaschen produziert haben, schon im Jahr 2012 gab es durch Regen 40 Prozent weniger Menge, seitdem haben wir nur mehr zwischen 18 000 und 20 000 Flaschen produziert. Wir arbeiten sehr akribisch: Wir haben nur jeweils sieben Triebe pro Pflanze, und davon schneiden wir noch die Hälfte ab. Noch haben wir nicht die Rebflächen, aber wir würden gerne die Menge erhöhen.
Was war der beste Jahrgang der vergangenen Jahre und warum?
Das ist schwer zu beantworten. Unsere Weine reifen sehr lange, und das Ergebnis am Ende ist oftmals überraschend.
Hat sich der Klimawandel bereits auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Wir wissen nicht, wie gross der Einfluss des Klimawandels wirklich ist oder wie wichtig die Tatsache ist, dass jeder einzelne Jahrgang seine eigene Geschichte hat und einen Grossteil der bis dahin gesammelten Erfahrungen zurücksetzt. Was uns momentan am meisten auf die Probe stellt, sind die Regenfälle im Herbst, die sich viel stärker auswirken als das, was im Frühling und Sommer passiert. Wir haben fast immer im Oktober oder gar im November gelesen, aber inzwischen ernten wir bereits manchmal im September.
Aber der Klimawandel ist nicht wirklich das Problem: Es sind mehr die Krankheiten, welche die Reben bedrohen. Wenn die Rebe schon krank ist, kann man mit dem Schnitt auch nichts mehr retten. Das beginnt allerdings bereits in der Rebschule: Man dürfte aus Prinzip keine Rebe kaufen, die in der Rebschule aufgepfropft wurde. Daher wäre es ideal, alles selbst zu machen, aber das ist natürlich meist nicht möglich. Doch ich habe zum Glück einen hervorragenden Agronomen, dem es nichts ausmacht, wenn er sich seine Stiefel schmutzig macht.
Sie haben mir mal erzählt, dass Sie nur Ihre Weine trinken, die anderen aber probieren. Hat sich das inzwischen geändert?
Nein, manchmal trinke ich auch die Weine anderer Leute. Es ist immer schön, jemanden zu finden, der es schafft, gute Ergebnisse zu erzielen. Wie der leider verstorbene Gianfranco Soldera. Seine Brunelli kann ich mir allerdings nicht jeden Tag leisten.
Abschliessende Frage: Was ist guter Wein?
Guter Wein ist ein Wein, der mit Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit hergestellt wird und nicht nur die Umwelt, sondern auch alle Menschen, die dort leben, respektiert. Se il vino non tocca il cuore e l’anima, è solo una bibita – Wenn der Wein nicht das Herz und die Seele berührt, ist er nur ein Getränk.