Kochen und essen zu den Crus Classés de Graves in Pessac-Léognan
Pessac-Léognan: Austern, Ente, Cannelés und so viel mehr!
Text: Ursula Heinzelmann, Fotos: StockFood / PhotoCuisine / Roulier/Turiot
Pessac-Léognan, das ist die Wiege des Bordeaux-Weins schlechthin, hier wachsen die Reben direkt vor den Toren einer der lebendigsten und weltoffensten Städte Frankreichs, am Ufer von Atlantik und Garonne; die eleganten Weiss- und Rotweine reflektieren die Weite des Meeres und die Tiefe der historischen Wurzeln.
Die Landschaft der Graves, der kiesigen Böden - denn darauf bezieht sich dieser Name - erstreckt sich am linken südlichen Ufer der Garonne, von Bordeaux flussaufwärts bis nach Langon. Hier liegen die Anfänge der Weine, die heute umgangssprachlich als Bordeaux bezeichnet werden, und bei näherer Betrachtung doch eine ungemeine Vielfalt an Landschaften, Weintypen und Appellationen umfassen. Lange bevor die feuchten, sumpfigen Böden des Médoc trockengelegt wurden und dadurch auch für Reben geeignet waren, boten die kiesigen Böden der Graves bereits optimale Bedingungen. Es mag historisch nicht hundertprozentig belegt sein, leuchtet aber trotzdem ein, dass schon die alten Römer vor den Schutzwällen ihres Heerlagers Reben pflanzten, statt den für sie so wichtigen Wein von weit her zu transportieren. Burdigala nannten sie ihr Lager, nach den keltischen Gründern der Siedlung, und im Mittelalter - das nun steht eindeutig fest - sprach man von «Las Gravas de Bordeu» und meinte damit die Ländereien vor den Toren der Stadt, die heute nahezu urban anmutende AOC Pessac-Léognan.
Der Hafen von Bordeaux bot eine strategische Verbindung zur Welt und machte die Stadt zur kosmopolitischen Handelsmetropole. Nach den Römern kamen turbulente Zeiten unter westgotischer Herrschaft, mit Plünderungen durch die Wikinger, doch ab dem 12. Jahrhundert zog Ruhe ein, man konnte sich wieder den Reben widmen. Bordeaux und sein Umland gehörten nun als Aquitanien zu England, der fernen Insel. Der grenzenlose Weindurst ihrer Bewohner etablierte den besonderen Ruf der Weine aus den Kiesböden. Schiffsbäuche voller Graves und später Bonnes Graves (was heute der AOC Pessac Léognan entspricht) segelten nach Norden, zurück kamen sie mit Kohle, Eisenerz und der Kunde von der Begeisterung, die diese Clarets an der Themse auslösten.
Bis heute sind die Bonnes Graves eng in das pulsierende Herz der Stadt eingebunden. Das ist durchaus nicht unproblematisch, durch den Konkurrenzdruck der Immobilienbranche ist ein Teil der einst den Reben vorbehaltenen Kiesböden bebaut worden. Doch die alten Châteaux behaupten sich, erzeugen im Gegenzug immer feinere, markantere Weine. Sie bilden grüne Inseln mit tiefen Wurzeln, die Tradition und Innovation verbinden, historische Gemäuer und hochmoderne, visionäre Architektur - wie sie auch in der Cité du Vin, diesem spektakulären, ganz dem Wein gewidmeten interaktiv-musealen Ort in Bordeaux zum Ausdruck kommt: Wein mitten in der Stadt, doch kaum eine halbe Autostunde von Pessac gelegen. Und selbstverständlich inklusive Restaurant, denn dass so viel Geschichte im Weinglas adäquate Begleitung auf dem Teller verdient, steht ausser Frage. Vielleicht ist diese kulinarische Seite auch der eigentliche, geheime Grund, warum den Weissweinen in den Bonnes Graves ebenso viel Bedeutung zukommt wie den Roten. Schauen Sie selbst…
Die Crus Classés de Graves in Pessac-Léognan sind auch…
Im Jahr 1550 liess Jean de Pontac vor den Toren der Stadt Bordeaux und mitten in den Reben einer Lage namens Hobryan ein Schloss errichten, das in der Folge seine Weine als erstes unter eigenem Namen nicht nur nach London exportierte, sondern dort auch in einer eigenen Weinbar offerierte. 1663 schrieb der erfolgreiche Politiker und Chronist Samuel Pepys in seinem Tagebuch begeistert über den «guten, ganz besonderen Geschmack eines französischen Weins namens Ho Bryan». Pontac hatte nicht nur einen entscheidenden Grundstein für die heutigen Strukturen des Weinmarkts gelegt, sondern war auch Pionier einer Gemeindeappellation.
Pessac-Léognan als solches, benannt nach zwei der Vororte, die Weine dieser Herkunft erzeugen können, existiert allerdings erst seit 1987. Bis zu diesem Zeitpunkt gehörten die Güter in Stadtnähe zur Regionalappellation der Graves, die sich wesentlich weiter flussaufwärts erstreckt, und lediglich Haut-Brion war Teil der Médoc-Klassifizierung von 1855. Doch seit 1953 besitzen die Graves ihre eigene Klassifizierung von heute insgesamt 14 Gütern, die sämtlich in Pessac-Léognan liegen - den «Bonnes Graves».
Ganz im Geiste von Pontac ist die Vereinigung der Crus Classés de Graves eine sehr aktive und dynamische, mit regelmässigen monatlichen Treffen. Besitzer und Gérants sehen sich eher als Gärtner denn als Landwirte und begreifen ihre Güter als Mikrokosmos der Natur. Mithilfe von acht Rebsorten übersetzen sie die feinen stilistischen Unterschiede ihrer individuellen Terroirs ins Glas. Bei den Weissweinen spielen sie mit der Balance zwischen lebhaftem Sauvignon Blanc und geschmeidigem Sémillon und gelegentlichen kleinen Anteilen von Muscadelle und Sauvignon Gris. Bei den Rotweinen geben Cabernet Sauvignon mit rotgrünvioletter Frucht und Energie einerseits und Merlot mit warm-rauchigem Tannin und Körper andererseits den Ton an, ergänzt von Petit Verdot und Cabernet Franc.