Kochen und Essen mit Tessiner Merlot

Trinken, kochen, essen: Polenta, Kastanien, Zincarlìn…und so viel mehr!

Text: Ursula Heinzelmann / Foto: GettyImages / AnastasiaNurullina 

Chiasso, Lugano, Locarno. Palazzi, Lido, Lago. Kunst und Architektur, von antik bis futuristisch, aber auch: enge Bergtäler und hohe Gipfel, Wälder, Weiden und geschwungene Steinbrücken über kristallklare Flüsse. Der Blick reicht weit nach Süden, über die Seen bis zum Apennin. Italianità auf Schweizer Art.

Es ist gar nicht so einfach, beim Tessin nicht ins Schwärmerische zu verfallen. Denn zu allem Überfluss hat der südalpine Schweizer Kanton neben Palmen und Zypressen auch Wein zu bieten. Seit der Eroberung durch die Römer vor weit über 2000 Jahren wogte die Geschichte hier oft auf heftigste Weise, Habsburg, Mailand und die Eidgenossen umkämpften den voralpinen Landstrich, und die politische Orientierung nach Norden, zur Schweiz, war 1803 keinesfalls einfach oder problemlos. Doch heute steht diese überaus abwechslungsreiche Region für Lebensart und lädt dazu ein, es sich hier auf mannigfaltige Art gut gehen zu lassen. Seeufer und hohe Berge locken, während das Gebirgsklima einerseits und mediterrane, beinahe subtropische Wärme andererseits faszinieren. Hier gibt es mondänen Trubel, aber auch verträumte Einsamkeit.

«Die besten Tessiner Merlots sind Weine aus einem Guss; einfach, aber nicht simpel; profiliert, aber nicht geltungssüchtig.»

Martin Kilchmann, Schweizer Weinpublizist

Der Luxus der Wahl ist allerdings ein Phänomen der Neuzeit. In den engen Bergtälern war das Leben hart; die Böden der den Hängen mühsam abgerungenen Terrassen waren karg. Durch die auf römisches Recht zurückgehende Realteilung wurden die Parzellen zudem immer kleiner. Landflucht und entvölkerte Bergdörfer sind hier beileibe kein Phänomen der Gegenwart. Ab dem 17. Jahrhundert setzten richtiggehende Auswanderungswellen ein, vor allem nach Amerika, und noch im 19. Jahrhundert verkauften notleidende Bergbauern ihre Kinder als Arbeitskräfte ins reiche Mailand. Die Küche war entsprechend ärmlich: Für weite Teile der Bevölkerung stellten Polenta aus Hirse und vor allem Kastanien lange Zeit die wichtigsten Grundnahrungsmittel dar, Fleisch hatte Seltenheitswert. Heute wird die Mazzafam, eine Rösti aus gekochten Kartoffeln mit Maismehl, mit Butter und Käse angereichert, früher war sie wortwörtlich eine «Hungertöterin».

Wein, den gab es mehr oder weniger im ganzen Gebiet, ein paar Stöcke hier, ein paar dort, für den Eigenbedarf, aus vielen lokalen Sorten, die selten zu qualitativen Höchstleistungen getrieben wurden oder dazu auch gar nicht in der Lage waren. Aus Amerika eingeschleppte Pilzkrankheiten und die Reblaus wüteten hier trotzdem ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde durch kantonale Initiativen gezielt nach strukturierter Abhilfe geforscht und letztendlich quasi alles auf eine Karte beziehungsweise Rebsorte gesetzt: Merlot.

Es soll dabei nicht überraschen, dass die Umsetzung dieses Schulterschlusses einige Jahrzehnte in Anspruch nahm, bis in die 1940er Jahre, als der Wein seinen ganz eigenen, südlichen Charakter entwickelte und sich Mittel und Wege suchte, auch in dieser Einigkeit zu stilistischer Vielfalt zu finden. Was ganz praktisch bedeutet – ob am eigenen Tisch oder im Restaurant, in einem rustikalen Grotto oder im eleganten Lido-Restaurant, ob Sommer oder Winter: Ein passender Merlot di Ticino findet sich eigentlich immer.

Weinbau im Tessin

Beileibe nicht nur und immer schon Merlot

Oidium, Peronospora und Reblaus wüteten ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch im Tessin und führten schliesslich zur nahezu vollständigen Erneuerung des Weinbaus mit dem Merlot als dominierender Sorte, die 1906 ihre Premiere im Gebiet hatte. Doch einige der alten lokalen Sorten gibt es (neben etwas Pinot Noir für die Lagen über 450 Metern und verschwindend wenig weissen Sorten) bis heute. Im gebirgigen Sopraceneri im Norden wachsen die Bondola und ihre Spielart, die Bondoletta. Beide bringen säurefrische, nach Veilchen duftende, hellfarbige, leichte Rotweine hervor, die reinsortig Seltenheitswert haben, recht rustikal ausfallen können und traditionell mit Barbera, Bonarda und Freisa verschnitten als Nostrano oder Colli di Ticino auf den Markt kommen.



Klassische Mariage: Jakobsmuscheln im Speckmantel

Jakobsmuscheln bringen zu ihrer marinen Mineralität eine feine Süsse mit und lassen sich mit einer dünnen Scheibe durchwachsenem Speck umwickelt besonders schonend garen.

Pfanne oder Grill sollten dafür gute Hitze haben, damit der Speck schnell beinahe knusprig brät, während die Mollusken einen möglichst grossen glasigen Kern behalten. Beides zusammen harmoniert bestens mit der weichen, runden Frucht eines Rosato di Merlot aus dem Tessin. Bei diesen leuchtenden Weinen gibt es nur einen minimalen Kontakt von Most und Traubenschalen, meist findet kein malolaktischer Säureabbau statt, und der Ausbau erfolgt im Stahltank, um viel Frische ins Glas zu bringen.

Dazu: Rosato di Merlot Ticino

Ergänzt die feine, marine Süsse der Jakobsmuscheln durch rote Beerenfrucht und viel Frische, bringt aber auch ausreichend Körper als Gegenüber für den Speck mit, ein perfekter kleiner Zwischengang.

Neue Mariage: Peking-Ente

Um die mit Honig und Essig glasierte, knusprig gebratene Ente zieht sich ein ganzes Zeremoniell, zu dem dünne Teigfladen, frische Gurkenstreifen, Frühlingszwiebeln und Hoisin Sauce gehören.

Die Zubereitung ist zuhause zugegebenermassen ausgesprochen aufwendig und verlangt einiges an Erfahrung! Viel einfacher: ein gutes Restaurant aufsuchen und den passenden Wein mitnehmen, und zwar weissen Bianco di Merlot. Der entsteht durch den Saftablauf sowie eine sehr schonende Pressung und entlockt den roten Trauben als fertiger Wein im Glas Aromen, die an Honig, Zitrusfrüchte und vor allem Birnen erinnern. Beinahe ein Drittel der im Tessin produzierten Merlots wird heute so ausgebaut.

Dazu: Bianco di Merlot Ticino

Seine weiche Säure harmoniert gut mit den leicht süsslichen Aromen von Ente und Sauce, die feinen Zitrusnoten unterstreichen die Frische der Gurken, insgesamt fügt er sich ein und ergänzt diskret, ohne dabei ins Hintertreffen zu geraten.

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