KULINARIK
Weinvariationen zu: Tomaten!
Text: Ursula Heinzelmann, Fotos: Manuel Krug
Sie ist nahezu allgegenwärtig: rund ums Jahr, im Sandwich, auf dem Salat und als Sauce über der Pasta. Und doch gehört die rote Lady zu den Symbolen des Hochsommers: saftig, duftend, süss! Weintrinker freuen sich darüber allerdings nicht immer und uneingeschränkt. Denn die rote Sommerschöne kann sich auch von ihrer sauren Seite zeigen.
Zugegeben: Wahre Tomatigkeit, das ist wie wahre Liebe – nämlich selten. Nur allzu oft ist das, was wir im Gemüseregal angeboten bekommen, um es mit Mozzarella oder im Salat aufzutischen, nur eine blassrote Karikatur seiner selbst, optisch perfekt und schnittfest, aber geschmacklich kaum relevant. Noch dazu begegnen uns die mehr oder weniger runden Früchte (ja, richtig, Früchte – genauer gesagt: Beeren) vor allem in Nebenrollen: als Sauce, Ketchup oder im Burger. Also nichts, wor-über man sich als Weintrinker grosse Gedanken machen müsste? Doch! Denn wenn die rote Lady einen ihrer seltenen, grossen Auftritte hat, sich dank der Sommerglut über das gierige Wesen der freien Marktwirtschaft hinwegsetzt, die uns ständig alles anbieten möchte (und uns heutzutage nicht nur für Stiele, sondern ganze Strauchzweige mitbezahlen lässt) – dann ist Action angesagt.
Die Lady, die übrigens auch in Cremeweiss, Gelb, Oran-ge und Grün auftreten kann, ist ein Kind der Sonne, ihre Heimat Mexiko und der Westen Mittel- und Südamerikas. Als sie Anfang des 16. Jahrhunderts nach der spanischen Eroberung Mexikos als Zwangsmigrantin nach Europa verschleppt wurde, hatte sie es nicht leicht. Ihr war ständig kalt, man verstand sie nicht und warf sie misstrauisch in einen Topf mit ihren giftigen Verwandten der grossen Nachtschattengewächs-Familie wie Tollkirsche oder Stechapfel. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts gelang es ihr, sich endgültig von ihnen zu distanzieren, erst dann öffneten sich ihr die Küchen Europas. Doch Kälte hasst sie immer noch, sowohl vor als auch nach der Ernte, und reagiert darauf mit sofortigem Aromenentzug. Der Kühlschrank ist ihr also ein Graus, ein heisser Sommer hingegen Anlass zu aromatischer Höchstform. Womit wir wieder beim Wein wären – denn wahre Tomatigkeit möchte im Glas einfühlsam begleitet und ergänzt werden.
Ratgeber in Sachen Wein-und-Essen-Kombinationen warnen im Allgemeinen vor unserer Lady als höchstverdächtiger roter Socke. Tatsächlich kann ihre Säure einen Wein aus den Fugen geraten lassen wie eine Handgranate in Revoluzzerfaust das Establishment. Doch so ein biss-chen rote Energie tut gut, um allzu viel Behäbigkeit zu entlarven. Denn am empfi ndlichsten reagieren Weine darauf, wenn sie aus nicht voll ausgereiften Trauben stammen. Dank ihrer Säure hat die Lady nämlich ein untrügliches Gespür für unreife grüne Töne und lässt die betreff enden Gewächse – ob weiss oder rot – gnadenlos dünn, hart und metallisch schmecken. Eine unserer Grundregeln lautet deshalb: besser kein Bordeaux zur Tomate. Zu selten sind die Ausnahmejahre, in denen auch bei bezahlbaren Gewächsen jede einzelne Beere der spät reifenden Cabernet-Trauben durch und durch reif geworden ist. Desgleichen sei sorgfältige Auswahl angeraten bei trockenem, säurebetontem Weisswein aus den sogenannten «Cool Climate» wie der Loire, dem Moselgebiet, Neuseeland... Doch wenn alles stimmt, dann tanzt die Säure mit der Süsse Tango und bezirzt den Gaumen
Feuerwerk an Frische und Leichtigkeit
Und wir schwelgen! Die erste Ladung Tomaten mixen und passieren wir, betonen die Fruchtigkeit dieser klaren Gazpacho noch mit ein paar Würfeln Avocado, Mirabelle, Apfel, Gurke, Zucchini und roter Paprika und verleihen ihr mit einem Hauch roter Chili, einem kleinen Sträusschen Kerbel, Basilikum, Schnittlauch und Estragon und ein paar Tropfen Olivenöl Tiefe. Dazu: richtig trockener, eleganter Rosé-Sekt aus Spätburgundertrauben. Ergibt: ein Feuerwerk an Frische und Leichtigkeit!
