Trinken, kochen, essen: Trüffel, Salsiccia, Agnolotti – und so viel mehr!
Piemont
Text: Ursula Heinzelmann, Foto: gettyimages/kcline
Das Piemont zieht sich am Fuss der Alpen im Nordwesten Italiens von den Ausläufern des Monte Rosa über die Hügel und Täler des Po und seiner Nebenflüsse rund um Turin bis in die fruchtbare Ebene, beinahe bis ans Mittelmeer im Süden – eine ungemein vielfältige Landschaft mit ebenso facettenreicher Kulinarik.
Die flächenmässig zweitgrösste Region Italiens reicht von schneebedeckten Alpengipfeln bis in die sommerschwüle Flussebene und sprachlich vom Walserdeutsch bis zum französisch anmutenden Piemontesisch. Sie umfasst abgelegene Gebirgsdörfer und moderne Industriegebiete, deckt den Tisch ganz bürgerlich und frönt zugleich in jeder Bar der Stunde des Aperitifs mit einem reichen Angebot an Stuzzichini, einem Büfett von kleinen Häppchen.
Doch im Weinglas ist eigentlich alles ganz einfach: Barbera. Klar, da gibt es die Nebbiolo-Granden der Langhe, Barolo und Barbaresco, die in der weinaffinen Wahrnehmung im Vordergrund stehen. Sie sind meist besonderen Anlässen vorbelassen (passen aber zu viel mehr als Braten und Trüffel – davon ein andermal mehr). Hier soll es um die Realität des Weintrinkens im Alltag gehen. Die kirschduftende Barbera hat von frisch und unkompliziert bis zu fassgereift, samtig und komplex viel zu bieten. Sie wächst auf beinahe einem Drittel der Weinberge und ist damit die meistgepflanzte Traube des Gebiets!
Das Piemont hat eine lange Geschichte. Das Haus Savoyen hat das Risorgimento massgeblich mitgetragen und das vereinigte Italien mit Königen versorgt. Wein gehörte immer dazu, adelige Grossgrundbesitzer führten moderne Methoden in An- und Ausbau ein. Auch später, als der Weinbau darbte und alle in die Fabriken flüchteten, um die Welt mit Autos, Schreibmaschinen oder Nougatcreme auszustatten, ging es immer weiter: Impulse aus der «neuen Welt» waren die Grundlage für Diskussion in den Weinkellern. Dann kam der wirtschaftliche Aufschwung – der Tourismus zog ein im Piemont, entdeckte in Turin eine Stadt voller Schönheit und Kultur, eingebettet in eine ebenso attraktive Landschaft, und eine grosse Liebe zum guten Essen. Trüffel und Brasato, Carne Cruda und Salsiccia, Tajarin und Agnolotti al Plin sind die historischen Grundmauern dieses kulinarischen Schlaraffenlands.
Im Weinglas tut sich dazu eine ebenso grosse Vielfalt auf. Barbera d’Asti ist hinlänglich bekannt als DOCG, Nizza hingegen noch beinahe ein Geheimtipp, während Ruchè, ebenfalls unter DOCG-Schutz und gleichermassen aus dem Monferrato, eine verführerisch duftende Rarität darstellt. Es gilt missverstandene Weine wie Freisa und Grignolino neu zu entdecken und unbekannte wie die Albarossa zu erforschen, ganz zu schweigen von den Weissweinen, von Roero Arneis, Cortese und Moscato d’Asti bis hin zum Riesling. Dazu lässt sich höchstvergnüglich kochen und essen, vom Häppchen bis zum ausgedehnten Festmahl, ob nun am Fusse der Berge selbst, ad Pedem Montium, oder am eigenen, heimischen Herd und Tisch.
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Piemont ist aber auch…
So weit verbreitet wie die Barbera, so selten ist Ruchè, nahezu ausschliesslich in Monferrato zu finden. Er neigt zu starker Reife, gelungene Weine leben von der ausgewogenen Balance zwischen Alkohol und Gerbstoff und duften unwiderstehlich nach Rosenblättern, Zimt, Nelken und Piment. Schlanker, erfrischender und unkomplizierter ist Dolcetto. Freisa und Grignolino wiederum leiden nach wie vor unter ihrem schlechten Ruf als süsslich und hell, doch es lohnt sich, nach den wenigen trockenen, von Kräuteraromen geprägten Exemplaren Ausschau zu halten. Und natürlich – Nebbiolo: klassisch aus der Langhe, aber auch aus dem Norden der Region, dem Alto Piemonte, wo diese Weine besonders im Zuge der Klimaerwärmung immer mehr an Eleganz gewinnen.
Dann: Weisswein! Der eher diskrete, Mandel-Apfel-duftige Roero Arneis ist ein echter Piemonteser, während Cortese auch im Veneto und in der Lombardei heimisch ist und vor allem als Gavi auftritt. Ausgesprochen selten, aber jegliche Beschaffungsmühen wert ist Timorasso aus den Colli Tortonesi ganz im Süden an der Grenze zu Ligurien: Mineralische Säure paart sich hier mit Alkohol auf eine beinahe ölige, kraftvolle und sehr charaktervolle Art. Für manche immer noch überraschend ist Riesling als Piemonteser Wein (mittlerweile gibt es eine ganze Reihe empfehlenswerter Produzenten), während Moscato häufig mit einem verächtlichen Schulterzucken als zu kitschig abgetan wird. Zu Unrecht, denn wenn die Traubensüsse eines Moscato d’Asti aus dem richtigen Keller fein abgestimmt aus dem Glas duftet… und statt der billigen Schäumer greife man zu den grossartigen, knochentrockenen Metodo-Classico-Schaumweinen der Alta Langa DOCG.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass der Vermouth als mit Kräutern aromatisierter Wein von einem Apotheker in Turin «erfunden» wurde und der Barolo Chinato (und sein moderner Bruder, der Moscato Chinato) ein ganz besonderer Vertreter dieser Familie ist.