Kochen und Essen zu Timorasso

Trinken, kochen, essen: Kürbis, Trüffel, Agnolotti… und so viel mehr!

Text: Birte Jantzen / Fotos: gettyimages / Claudia Totir

Abgelegen, verwunschen und doch ein historischer Ort der Begegnung, Teil des Piemont und zugleich nach Mailand und der Lombardei sowie Ligurien und dem Meer orientiert, bergen die Colli Tortonesi ungeahnte alte Schätze. 

Einer davon ist Timorasso, eine einheimische weisse Rebsorte ganz eigener Art, deren Weine als anspruchsvoll und gewöhnungsbedürftig gelten, und dann doch, wie so vieles, das es sich erst zu erarbeiten gilt, ebenso verführerisch sind wie die Landschaft, in der sie heute wieder vermehrt entstehen. Die Colli Tortonesi, die Hügel südöstlich der Stadt Tortona, ziehen sich von der Ebene des Po bei Alessandria die Täler seiner Seitenflüsse entlang bis in den ligurischen Apennin. Neben steilen Hängen mit dichten Eichen- und Kastanienwäldern sind sie vor allem von sanfter Natur: Die Ufer von Scrivia, Borbera, Ossona, Grue und Curone bieten allerbeste Bedingungen für duftende Walderdbeeren, leuchtende Kirschen und aromatische Melonen und sind bekannt für Zwiebeln, Sellerie und Kichererbsen. Und für Trauben, die hier zweifellos schon sehr lange an- und ausgebaut werden.

«Ich verteidige die Originalität dieser Rebe an ihrem Ursprung... die Genetik gehört der Menschheit, aber die Landschaft gehört denen, die darin leben, sie lieben.»

Walter Massa, Derthona-Winzer und Retter des Timorasso

Sowohl der vor über 2000 Jahren in Tortona gegründete römische Militärstützpunkt als auch das nur wenige Jahrhunderte jüngere Bistum, beide zu ihrer Zeit unter dem alten Namen Derthona bekannt, werden für entsprechende Strukturen gesorgt haben. An diesem Verkehrsknotenpunkt begegneten sich Händler und Soldaten auf dem Weg von Venetien, der Emilia-Romagna und Mailand nach Genua, brauchten Unterkunft, Speis und Trank nach langen, oft beschwerlichen Tagen entlang der kleinen, unbefestigten Strassen. Die Dialekte der Täler zeugen bis heute von der kulturellen Vielfalt, und die abgeschiedene Lage der Neuzeit hat ein harmonisches Miteinander von Umwelt und Landwirtschaft bewahrt, das heute von grosser Seltenheit ist. Weinberge, Obstgärten und Getreidefelder bilden mit Wäldern und Naturweiden ein Mosaik von enormer Artenvielfalt, das noch dazu durchsetzt ist von Kirchen, Schlössern und Villen. Alles zusammen ist von ungeschminkter, bodenständiger und bis heute gelebter Anmut und liesse sich insgesamt als nahezu heile Welt bezeichnen – die erst seit wenigen Jahrzehnten wieder von aussen wahrgenommen und geschätzt wird.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Timorasso. Leonardo da Vinci liebte ihn, noch Ende des 19. Jahrhunderts wurde er von italienischen Ampelographen als edle Rebsorte bezeichnet, die auch für Tafeltrauben sehr begehrt war. Doch dann, nach der Reblaus: Dornröschenschlaf, bis Ende der 1980er Jahre wurden die Colli Tortonesi in Sachen Wein vor allem mit der roten Barbera assoziiert. Was sich im Grunde durchaus erklären lässt, weil der «timuràs» alles andere als einfach und robust im Anbau ist, nämlich fäulnisanfällig, leicht verrieselnd und ungleichmässig reifend – und doch in den richtigen Händen zu grossem Wein wird, den zu erschmecken sich allemal lohnt.

Geschichtlicher Hintergrund

Vor dem Aussterben bewahrt

Ende der 1980er Jahre wurde der Timorasso von einigen Winzern, allen voran Walter Massa, zu neuem Leben erweckt. «Unsere Höhenlage, unser Mikroklima und unsere Böden sind eher für weisse Trauben geeignet, aber die Nachfrage des Marktes führte dazu, dass die Winzer hier aus rein kommerziellen Gründen rote Sorten anpflanzten», sagt Massa und trieb zugleich mit der Qualität in den Flaschen und durch die Bezeichnung Derthona auch ein neues Bewusstsein für die Herkunft voran.



Klassische Mariage: Vitello tonnato

Wer kennt sie nicht, die Vorspeise aus dem Piemont, diese Kombination aus kaltem Braten und Thunfisch, bestreut mit Kapern?

Wie viele eher schlichte Gerichte steht und fällt dieses Gericht mit den Zutaten und der Konzentration: Nicht Roastbeef, sondern in gut gewürzter Gemüsebrühe und Weisswein gekochtes, dünn aufgeschnittenes Kalbfleisch muss es sein, langsam gegart und im Sud erkaltet. Die Sauce: richtig gute Mayonnaise mit richtig gutem Thunfisch püriert. Die Kapern: nun, richtig gute Kapern. Dann tut der Timorasso aus den Colli Tortonesi sein Übriges dazu!

Dazu: Timorasso aus den Colli Tortonesi

Die mineralische und zugleich florale Art belebt die feinen Aromen auf dem Teller wie ein Tropfen frische Zitrone, zugleich kommt die reife Säure gut mit der Mayonnaise zurecht.

Neue Mariage: Steak-Tatar

Eigentlich ist auch rohes Rindfleisch, das mit Eigelb und einer Vielfalt von Zutaten gewürzt wird, ein Klassiker, der in der letzten Zeit ein Revival erfahren hat.

Sehnenfrei und von bester Qualität soll das Fleisch sein, fein und ganz frisch gewolft oder – noch besser– mit dem Messer geschnitten. Neben Eigelb, Salz, Pfeffer, Paprika und Cayenne gehören Zwiebelwürfel und Kapern dazu, manche veredeln auch mit frisch gehobelter Trüffel, servieren Röstbrot, Pommes frites oder Kartoffelchips dazu. So oder so ist gereifter Timorasso aus Derthona ein standesgemässer Begleiter.

Dazu: gereifter Timorasso aus Derthona

Nach einigen Jahren bringt der Wein seine ganze Komplexität zum Ausdruck, zeigt Haltung, Rückgrat und Gelassenheit und verleiht einem Steak-Tatar Sterne-Niveau.

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