Trinken, kochen, essen: Raclette, Trockenfleisch, Safran…und so viel mehr!
Wallis
Text: Ursula Heinzelmann, Foto: StockFood / Michael Wissing
Fruchtbare Ebene, sonnige Hänge, mächtige Gipfel– von Vouvry am Genfersee über Sion und Sierre bis nach Visp ziehen sich die Weinberge entlang der Rhone, steigen die terrassierten Hänge hinauf bis zum höchsten Weinberg Europas; ein enormer Reichtum an alten Sorten sorgt für schmeckbare Geschichte im Glas.
Der Rieben in Visperterminen im Val d’Anniviers gehört zweifellos zu den spektakulären Weinbergen; von 650 Metern zieht er sich in unzähligen schmalen Terrassen bis auf 1150 Meter. Doch er stellt auch exemplarisch die Geschichte des Wallis dar. Da sind zum einen die Menschen: seit Langem sind sie Teil dieser Landschaft, wie Keltengräber aus dem ersten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung belegen. Und zum anderen natürlich die Weinreben, die sich ebenso lange nachweisen lassen. Die Trockensteinmauern in den Weinbergen, im gesamten Wallis heute auf eine Länge von 3000 Kilometer geschätzt, verbildlichen, wie mühsam die Bauern hier ihr Auskommen fanden, den Bergen den Wein förmlich abtrotzen mussten und müssen.
Gemeinschaft trotz Sprachgrenze
Durch das Gebiet mag sich eine Grenze zwischen dem vom Süden aus der Provence besiedelten, französischsprachigen Unterwallis und dem Oberwallis ziehen, in dem sich von Norden kommend Alemannen niederliessen und das Walliserdeutsch prägten, und vielleicht herrscht Richtung Genfersee tatsächlich eine südlichere Leichtigkeit als näher am Rhonegletscher. Doch letztendlich ist allen immer bewusst, dass sich hier nur gemeinsam überleben lässt. So wie der Rieben in Genossenschaft gepflegt wird, um alle gemeinschaftlich mit Wein zu versorgen, sind auch im gesamten Wallis weniger als ein Fünftel der Winzer Vollzeit im Weinberg tätig.
Heute ziehen die Bauern nicht mehr zwischen dem fruchtbaren, aber ständig von den Fluten des Flusses bedrohten, sumpfigen Talgrund und den Bergweiden hinauf und hinab, heute liefern Staudämme längst Energie, gibt es Eisenbahn- und Autotrassen, haben sich moderne Industrie, Handel und Tourismus etabliert. Die Verbundenheit zwischen Mensch und Landschaft, die ist dennoch geblieben. Vor hundert Jahren wurden viele internationale Sorten gepflanzt, doch heute haben die alten Charaktertrauben genauso wie Eringerkühe und Schwarznasenschafe längst ein Revival erfahren, muss das Alte nicht mehr zwangsläufig dem Neuen weichen. Traditionelle Holzbauten werden erhalten, während hochmoderne Architektur wie der Oenoparc in Sion entsteht. Der (kommunale!) Gletscherwein wird gepflegt, während Fendant, Pinot Noir und Syrah verdient hohe Ehren erfahren.
Das bietet eine Bandbreite an Aromen im Glas, mit denen sich die Geschichte des Wallis, der Täler, Hänge und Gipfel, aufs Spannendste erschmecken lässt. Der Fendant ist in seiner diskreten Art nicht nur ein grossartiger Terroir-Übersetzer, sondern auch prädestiniert für die ersten Frühlingsanmutungen. Und wenn Ihnen nach dem Werkeln in der Küche nach Muskulöserem ist, öffnen Sie einen Petite Arvine – und stossen auf die beharrliche, harte Arbeit der Walliser an.
Das Wallis ist aber auch…
Eine beeindruckende Vielfalt von über 50 anderen, teils sehr alten Rebsorten! Heida beziehungsweise Païen, der Savagnin des Jura, lässt sich im Rieben bis 1586 zurückverfolgen. Seine aromatische Bandbreite reicht von sehr feinen Rosen und Birnen bis zu «wilder» Passionsfrucht. Humagne Blanche und Rèze (oder Resi) sind bereits 1313 urkundlich erwähnt, heute ziemlich selten und beeindruckend. Humagne Blanche (nicht verwandt mit der Humagne Rouge!): blumig, fein und elegant. Rèze: steinig und bergluftklar, an ganz frische Manzanilla erinnernd. Im Val d’Anniviers kann man ihn im Verschnitt mit Ermitage als Gletscherwein erleben, ein Gemeinschaftswein, der nicht vermarktet wird, sondern Ausdruck der Eigenverwaltung der Kommune ist.
Amigne ist auch rar, aber deutlich eleganter. Mit viel oranger Zitruszeste neben der Bergluftsäure, die Traube wird meist spät und sehr reif gelesen und zu mehr oder weniger süssen Weinen ausgebaut. Johannisberg, also Sylvaner, fällt mit seinen Mandel- und Haselnussnoten im Wallis besonders weinig aus, während die Marsanne, die wie die Tain L’Hermitage hier Ermitage genannt wird, in den besten Lagen trockene Weine mit Trüffel- und Honigaromen hervorbringt.
Ganz anders, ganz leicht der Œil de Perdrix, aus Pinot Noir mit sehr kurzem Maischekontakt zu Rosé gepresst, mit feiner Beerenfrucht in ebenso vielen unterschiedlichen Stilistiken wie der Dôle. Diese rote Cuvée aus hauptsächlich Pinot Noir und Gamay ist der «Brotwein» des Wallis, von trinkig bis kraftstrotzend. Der Cornalin oder Rouge du Pays bewegt sich auf ganz anderem Niveau, ist lebhaft und kraftvoll, mit Nelken- und Schwarzkirscharomen. Ebenso alt, aber eher leicht tritt der florale, erdige Humagne Rouge auf, und schliesslich bieten die «Newcomer»-Stars Syrah und Pinot Noir exzellentes Potenzial für fruchtbetonte, mineralische Charakter-Weine.
Als wäre das alles nicht schon mehr als genug, gibt es dazu noch die edelsüssen Weine, mit viel Liebe in kleinen Mengen erzeugt, Ausnahmeweine wie Petite Arvine Flétri und Marsanne Grains Nobles, die Zeit brauchen und verdienen.