Trinken, kochen, essen: Braten, Speck, Polenta – und so viel mehr!
Trentino
Text: Ursula Heinzelmann, Foto: gettyimages/Matthias Lindner
Trentino, das sind die steilen Felswände der Dolomiten, die milden Lüfte vom Gardasee, sind so viele kleine Gebirgsseen und Gebirgsbäche – und vor allem: Reben! Auf weitgestreckten Hängen und steil aufsteigenden Terrassen, inmitten einer einzigartigen Landschaft, die ganz zu Recht zum Weltkulturerbe zählt.
Die Weine des Trentino haben eigentlich nur ein Problem: Wir trinken sie viel zu selten! Dabei bieten sie eine solche Vielfalt. Hier an der unteren Etsch und ihren bewaldeten Seitentälern mit den vielen kleineren, eiszeitlichen Seen und Gebirgsbächen ist der mediterrane Einfluss deutlich prägender als der alpine weiter nördlich in Südtirol, blickt man eher nach Venedig als über die Alpen.
Der warme Wind, der Ora del Garda, drückt dem kontinentalen Klima mit seinen starken Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht einen Mittelmeer-Stempel auf. Doch das Leben in der immer wieder atemberaubend schönen Kulisse der Dolomiten war oft ein harter Kampf. Die Kultur des Trentino ist vom Kontrast geprägt, zwischen dem Alltag der kleinen bäuerlichen Höfe einerseits und der Pracht auf den Burgen und Schlössern andererseits. In der Küche mischen sich heute einfachste Zutaten mit Edlem, werden grosse Braten, Fisch und Wild mit Bodenständigem wie Buchweizennudeln, Polenta und Kraut serviert. Und ganz selbstverständlich, damals so wie heute: Wein. Den grossen Genossenschaften stehen selbstständige Familienbetriebe gegenüber, die oft aus Höfen mit gemischter Landwirtschaft entstanden sind. Man hatte Kühe, Ziegen und Schweine, Obstbäume, Mais und Roggen, und eben auch ein paar Reben.
20 Jahre gab es enorme Qualitätsschwankungen, denn die Vielfalt an Weinen und Stilistiken ist gross. So wie die einstige Cucina Povera der Bergbauern neue Wertschätzung geniesst, schöpfen die Winzer heute das ganze Potenzial der alten, einheimischen Rebsorten aus. Es gibt immer mehr charaktervolle, individuelle Weine, die den vielen Mikroklimata Rechnung tragen. Der Chardonnay mag die grösste Fläche einnehmen und beeindruckende Schaumweine hervorbringen, Flaggschiff des Gebiets ist längst der Teroldego, der in den kiesigen Böden von Rotaliano zu wahrhaft komplexer, einzigartiger Grösse aufläuft. Bei den Weissen gilt es die Nosiola zu entdecken, wahrhaft alt und autochthon, mit salzig-mineralisch floralen trockenen Weinen und – noch seltener – cremig-fruchtigem Vino Santo aus getrockneten Trauben. Da sind schlanke Müller-Thurgau, duftiger Marzemino, kräftige rote Cuvées aus Cabernet und Merlot… für wirklich jede Stimmung und jeden kulinarischen Moment wächst im Trentino das Passende. Also auf in den Keller (oder zum Weinhändler) – und dann in die Küche!
Trentino ist aber auch…
In den abgelegenen Tälern hat sich eine Vielzahl alter Sorten erhalten. Am bekanntesten ist der Marzemino, eine bereits im Mittelalter belegte Geschwistersorte des Lagreins, mit dem Teroldego und einer Unbekannten als direkten Eltern und Pinot als Grosselternteil. Es gibt ihn trocken, als Schaum- und auch Süsswein, immer aber ist er veilchenund beerenduftig, feinkräutrig, beinahe zart. Noch seltener ist Groppello di Revò, ein Halbgeschwister von Nosiola. Bis zur Reblausplage war dies ein wichtiger und bedeutender Wein, voller schwarzem Pfeffer und transparenter Kirschfrucht.
Müller-Thurgau ist weder rar noch autochthon, zeigt aber besonders im Val di Cembra eine ganz eigene Stilistik; schlank und säurefrisch mit Zitrusaromen, aber auch Körper. Manzoni Bianco ist eine Kreuzung aus Riesling und Weissburgunder (oder vielleicht Chardonnay), auch er duftig und säurebetont, mit Pfirsich- und weissen Pfeffernoten. Zu entdecken gilt es ausserdem den Teroldego als Rosato, ein charaktervoller Allrounder. Feinfruchtiger Schiava und kräuterwürziger Lagrein werden meist eher mit Südtirol assoziiert, sind aber auch im Trentino weit verbreitet, ebenso wie Traminer, Sauvignon, Chardonnay, Moscato Giallo und all die roten internationalen Sorten. Reinsortige Weine sind dabei ebenso verbreitet wie Cuvées, von leicht und unkompliziert bis hin zu grossen Weinen, die das Bergklima auf ihre Art übersetzen.
Was auch für die «Bollincine di Montagna» gilt, den Trento DOC Spumante aus Chardonnay und/oder den Pinot-Sorten. Er wird flaschenvergoren und -gereift, wie so viele andere Schaumweine überall auf Planet Wein, und ist doch von ganz eigenem, von den Dolomiten geprägtem Charakter: schlank, kernig, frisch.
Und schliesslich: Trentino Vino Santo aus teils am Stock und teils auf Matten getrockneten Trauben, cremig und intensiv süss mit einer strahlenden Säure, die all die Aprikosen-, Quitten- und Orangenschalenfülle zum Funkeln bringt.