Kochen und essen zu Weinen aus dem Südosten des Piemont
Nizza Monferrato: Agnolotti, Karden, Friciule und vieles mehr!
Text: Ursula Heinzelmann, Fotos: StockFood / Eising Studio - Food Photo & Video
Der Südosten des Piemont ist ein Geheimtipp: ruhiger als die Langhe, beinahe verwunschen, doch mit ebenso vielen Köstlichkeiten, von Agnolotti über Vitello Tonnato bis zu knoblauchduftender Bagna Cauda, Bollito Misto und gebratenem Lamm, dazu Trüffel – und Wein!
Der Wein ist auch hier überwiegend rot, aber im Gegensatz zu Barolo und Barbaresco nicht vom Nebbiolo bestimmt, sondern von der fruchtduftigen Barbera, und die führt zum Geheimtipp im Geheimtipp: Nizza, dem Zentrum dieses Grand Cru der Barbera d’Asti. Dieses Nizza, «Nissa» gesprochen, liegt nicht an der französischen Riviera, sondern auf einem Hügel 60 Kilometer südöstlich von Turin. «Nissa dla Paja» nennen die Einheimischen es, das «Stroh-Nizza» im Landesinneren, um es vom «Nissa del Mar» an der Küste zu unterscheiden, die beide einst zum Herzogtum Savoyen gehörten. Lange hatten immer wieder Franzosen und Spanier unterschiedlichster Wappen und Häuser die Stadt belagert, umkämpft und erobert, geplündert und zerstört, doch die Savoyen-Zeit im 18. Jahrhundert war eine friedliche. Heute gehört das Monferrato zum Unesco-Weltkulturerbe, der bezinnte Turm des Rathauses von Nizza ist nur mehr ein Wahrzeichen. Man sollte es umtaufen, in Wein-Nizza, denn der Wein ist hier allgegenwärtig und in vielen kleineren Familienbetrieben zuhause, Bauern mit nur wenigen Hektar Reben sind in Genossenschaften organisiert.
Vielleicht ist es die unbewusste Erinnerung an weniger friedliche Zeiten, an längst vergangene, vom Hunger geplagte Jahre, die dazu führt, dass die Küche, der Lebensstil ganz allgemein, man möchte sagen, die Menschen hier sowohl von luxuriöser Üppigkeit als auch dem Prinzip des sehr Einfachen geprägt sind. Da gibt es einerseits die Tajarin, diese feinen, mit dem Messer geschnittenen Bandnudeln, deren Teig so viele Eidotter – 25 Stück auf das Kilo Mehl, sagen die einen, 40 die anderen – enthält, dass sie in nahezu übernatürlichem Gelb leuchten. Und diese Tajarin serviert man dann obendrein mit Butter und hobelt frische Trüffel darüber! Andererseits gehört aber auch die Belecauda zu den lokalen Spezialitäten, ein im sehr heissen Ofen in einer Eisenpfanne gebackener dünner Fladen aus Kichererbsenmehl. Selbst wenn er heute mit Speck, Schinken oder Käse belegt wird, bleibt er schlicht und seine Zubereitung einfach.
Ob die Karde, ohne deren Erwähnung jegliche Darstellung von Nizza Monferrato eine sträfliche Lücke aufwiese, nun eher zum einen oder anderen Ende der angedeuteten Skala gehört, ist weniger offensichtlich. Wie die Artischocke gehört sie zur Familie der Disteln, doch baut man sie in den sandigen Böden im Flusstal des Belbo nicht wegen ihrer Blütenknospen an, sondern für die dicken Stängel. Die ausgewachsenen Pflanzen werden im Spätsommer umgelegt und mit Erde bedeckt, so dass sie sich krümmen («cardo gobbo» heissen sie: Buckel-Karden) und im Winter für frisches Gemüse sorgen. Man isst sie vor allem mit Bagna Cauda, dieser wunderbar aromatischen warmen Sauce aus Aciughe, Knoblauch und Olivenöl. Eigentlich ganz einfach und zugleich grossartig. Das liesse sich über sehr vieles in Nizza Monferrato sagen, und es ist ein Prinzip, das auch für die eigene Küche mehr als taugt. Der Geheimtipp im Weinglas zeigt duftend den Weg.
Monferrato ist aber auch…
Natürlich gibt es nicht nur Rotwein im Südosten des Piemont, und ein langes, genüssliches, dem Nizza gewidmetes Mahl lässt sich trefflich mit weissen Weinen beginnen und abrunden.
Zur Einstimmung ist da zuerst Cortese, trocken, mineralisch, zitrusfruchtaromatisch, mit belebender Säure – und vielen sicher eher mit dem Namen Gavi auf dem Etikett vertraut.Es ist eine alte Rebsorte, seit Jahrhunderten für diese Region belegt, die zeitweise etwas unter ihrem Erfolg und daraus resultierenden eher belanglosen Weinen aus übermässig grossen Erträgen litt, inzwischen aber wieder zu sich gefunden hat.
Cortese dell’Alto Monferrato DOC erfrischt ganz wunderbar, und es lohnt sich auch, nach den trockenen Schaumweinen aus diesen Trauben Ausschau zu halten. Zurückhaltender in der Säure ist Arneis, sehr terroirtransparent und ebenfalls eine alte Sorte, als Terre Alfieri jedoch ein noch ganz junger DOCG mit viel Finesse. Für den grossen Durst und extreme Hitzewellen bieten sich ausserdem die weissen Monferrato-Weine an, aus Cortese und Favorita (die zur weitverzweigten Vermentino-Familie gehört), meist im Verschnitt mit anderen Sorten.
Und dann gibt es Moscato! Der wächst zwar in ganz Italien und weit darüber hinaus, wird aber zu gutem Recht ganz besonders mit dem Piemont und dem Monferrato in Verbindung gebracht. Von hier kam im Mittelalter ein Grossteil des Rebmaterials, hier entstanden Asti Spumante und Moscato d’Asti als Weintypen. Allen einfacheren Varianten zum Trotz wird in den wirklich guten Weinen dieser Kategorien das ausdrucksvolle Aroma der Moscato-Trauben von genau der richtigen Menge Restsüsse getragen (im Idealfall bringen die Trauben von kargen Böden nur wenig Nährstoffe für die Hefen mit, so dass diese früh aufgeben).
Seinen Höhepunkt findet der Moscato in der kleinen DOC Loazzolo – noch ein Geheimtipp: ein Süsswein aus spät gelesenen Moscato-Bianco-Trauben, der mindestens zwei Jahre reifen muss, zum Teil in kleinen Holzfässern, ein mehr als würdiger Abschluss nach einer grossen Riserva.