Als Nächstes mischen wir gewürfeltes Tomatenfleisch mit gehackter Zwiebel, Knoblauch, wiederum Chili, Salz, Zucker und Limettensaft und richten mit dieser Salsa Shrimps an. Viel frischer Koriander darüber und ins Glas ein Südtiroler Lagrein-Rosé, weil der die Chilischärfe mit seinem dezenten Gerbstoffansatz bestens auffängt, sich dank seiner südlichen Gebirgsfrische aber auch hervorragend mit Säure und Süsse versteht.
Weiter geht es mit einer Tomatenvinaigrette, die beim Grillen sowohl Gemüse als auch Fleischiges belebt. Wir entkernen und würfeln wieder und schmecken diesmal mit gehackter Zwiebel, Tomatenpüree (in bester Qualität, siehe unseren Tipp beim Rezept), Olivenöl, Balsamico, Salz und Pfeffer ab. Ein Stündchen ziehen lassen, dann reichlich Basilikum dazu. Unsere Lady freut sich in dieser Form über kräftigen Rotwein aus Spanien, wie einen Tempranillo der modern-kräftigen Art.
Und natürlich kochen wir Pasta! Ganz unauthentisch löffeln wir italienisch unerhörte Mengen an anchoviswürziger Puttanescasauce darauf, in der die Tomatigkeit von Knoblauch, dunklen Oliven und viel Petersilie begleitet wird. Ihr Gegenüber in diesem Fall könnte zum Beispiel ein Valpolicella Ripasso sein, der gar nicht so kleine Bruder des Amarone – so geht Tomate. Auch zum Wein.
DIE WEINE
Eine gewagte Auswahl, die die äussersten Grenzen der Toleranz der energiegeladenen roten Lady auslotet – sehr zum Nachahmen empfohlen!
Laurenzikapelle Sauvignon Blanc 2014
Jürgen Hofmann, Appenheim, Rheinhessen (D)
13 Vol.-% | 2016 bis 2020
Rheinhessische Kalkböden und einer der Pioniere dieser Sorte im Gebiet ergeben einen Wein mit nahezu seidiger Frucht, die an Himbeeren und Weisse Johannisbeeren erinnert statt an grüne Nesseln und in lange, herzhafte Mineralik und reife Säure übergeht.
Il Frappato Terre Siciliane 2013
Arianna Occhipinti, Vittoria, Sizilien (I)
13 Vol.-% | 2016 bis 2019
«Sgrassante», Abspecker, nennen die Italiener diese Art von säurebetonten, belebenden Rotweinen, zu denen auch Lambrusco zählt. Elegante schwarze Kirschfrucht, transparent wie feinste Spitze, der Alkohol ganz im Hintergrund, die Tannine beinahe tanzend.
Absis 2011
Parés Baltà, Pacs del Penedès (E)
14,5 Vol.-% | 2016 bis 2021
Ein Kraftpaket aus Tempranillo, Merlot, Cabernet Sauvignon und Syrah, mit starken Muskeln und der Neigung zu dunkelster Schokolade, mediterranen Kräutern und Minze, trotzdem herb und dicht, beginnt sich gerade mit der Idee von Reife anzufreunden.
TIPP
Nicht jeder Sommer bringt Spitzentomaten hervor, und auch beste Pelati, also Schältomaten aus der Konserve, sind nicht immer besonders ausdrucksstark. Ein paar Löffel Tomatenkonzentrat, also püriertes, eingedicktes Tomatenmark, können jedoch in einer Sauce Wunder wirken. Vorausgesetzt, es handelt sich um wirklich gute Qualität. Beim Griff zu Tube oder Glas mal probieren – Sie werden staunen. Und wahrscheinlich nach Besserem suchen.