Weinvariationen zu:

Avocado!

Text: Ursula Heinzelmann, Fotos: Manuel Krug

Superfood aus dem Gemüseregal. Die schwarzgrüne Aztekenfrucht bringt nicht nur Veganer, Rohköstler und Geniesser an einen Tisch und sorgt für Power-Smoothies sowie für ein gesundes Lebensgefühl – sie verträgt sich auch bestens mit Wein, weil ihre feine, nussige Cremigkeit so einladend die Arme in Richtung Glas ausbreitet.

Wenn Ihnen nun als erstes Guacamole einfällt, mit Maischips oder Tacos, und dazu vor dem inneren, durstigen Auge ein kaltes Bier auftaucht: Das passt und schmeckt natürlich bestens. Aber wenn Sie das nächste Mal reife, weiche Avocados (lesen Sie dazu unseren Profi-Tipp) mit Limettensaft zum Dip zerdrücken, mit Koriander, Salz, ein wenig Chili, Knoblauch- und Zwiebelwürfeln abschmecken, dann stellen Sie vorher einen saftigen, stabilen Sauvignon Blanc kalt, etwa den Katui von Markus Schneider aus der Pfalz, der dem Ganzen mit Anklängen von weissen Johannisbeeren eine ganz neue, elegante Dimension verleiht. 

Eleganz ist sowieso ein gutes Stichwort. Am feinsten kommt diese Seite der Butterfrucht in einer japanischen Kombination mit Seidentofu zum Ausdruck. Beides in fingerstarke Würfel geschnitten und mit einem Dressing aus Sojasauce, Dashi-Brühe, Reisessig und Mirin sowie einem Hauch Wasabi-Schärfe angemacht, das ist ein Ausflug in unaufgeregt grossartige Wonne, vor allem wenn im Glas dazu ein dichter, ebenso ruhiger Nahe-Grauburgunder wie der Rosenberg von Johannes Sinß (dessen Riesling Sonnenmorgen sich zu unseren Nudeln als ebenfalls äusserst avocadotauglich erweist) seinen Part spielt. 

Dann natürlich Avocado in den bekannten Kombinationen. Da ist erst einmal der gute alte Shrimpscocktail mit Ketchup-Mayo-Sauce. Die muss sein, schmeckt im Upgrade mit Crème Fraîche und Tomatenmark, Meerrettich und Cognac noch besser, und dazu fruchtig tanzender Riesling Kabinett. Dann geräucherter Graved Lachs oder Lachs-Tartar zu den grüngelben Spalten, bestens ergänzt durch einen spanischen Weissen wie den Inanna Blanco von Parra aus La Mancha, der unter anderem Chardonnay, Verdejo und Moscatel wie auch einen Spritzer Limette ins vielschichtige Spiel bringt. Und dann ist da die Avocadomousse, die wir als grosse Neuheit mit der Nouvelle Cuisine in den 1980er Jahren entdeckten – ganz reifes, mit Zitronensaft, wenig Hühnerbrühe und Sherry-Essig püriertes Fruchtfleisch, mit Schlagsahne und Gelatine auftoupiert und fixiert. Schmeckt heute immer noch und wieder, zum Beispiel mit dem süssen hellen Fleisch vom Taschenkrebs oder einer Hummerschere, vor allem wenn wir einen superkonzentrierten und tiefen trockenen Riesling vom Rotliegenden dazustellen wie den Ölberg von Kühling-Gillot vom Roten Hang in Rheinhessen.

Avocado geht aber auch ganz anders, ganz neu. Überhaupt ist diese merkwürdige Frucht nicht nur Superfood, sondern auch Verbindung zwischen Moderne und grauer Vorzeit. Der grosse braune Kern ist ein botanischer Anachronismus, ein Relikt aus den neotropischen Urwäldern Mittelamerikas, wo Urwaldelefanten, Riesen-Faultiere und wilde Pferde für ihre Verbreitung zuständig waren. Heute ist die zu den Lorbeergewächsen zählende Pflanze dafür vor allem auf den Menschen angewiesen, und das gelingt ihr derart gut, dass Umweltschützer längst warnend auf Urwaldrodungen und Wasserbedarf verweisen; wo Licht da Schatten.

