Trinken, kochen, essen: Linsen, Trüffel, Lamm… – und so viel mehr!

Rhônetal

Text: Ursula Heinzelmann,  Foto: StockFood/PhotoCuisine/Jean-Blaise Hall

Das Rhônetal – ganz vom Fluss bestimmt, mit unzählig vielen verschiedenen Facetten, Winzern, Rebsorten, Lagen, Weintypen – wird immer wieder von Gegensätzen geprägt: Nord und Süd, Kälte und Wärme. Von Vienne bei Lyon bis ins Camargue-Delta am Mittelmeer bietet es viel Vertrautes aus Syrah und Grenache aber auch seltene alte Rebsorten.

An der Rhône, die in ihrer vollen Länge von rund 800Kilometern das schweizerische Wallis mit dem Mittelmeer verbindet, liegen die Anfänge der Weinkultur auf heutigem französischen Boden. Die Römer meisselten einst Becken in den Felsen der Dentelles de Montmirail, des zerklüfteten Gebirgsmassivs östlich von Orange, um darin Trauben zu vergären, und tauften Gigondas nach der Jucunditas, der Freude. Die Rhône mit ihren vielen Nebenflüssen bot ihnen Zugang zum Landesinneren, erschloss sogar Atlantik und Ärmelkanal; sie diente als Handelsstrasse, obgleich die Schifffahrt damals beschwerlich war. Mit den Händlern drangen auch die Aromen und Gebräuche des Mittelmeers nach Norden vor. Es folgten viele andere, wie die Sarazenen einige Jahrhunderte später, die hier ebenso ihre Spuren hinterliessen wie in Spanien. Die politischen und religiösen Konflikte des Mittelalters mit ihren Feudalkriegen sorgten für trutzige Mauern und Paläste, die im 14. Jahrhundert in Avignon residierenden Päpste kurbelten durch den Konsum von vorzugsweise lokalen Gewächsen die Weinwirtschaft an.

Eisig unerbittliche Polarkraft

Die Geschichte des französischen Rhônetals als komplex zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung, und jeglicher Versuch, die Region als einheitlichen Kulturraum zu beschreiben, ist zum Scheitern verurteilt. Immer wieder zerfällt sie in Nord und Süd, kontinental und mediterran. Die kalten Winde aus dem Norden, die ziehen sich allerdings bis ganz in den Süden – wer je im Februar in Arles oder Avignon bereits auf erste laue Mittelmeerlüfte gehofft und dann die eisig unerbittliche Polarkraft des trockenen «Meisters» erlebt hat, weiss, warum die Reben in allen möglichen Winkeln Schutz vor ihm suchen.

Überall wird gerne und ausführlich gegessen

Menschen und Kultur haben sich gleichermassen in diese Landschaft eingegraben, viele einzelne Individualisten, die ihre Nischen gebaut haben und immer weiter bauen, obwohl sich längst Strassen (die Autoroute du Soleil!) und Bahntrassen entlang der Rhône ziehen. Jeder sucht auf seine Art Schutz und übersetzt seine ganz eigene Situation ins Glas – und auf den Tisch. Jede der unzähligen Appellationen ist daher auf ihre Art die Abbildung von individuellen Lösungen, um in und mit der Natur nicht nur zu existieren, sondern möglichst gut zu leben, von den Eichenwäldern, Pfirsich- und Nussbäumen im Norden bis zur Garrigue, den Pinien, Mandeln und Oliven, die im Süden neben den Reben wachsen. Die eine Küche des Rhônetals gibt es ebenso wenig wie den einen typischen Wein – aber überall wird gerne und ausführlich gegessen! Im Norden noch beinahe wie im Jura und in Lyon, im Süden grüsst die Provence. Das Beste daran: Für nahezu alles, was in der heimischen Küche in Topf und Pfanne landet, gibt es (mindestens) einen passenden Wein von der Rhône.

Das Rhônetal ist aber auch…

Über drei Viertel der erzeugten Weine sind rot, aber es lohnt sich unbedingt, nach den Weissweinen Ausschau zu halten. Viognier hatte lange Zeit in der Weinszene einen schlechten Ruf als säurearmer, alkoholisch-parfümierter Wein, bis der Spiess sich umdrehte und er cool und trendy wurde. Condrieu ist immer noch eher säurearm, bringt aber vor allem jung wunderbare Aprikosenaromen ins Glas und genügend Alkoholpower, um gewichtigen Partnern auf dem Teller Paroli zu bieten. Gereifter Château Grillet duftet ausserdem nach Veilchen… Ganz anders hingegen weisser Crozès-Hermitage (oder Hermitage, sein grosser Bruder für ganz besondere Anlässe) aus Marsanne und Roussanne, kraftvoll, nahezu ölig, und doch von einer ganz feinen, eigenen Nussigkeit. Clairette de Die von der Drôme gehört zu den ältesten Schaumweinen überhaupt, besteht zu einem grossen Teil aus traubigfruchtigem Muscat und ist ein wunderbar leichter «Ganz zum Schluss»-Schluck. Und dann natürlich: Rosé! Aus Tavel, mindestens ebenso gut, aber auch aus Lirac, vor allem aus Grenache und Cinsault, von gänzlich unkompliziert bis hin zu recht komplexen Gewächsen, die zuverlässig Sommerstimmung verbreiten und zum Essen extrem vielseitig einzusetzen sind.

Oft übersehen werden hingegen die aufgespriteten Süssweine der Rhône, der fruchtig-goldene Muscat aus Beaumes-de-Venise (der gereift als Rancio beziehungsweise Tuilé noch interessanter wird!) und der meist dunkle, äusserst schokoladen- und käsetaugliche Rasteau.

Schliesslich: die unglaubliche Vielfalt der Rotweine, die sich jeder zusammenfassenden Aufzählung ebenso entzieht wie das Gebiet als solches. Von den Spitzen-Syrah des Nordens, den eleganten Gewächsen der Côte Rôtie und der Aromenpower der Hermitage, bis zu der würzigen Fülle der Crus im Süden – und dazu die vielen individuellen Stile an Côtes du Rhône Villages, meist noch deutlicher charaktervoller als der grösste Teil an Côtes du Rhône. Probieren, experimentieren, geniessen.

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