KULINARIK

Weinvariationen zu: Quitten!

Text: Ursula Heinzelmann, Fotos: Manuel Krug

Sie sind nicht unbedingt die attraktivsten unter den Früchten, oft unförmig und ein wenig graubepelzt, zudem hart und unzugänglich. Doch hinter alldem verbirgt sich ein wunderbarer Duft, ein unvergleichliches Aroma, das uns sämtliche Süssweinregister ziehen lässt.

Der Duft der Quitten» – das klingt wie ein Roman von epischem Ausmass, genau das Richtige für lange Winterabende; eine Geschichte, die einen in exotische Gefilde entführt und verzaubert. Eben dies ist die Stärke der eher unscheinbaren, unförmigen Früchte. Ist einem dieses ganz besondere Aroma, das irgendwo zwischen sehr reifen, herben Birnen, Kamille und Safran liegt (und damit doch nur unzulänglich eher um- als beschrieben ist), erst einmal bewusst, findet man es auch in vielen Weinen: in Chenin Blanc, alten italienischen Weissweinsorten wie dem Falanghina, sehr hochwertigen Schaumweinen mit langem Hefelager, aber auch so manchem Pinot Noir. Die Wissenschaftler bestätigen einige Überschneidungen bei der chemischen Zusammensetzung von Quitten und Eichenholz (und Safran, was olfaktorisch nachzuvollziehen ist, weiterzuverfolgen uns hier aber zu weit führte).
Bei aller Duftigkeit ist immer eine unterschwellige herbe Note im Spiel, die die Quittenverführung vor dem Kitsch bewahrt. In der Tat enthalten Quitten nicht nur Zellulose in Form der lästig harten sogenannten Steinzellen, sondern auch eine besondere Art von Tanninen. Langes Kochen in leichtem Zuckersirup verwandelt sie von unangenehmer Adstringenz zu dunkelroter, durchscheinender Farbpracht.
Doch bevor wir uns nun vollends in einer Mischung aus chemischen Analysen und Schwärmerei verlieren: Wein muss zu den Quitten! Und das zwar bevorzugt, aber beileibe nicht ausschliesslich in süsser Form. Der Ursprung der Quitten liegt wie der von Äpfeln und Birnen (die zur selben Familie der Rosengewächse gehören, aber wie beim Duft auch bei der Blüte von ihnen übertroffen werden) im Kaukasus. In den
Küchen jener Gegend spielen sie seit langem eine wichtige Rolle, und besonders die persische mit ihrer langen Tradition herzhafter Fleisch-Frucht-Kombinationen hat viele Inspirationen dazu zu bieten. Neben den langsam geschmorten Khoresh, dicken Saucen, die mit Reis serviert werden, sind herzhaft gefüllte Quitten grossartig: Dafür halbiert man die Früchte, höhlt sie ein wenig aus und mischt das klein gehackte
Fruchtfleisch mit gekochten gelben Schälerbsen unter angebratenes Rinderhack mit Zwiebelwürfeln. Kräftig mit Pfeffer würzen, salzen, in die Quitten füllen und im Ofen mit ein wenig Wasser und ein paar Butterflocken zugedeckt garen. Im Glas dazu: südlicher Bergwein mit einer ähnlichen Kombination von Herbe und Duft, wie der Voski von Zorah aus Armenien aus den Sorten Garandmak und Voskeat (ja, kannten wir auch nicht). Oder eine der Carricante-Cuvées vom Ätna, etwa der Ante von I Custodi. Und da wir damit schon am Mittelmeer sind: Nicht nur n Tunesien gibt es Couscous mit Meeräschen und/oder Rotbarben, Kichererbsen, Safran und Quitten, die in Spalten zusammen mit dem Fisch im safran- und cayennegewürzten Fond garen, über dem wiederum der Couscous als solcher dämpft. Grossartig dazu ein Wein von den Äolischen Inseln, der Bianco Pomice von Castellaro, der die liebliche Üppigkeit trocken ausgebauten Malvasias von Lipari mit mineralischer Säurefrische vom Ätna verbindet, wiederum in Form von Carricante – darin finden sich Quitten und Fisch wieder! Nochmals Mittelmeer, diesmal mit Fleisch: eine Lamm-Tagine, mit
Zwiebeln und Quitten in grossen Würfeln langsam geschmort, gewürzt mit Pfeffer, Koriander, Ingwer und Zimt und ganz zum Schluss einer Spur von Honig. Damit verträgt sich erstaunlicherweise eine Schaffhauser Pinot-Noir-Spätlese von Aagne aufgrund ihrer beerigen Fruchtigkeit ganz hervorragend, aber auch ein würziger Winterwärmer wie der Lagrein Riserva Urban der Kellerei Tramin in Südtirol.



