Kochen und Essen zu Weinen aus Tokaj

Trinken, kochen, essen: Gulasch, Nudeln, Mohn…und so viel mehr!

Text: Ursula Heinzelmann, Fotos: gettyimages / MarianVejcik

Hinter den sieben Bergen… nein, vor den Bergen, im äussersten Nordosten Ungarns, auf altem Vulkangestein liegt die Zauberwelt des Tokajers. Dessen Erwähnung wird viel zu oft mit «süss» assoziiert und viel zu selten mit Weinen, die sich mit grossem Vergnügen zum Essen geniessen lassen.

Die sprichwörtlichen Berge heissen Zemplén und sind längst erloschene Vulkane und Ausläufer der Karpaten. Hier ziehen sich die Reben auf den verwitterten Tuffböden seit Jahrhunderten die Hänge hinauf, trotzen dem heissen Sommer mit tiefen Wurzeln und reagieren auf die durch die nahen Flüsse Hernád, Theiss und Bodrog morgens feuchten, dann warmen Herbsttage regelmässig mit edelfaulen Trauben. Die Menschen freut’s seit vielen Jahrhunderten, und 2002 wurde Tokaj zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt. Der Weg war oftmals ein wortwörtlich steiniger.

«Stellen Sie sich grossen trockenen Riesling, hochwertigen Chenin Blanc von der Loire und Grand Cru Chablis in ein und demselben Glas vor: Das ist Furmint aus Tokaj.»

Martin Kössler, Weinhändler, Nürnberg

«Möge der silberne Regen des Nektars die Trauben von Tokaj schnell reifen lassen», heisst es in der ungarischen Nationalhymne. Doch dieses ganz besondere Terroir, das solche besonderen Weine und solch wahrhaft besondere Vielfalt an Stilen ermöglicht, ist beileibe nicht immer nur Segen, sondern auch Last, denn die Welt war und ist nicht immer bereit dafür. Die Geschichte des Tokaji, des Weins aus Tokaj, reicht weit zurück: Schon im 16. Jahrhundert ist hier Aszú, also Wein aus spät gelesenen und geschrumpften Trauben belegt. Der glich den damals hochgeschätzten Malvasia- Weinen, und der Markt für Tokajer wuchs rasch. Bereits um 1730 wurden die Weinberge klassifiziert, ein Novum, und man gewöhnte sich an einen gewissen Wohlstand – bis gegen 1885 die Reblaus auch hier einfiel, der Erste und dann der Zweite Weltkrieg über Land, Leute und Reben fegten und die politischen Verhältnisse sich drastisch änderten.

Sozialismus und Kommunismus boten alles andere als gute Voraussetzungen für besondere, grosse Weine. Nur wenige kleine Weinbauern ertrotzten sich Nischen mit wenigen Rebreihen, einem Pflug, ein wenig Obst und Ackerbau und erhielten so die Tradition, den Geist Tokajs am Leben, der bei manchen auf Ur-Ur-Ur- Ur-Ur-Urgrossväter von vor 18 Generationen und Adelstitel aus dieser Zeit zurückging. Für viele war die «sozialistische Fabrik» schwer zu ertragen, wo es im Kombinat darum ging, Trauben in möglichst grosser Menge anzubauen; die wahre innere Grösse der Winzer von Tokaj besteht darin zu akzeptieren, dass die Edelfäule ein Eigenleben hat und sich jedes Jahr anders entwickelt.

Seit 1989 haben viele Winzer zu diesen Wurzeln zurückgefunden, das Massenprodukt kommunistischer Zeiten hat sich wieder zum Spitzenwein gemausert. Der ist nach wie vor süss – aber nicht ausschliesslich! Also auf in die Zempén-Berge, in die verwunschene Welt von Tokaj, und sei es «nur» im Glas und am eigenen Tisch.

Geschichte zur (Wein-)Region: Stilistische Vielfalt

Die aussergewöhnliche Vielfalt der Weinwelt von Tokaj basiert auf einer Vielzahl von Faktoren. Der Einfluss der Edelfäule reicht von null bei trockenen Weinen über «wie gewachsene » Szamorodni (die trocken, unter Florhefe und/oder restsüss ausgebaut werden) bis hin zu den Aszú-Weinen mit verschiedenen Anteilen ausgelesener Botrytis-Beeren und der überaus seltenen Eszencia (hundert Prozent Botrytis). Dann die Rebsorten: allen voran Furmint und Hárslevelü sowie Muscat Lunel (à petits grains), dazu Zéta (früher Orémus), Kövérszölö und Kabar, bis Mitte des 20. Jahrhunderts häufig im Mischsatz.



Klassische Mariage: Gulasch – Pörkölt

Das Gericht der Hirten, die in der ungarischen Tiefebene, fernab von jeglicher Zivilisation, ihr Vieh hüteten. Ursprünglich war dies mit Schweinefett und Zwiebeln geröstetes Rindfleisch, Paprika kam erst im 18. Jahrhundert dazu.

Die fruchtige Komponente des Paprika aufgreifend fühlt sich ein trockener Wein aus Furmint und Harslevelü dazu rundherum wohl. Er bringt Frucht und Körper, aber auch Frische mit. Zu einem aussergewöhnlichen Erlebnis wird das Gulasch aus dem Kessel der Hirten mit einem trockenen, nach Art eines Sherrys oder Vin Jaune unter Florhefe ausgebauten Szamorodni; Sie werden überrascht sein. Sehr ausgefallen und sehr fein, aber sehr schwer zu finden, da äusserst selten: Pinot Noir aus Tokaj. Muss als Landwein vermarktet werden, lohnt aber das Suchen!

Trockener Weisswein aus Furmint und Harslevelü harmoniert besonders mit Paprika-Aroma und -Frucht

Trockener, oxidativ ausgebauter Szamorodni sorgt für einen ganz besonderen Akzent

Pinot Noir aus Tokaj ist sehr selten, aber sehr elegant und fein zum Gulasch

Neue Mariage: Saibling en Papillotte

Flussfische wie etwa Wels und Karpfen spielen eine wichtige Rolle in der ungarischen Küche, leichter und «moderner» ist en papillotte, also im Pergamentpapier, mit Orangen gegarter Saibling.

Trockener Furmint aus einer Einzellage mit seiner geballten, vulkanisch geprägten mineralischen Würze lässt den Saibling an Bergbäche denken, ihn förmlich springen und tanzen. Deutlich ungewöhnlicher indessen ist ein Szamorodni mit etwas Restsüsse, der an die Orangenfrucht andockt und dem Fisch einen nahezu cremigen Touch verleiht. Vielleicht am mutigsten jedoch ist hier der Griff zum Schaumwein, ein Brut der «méthode traditionelle » aus Furmint mit Chardonnay und Pinot Noir; er macht aus dem Saibling einen grossartigen, beschwingten Zwischengang.

Trockener Furmint aus einer Einzellage, vulkanisch geprägt, bringt den Saibling zum Tanzen

Szamorodni mit etwas Restsüsse dockt an die Orangenfrucht an und bringt Cremigkeit mit ins Spiel

Schaumwein Brut verwandelt den Fisch in einen beschwingten Zwischengang

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