Ganz anders, ganz neu

Zurück zum Wein und der «neuen» Avocado-Küche. Gegrillt! Oder vielleicht eher ein kurzer Ausflug auf den Rost, mit Olivenöl und Zitrone mariniert und einem Zitronensalat serviert (aus hauchdünnen Scheiben mit der Schale – man suche unbehandelte Amalfi-Früchte und verwende bestes Olivenöl sowie Maldon-Knuspersalzkristalle). Schreit förmlich nach einem Carricante aus Sizilien wie den vulkanisch-schlanken Buonora Tascante von Tasca d’Almerita. Ebenfalls ungewöhnlich sind panierte, frittierte Avocadospalten, wofür die Früchte nicht zu reif sein sollten. Mit Salz bestreuen und viel Estragonsenf-Mayonnaise anrühren – ein wahres Fest. Das noch festlicher wird mit rosa schäumendem Wein wie dem munteren Crémant de Limoux Rosé Brut der Domaine Louvière am Fusse der Pyrenäen. Zu einem Salat aus kleinen dunklen Linsen, blanchierten Wirsingstreifen, Avocado und einem Speckdressing hingegen trinken wir rot, burgundisch rot, wenn auch nicht aus dem Burgund, sondern antipodisch-fruchtbetont von Villa Maria aus Neuseeland.

Schliesslich gänzlich ungewöhnlich: Avocado auf süss. Das macht jede Menge Sinn, wenn wir daran denken, dass es diese cremige Frucht war, die einst den Eierlikör inspiriert hat. Als Sorbet gefroren (mit Zuckersirup, Limettensaft und einem Schuss Wodka) mit einem Orangen-Pistaziensalat, dazu Muscat de Rivesaltes der Domaine La Rourède. Oder, sozusagen zurück zum Ausgangspunkt, als Guacamole, aber süss (Knoblauch und Zwiebel weglassen, statt mit Salz und Pfeffer mit Puderzucker abschmecken). Die streichen wir als Spiegel unter einen Salat aus Ananas, Papaya, Mango, Granatapfelkernen und feingehacktem Ingwer und öffnen, so wir hoffentlich haben, einen Petite Arvine Grain Noble von Marie-Thérèse Chappaz, der die ganze fruchtig-cremige Fülle noch steigert. So schön kann gesund sein.

Emidio Pepe Pecorino: Der kernig Mineralische – greift mit langem Spannungsbogen besonders den Lachs auf

Pecorino 2014 Emidio Pepe
Torano Nuovo, Abruzzo (I)

14 Vol.-% | 2016 bis 2027

Emidio Pepe ist der Grossmeister des Abruzzo, längst unterstützt von Töchtern und Enkelin. Seit 1964 werden hier die Trauben mit der Hand gerebelt und mit den Füssen gestampft, seit 2006 gibt es neben dem weissen Klassiker Trebbiano an den Nordhängen auch Pecorino: frucht- und säureklar strukturiert braucht und verdient er ebenso viel Zeit auf der Flasche.

Sinß-Riesling: Die fruchtbetonte Oberstimme – sortiert und verschlankt all die Fülle

Sonnenmorgen Riesling 2016 Johannes Sinß
Windesheim, Nahe (D)

13 Vol.-% | 2017 bis 2031

Leise, gelbe Sonnenfrucht mit Zitrusanklängen, auf Kieseln und Schiefer gewachsen, setzt sich feinströmend, lang und gleichmässig fort und belebt Nudeln und Avocado wie eine Handvoll frischer Kräuter. Seit Johannes Sinß in Windesheim das Keller-Ruder übernommen hat, gewinnen die Weine alljährlich an Charakter und Eigenart.

Vinkara Kalecik Karası: Der unaufdringlich Elegante – schmiegt sich an ohne jegliche Schwere

Doruk Kalecik Karası 2014 Vinkara 
Ankara, Zentralanatolien (TR)

14 Vol.-% | 2017 bis 2020

Kalecik liegt im Nordosten von Ankara, von Bergen umgeben, rau und schön. Burgundisch und angenehm schlank anmutend ist Karası eine der unzähligen autochthonen Rebsorten Anatoliens. Weiche Tannine in einem souveränen, eleganten Wein, der die Cremigkeit auf dem Teller betont.