Montlouis bei den Briten
Dann ein kurzer Abstecher nach England, wo man Quittensauce klassisch zu Rebhuhn serviert, aber auch Huhn mit Zwiebeln, Petersilie, Butter und einer Idee Ingwer gart und gegen Ende in Butter angebratene Quittenspalten zugibt. In beiden Fällen ist es beileibe kein Fehler, im Keller (oder Regal) zu einem Montlouis von der Loire zu greifen, also eher fruchtbetontem Chenin, oder, kräftiger, einem der Weine der neuen Generation aus dieser Rebsorte aus Südafrika, etwa von Craig Hawkins in Swartland. Schliesslich: Experimentieren Sie mit Quitten bei allem, was mit Wild und Wintergefl ügel zu tun hat, und achten Sie im Glas einfach nur auf ausreichende Konzentration und Frucht. Und damit, endlich, zum Süssen! Portugiesische Marmelada (Vorläufer der englischen Marmalade), spanischer Membrillo, französischer Cotignac: Alle nutzen seit Jahrhunderten den extrem hohen Pektingehalt der Quitten, um sie püriert und passiert mit Honig und Zucker zu
schnittfesten, haltbaren Gelees einzukochen, Süssigkeit für die Wintermonate. Rotleuchtende Membrillo-Quittenpaste zu Picon, dem höhlengereiften Blauschimmelkäse aus Kantabrien im Norden Spaniens, und ein hochwertiger Cream Sherry, etwa von Colosia – das nimmt es mit jeglichem Novemberblues auf.

DIE WEINE

Riesling Graach 2002

Josephshöfer Fuder 06

Auslese Lange Goldkapsel

Reichsgraf von Kesselstatt

Marienlay, Mosel (D)

7,5 Vol.-% | 2016 bis 2026

So viel reife, cremige Traubenfülle so
zeitlos elegant gereift – Honigbalsam
und allerfeinste pürierte Minibananen;
sehr dicht, aber durch die unaufdringliche
Säure doch nahezu beschwingt.
Ein kleines Meisterwerk aus einem
Ausnahme-Moselweinberg mit besonderer
mineralischer Würze durch den
Rotliegenden-Boden. Begegnet den
Quitten auf Augenhöhe und freut sich
über das cremige Eis.


Muscat de Rivesaltes 2012

Domaine des Chênes

Vingrau/Tautavel, Roussillon (F)

15,5 Vol.-% | 2016 bis 2022

Kleinbeeriger Muskateller, gewachsen
auf den kargen, trockenen Kalkböden
der dramatischen Felsengebirge im
Norden des Roussillon, von Alain
Razungles in einen perfekt ausbalancierten
Wein verwandelt, der die
Dimension Süsse im Wein beinahe neu
definiert. Der (sehr diskrete) Alkohol
freut sich über die Butter, die vergnügte
Saftigkeit knüpft an die Frucht an.


Tokaji Aszú Lapis

6 punttonyos 2003

Királyudvar

Tarcal, Tokaj (HU)

9,5 Vol.-% | 2016 bis 2050

Ein Teil der alten königlichen Weingüter,
Ende der 1990er mit Hilfe des Tokaji-
Meisters István Szepsy zu neuer Blüte
gebracht. Lapis ist eine Spitzeneinzellage,
hier wächst grösstenteils Furmint
mit etwas Harslevelü auf vulkanischem
Boden – der extrem hohe Anteil eingetrockneter
Botrytisbeeren sorgt für wunderbar goldbronzen Leuchten
im Glas, Superkonzentration und ein Aroma...orange-mandarin-tabak-umami...unbeschreiblich und unsterblich.